Bis vor Kurzem war öffentlich kaum bekannt, welches Ausmaß an Gewalt bis herauf in die 1980er Jahre Kinder in Österreich erfahren mussten, die in Erziehungsheimen untergebracht waren. Selbst die Tatsache, dass sich nach 1945 Tausende Kinder in öffentlichen und privaten Heimen befanden, wusste die Öffentlichkeit nicht. Es gab zwar Ende der 1960er-, Anfang der 1970er Jahre eine kritische Heimkampagne, aber diese geriet bald in Vergessenheit. Vor wenigen Jahren haben Betroffene ihr Schweigen gebrochen. Engagierte Journalist_innen, Historiker_innenen, Wissenschaftler_innen bringen nach und nach Licht in diese Geschichte von Gewalt. Allein in Tirol und Vorarlberg haben sich bis jetzt 470 betroffene Frauen und Männer bei den Opferschutzstellen der Länder gemeldet.
Im Dezember fand unter Leitung der Erziehungswissenschafterin Michaela Ralser erstmals in Österreich eine wissenschaftliche Tagung statt. Unter dem Titel ’Gewalt an Kindern‘ waren Erziehungswissenschaftler_innen und Historiker_innen aus ganz Österreich sowie aus Deutschland und der Schweiz geladen.
Die Tagung « Gewalt an Kindern. Verspätete Modernisierung und Heimerziehung nach 1945: Zur Fürsorge- und Heimerziehung nach 1945. Erziehungswissenschaftliche, sozial- und zeigeschichtliche Beiräge zum strategischen Zusammenwirken von Pädagogik, Medizin, Psychiatrie, Politik und justiz in den Fürsorgeerziehungsregimen des 20. Jahrhunderts » fand am 07. und 08. Dezember 2012 statt.
Veranstalter_innen: Institut für Erziehungswissenschaft (A.Univ.Prof.in Michaela Ralser), Fakultät für Bildungswissenschaften, in Kooperation mit der Interfakultären Forschungsplattform Geschlechterforschung der Universität Innsbruck.
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Reinhard Sieder und Andrea Smioski, HistorikerInnen an der Universität Wien. Sie präsentieren Ergebnisse ihrer Studie im Auftrag der Stadt Wien zur Gewalt in städtischen Kinderheimen, die unter dem Titel ’Geraubte Kindheit‘ 2012 als Buch erschien.
Maria Wolf, Erziehungswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Kritische Geschlechter- und Soziaforschung, Innsbruck, analysiert den Einfluss von eugenischem Denken in der Medizin auf Vorstellungen von Kindheit im frühen 20. Jahrhundert: ’Kindheiten und eugenische Vernunft‘.
Flavia Guerrini, Annelise Bechter, Erziehungswissenschaftlerinnen, Innsbruck, sprechen über das Wechselverhältnis von Schule und Fürsorgeapparat sowie die Rolle der Justiz anhand einer Studie zur Heimerziehung in Tirol und Vorarlberg.
Thomas Huonker, Zürich,berichtet über die Heimgeschichteforschung in der Schweiz, die mit einer Aufarbeitung des Schicksals der Jenischen begann, einer auch in Tirol beheimateten Volksgruppe von Fahrenden, denen in der Schweiz systematisch von den 1920er-Jahren bis 1972 die Kinder weggenommen und Pflegefamilien oder Anstalten übergeben wurden, ’um die Landfahrerei wirksam zu bekämpfen‘.