Elektronische Musik – Teil 1: Back to the Roots

Podcast
Music Across
  • 06 Elektronische Musik Teil 1
    57:01
audio
56:57 min.
Rachel Z  – „Sensual“ – Ein Vorgeschmack auf den Wien-Besuch der Jazz-Pianistin
audio
56:57 min.
Michael Frank – Ein Leben für die Liedermacherei
audio
56:57 min.
4 Sätze zum Industrieviertel – TRIO Wolfgang Bankl, Andreas Pirringer, Hannes Winkler
audio
56:57 min.
Alexander Kukelka – Aufruf zur höchsten Schau
audio
56:57 min.
Zappa spielt für Bach – Napoleon Murphy Brock und das HH Jazz Trio
audio
56:57 min.
Eva Billisich und Pfarrkaffee – Singan wia der Schnabl gwachsn is
audio
56:57 min.
Der Klang des Mülls – Götz Bury und Little Roses Kindergarten im DRZ
audio
56:57 min.
Blindbeat aus Wien – Der Name ist Programm
audio
56:57 min.
Scott Henderson – Der Fusion-Gitarrist im Interview
audio
56:57 min.
Zappanale 2023 – #4 – Paul Green, Bobby Rausch, Fred Händl, The Furious Bongos, Radz

6. Sendung (Erstausstrahlung: 26. August 2015 bei ORANGE 94.0)

Elektronische Musik – Teil 1: Back to the Roots

Diese Ausgabe von „Music Across“ beschäftigt sich mit den Wurzeln der elektronischen Musik. Den Einstieg in die Sendung macht die deutsche Gruppe „Kraftwerk“, die oft als die Pioniere elektronischer Tanzmusik, des Elektro-Pops oder auch Synthie-Pops bezeichnet werden. „Kraftwerk“ haben zwar diese Musikrichtung nicht erfunden, aber sie haben nach anfangs sehr experimentellen Arbeiten dann sehr rasch auch allgemein eingängliche Musik basierend auf ausschließlich elektronischer Klangerzeugung produziert, welche es auch in die Hitparaden geschafft hat, und damit eigentlich ausgehend von Deutschland diesem Genre zu großer Popularität verholfen. Sie haben damit auch Musiker anderer Genres beeinflusst oder inspiriert, wie zum Beispiel die britische Synthie-Pop Band „Zoot Woman“, die russische Surfband „Messer Chups“ oder die deutsche Rockgruppe Rammstein und viele weitere, die zum Beispiel das „Das Model“ sogar gecovered haben.

Zu den ersten Musikern, welche Synthesizer im Jazz eingesetzt haben, zählen Paul Bley und seine Frau Annette Peacock. Legendär ist Ihr Album aus dem Jahre 1968 „Bley-Peacock Synthesizer Show“. Annette Peacock hat aber auch Alben unter ihrem eigenen Namen herausgebracht. Am Album „I’m The One“ aus dem Jahre 1972 arbeitet Sie mit einer ganz markanten elektronischen Verfremdung der Stimme.

In den Sechziger- und Siebziger-Jahren hat sich im Bereich der elektronischen Musik sehr viel getan mit unmittelbar hörbaren Auswirkungen auf verschiedenste Bereiche der heutigen Musik, dennoch ist diese Zeit sicherlich nicht die Stunde Null für die elektronische Musik, nicht aus technischer Sicht und schon gar nicht aus musikalischer Sicht. Um bis zum eigentlichen Nährboden der späteren elektronischen Musik vorzudringen, müssen wir die Zeit um etwa 100 Jahre zurückdrehen, in die ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit hat eine ganze Reihe von Musikern versucht, über verschiedene Ansätze neue Wege in der Musik zu beschreiten. Im Wesentlichen immer, um aus dem Korsett der üblichen tonalen Systeme auszubrechen, und um neue Dimensionen in die Musik einzuführen. 1907 erschien das Buch des italienischen Komponisten Ferruccio Busoni mit dem Titel „Zu einer neuen Ästhetik der Tonkunst“. Es enthält Ausführungen zu neuen Tonskalen, Sechsteltonsystemen, aber auch Gedanken zu elektrisch erzeugten Klängen. Mit der Einbeziehung der Klangfarben als erweiternde Dimension in die Musik hat sich Arnold Schönberg beschäftigt. Ein Beispiel dafür ist „Farben“ aus „5 Orchesterstücke“, op. 16/2. Für ihre Rhythmus- und Schlagzeugkompositionen sind Edgard Varèse und Igor Strawinsky bekannt. Ein weiteres gestalterisches Element in der Musik, welches von Luigi Russolo ausführlich und systematisch beschrieben wurde, sind Geräusche, worüber er in seinem 1916 erschienenem Werk „L’arte dei rumori“ schreibt: „Wir müssen diesen engen Kreis reiner Töne durchbrechen und den unerschöpflichen Reichtum der Geräusche-Töne erobern…“. Der Einsatz von Geräuschen in der Musik wird anhand eines Werkes von Dieter Kaufmann demonstriert. Dieter Kaufmann ist einer der Pioniere der elektroakustischen Musik in Österreich. Die Umsetzung vieler Ideen dieser neuen Musik wird schon alleine durch die Möglichkeiten der elektronischen Klangreproduktion, jetzt ganz abgesehen von der Klangsynthese, massiv erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht. Denn wer kann schon eine Straßenbahn oder Autogeräusche akustisch auf eine Bühne holen, geschweige denn zu musikalischer Ordnung zusammenfügen, also damit komponieren.

Erste wegweisende Experimente zur elektrischen und elektromechanischen Klangerzeugung wurden bereits in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts durchgeführt. Einige dieser Entwicklungen waren auch eng mit der Erfindung des Telefons verknüpft. Hier sind Erfindernamen wie der Deutsche Johann Philipp Reis, der Schotte Alexander Graham Bell und der Amerikaner Elisha Gray, der seine Erfindung 1874 unter den Namen „Musical Telegraph“ vorgestellt hat, zu nennen. Wichtige Experimente hat auch der deutsche Physiker Hermann von Helmholtz mit dem nach ihm benannten Helmholtz-Resonator durchgeführt. Er konnte damit wichtige fundamentale Beiträge zum Zusammenhang zwischen Klangwahrnehmung und Addition oder Subtraktion einzelner Frequenzen liefern. Aber es wäre natürlich übertrieben, bei diesen frühen Experimenten schon von Musikinstrumenten zu sprechen.

Als erster elektromechanischer Musiksynthesizer kann das 1896 patentierte Dynamophon oder Telharmonium des Amerikaners Thaddeus Cahill bezeichnet werden. Es war ein gewaltiges 200 Tonnen schweres Instrument mit den Ausmaßen einer großen Kirchenorgel. Das Instrument wurde zwar 1906 in New York einem größeren Publikum konzertant vorgestellt, hat aber keine weitere Bedeutung erlangt, und es gibt auch keine erhaltenen Tonaufnahmen davon. Trotzdem ist es aber musikgeschichtlich sehr interessant, weil darin bereits das Prinzip der additiven Klangsynthese über Tonerzeugung durch rotierende Scheiben, welche periodisch elektrische Kontakte geöffnet und geschlossen haben, realisiert ist; ein Grundprinzip, welches in der späteren Hammond-Orgel dann zu einer Erfolgsgeschichte wurde.

Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der elektronischen Musikinstrumente ist das 1920 vorgestellte Theremin, benannt nach seinem Erfinder, dem russischen Physiker Léon Theremin. Das Theremin ist das einzige Musikinstrument, welches völlig berührungslos gespielt werden kann. Das Prinzip beruht darauf, dass durch die Kapazität des menschlichen Körpers beim Bewegen der Hände ein elektrisches Feld, welches von zwei Antennen aufgenommen wird, so beeinflusst wird, dass damit Lautstärke und Tonhöhe kontrolliert werden können. Beim Publikum bekannt gemacht hat dieses Instrument vor allem die Virtuosin Clara Rockmore, welche darauf klassische Stücke, aber auch neue Musik, welche von Komponisten wie Edgard Varèse, Percy Grainger, Joseph Schillinger oder Bohuslav Martinů speziell für das Theremin komponiert wurde, gespielt hat. Das Theremin ist im Gegensatz zu vielen anderen historischen Instrumenten nicht ganz in Vergessenheit geraten, sondern wurde sogar vom Synthesizer-Pionier Robert Moog, der übrigens auch mit dem Österreicher Max Brand eng zusammengearbeitet hat, kommerziell gefertigt, bevor er den Moog-Synthesizer entwickelt hat. Moog-Theremine sind auch heute noch kommerziell zu kaufen, und sie erfreuen sich bei Insidern sogar einer gewissen Renaissance. Es gibt auch heute noch einige wenige Virtuosen auf diesem Instrument. Die führende davon ist die Russin Lydia Kavina, die bereits als Kind noch beim 80-jährigen Léon Theremin selbst Unterricht erhielt.

Ein Instrument, das bereits 1934 patentiert wurde und einen regelrechten Siegeszug insbesondere in der Jazz-, Rock- und Popmusik angetreten hat, und bis heute wichtig ist, ist die Hammond-Orgel. Dieses Instrument wurde vom Amerikaner Laurens Hammond entwickelt, und es ist ebenso wie das in Vergessenheit geratene Telharmonium ein elektromechanischer Klangerzeuger, wo ebenfalls rotierende Zahnräder, die Tonräder, elektrische Schwingungen erzeugen, allerdings nicht durch periodisches mechanisches Öffnen und Schließen eines Kontaktes, sondern durch periodische Änderung des magnetischen Flusses im Kern einer Spule, wodurch eine Wechselspannung induziert wird. Das Instrument konnte sehr kompakt gebaut werden, und wurde daher auch in relativ großen Stückzahlen produziert. Es war zunächst als Ersatz für Kirchenorgeln gedacht, und tatsächlich ging auch ein Drittel der anfänglichen Produktion in Kirchen. Ein wegweisender Musiker auf diesem Instrument ist der Jazz-Organist Jimmy Smith.

Zum Ausklang der Sendung wird Musik von den „Beach Boys“ gespielt, wo ebenfalls thereminartige Klänge zu hören sind, womit an diesem historisches Beispiel gezeigt wird, wie die Grundlagenarbeiten der Futuristen vor 100 Jahren ihren Einzug auch in die Popmusik gefunden haben.

Musikbeispiele:

Kraftwerk, Das Model (Karl Bartos, Ralf Hütter, Emil Schult), Kling Klang 1978

Annette Peacock, I’m The One (Annette Peacock), RCA 1972

Christoph von Dohnanyi & The Cleveland Orchestra, “Farben” aus “5 Orchesterstücke”, op. 16/2 (Arnold Schönberg), Decca Music 1996

Dieter Kaufmann, Wiener Werkel (Dieter Kaufmann), rec. 1970, Classic Amadeo 1988

Clara Rockmore & Nadia Reisenberg, Ave Maria (Charles Gounod), Bridge Records 2006

Clara Rockmore & Nadia Reisenberg, Humoreske Nr. 7, op. 101 (Antonín Dvořák), Bridge Records 2006

Lydia Kavina, Free Music No. 1 (Percy Grainger), Mode 2008

Lydia Kavina, Free Music No. 2 (Percy Grainger), Mode 2008

Messer Chups featuring Lydia Kavina, Black Black Magic of Love (Oleg Fomchenkov), Solnze Records 2002

Messer Chups featuring Lydia Kavina, I’m A Wellpaid Spermadonor (Oleg Fomchenkov), Solnze Records 2002

Jimmy Smith Trio, The Preacher (Horace Silver), Creates Digger Music Group 2011

The Beach Boys, Good Vibrations (Brian Wilson, Mike Love), Capitol 1966

Ich bedanke mich bei Richard Graf für die Tipps und Materialien zur Gestaltung dieser Sendung.

Gestaltung, Am Mikrofon, Tontechnik & Produktion: Gernot Friedbacher

Lascia un commento