Haltet ein, haltet ein! Bloß weil da als Musikgenre Jazz oder Elektronic geschrieben steht, müsst ihr weder frohlocken noch die Flucht ergreifen. Denn das heute hier zu hörende Album enthält wohl diese beiden Elemente, geht allerdings in seiner Gesamtheit noch weit darüber hinaus. Der norwegische Jazz-Trompeter Nils Petter Molvaer hat sich schon früh auf die Suche nach den unterschiedlichsten psychoakustischen Klanglandschaften begeben. Und so ist auch sein Debutalbum Khmer (1997) eine abenteuerliche Expedition in allerlei Möglichkeitsformen des Hörens und Erlebens jenseits von schon längst Bekanntem. Was wurde diesem Werk nicht alles zugeschrieben, Cool-Jazz à la Miles Davis etwa, gechillt treibende Lounge-Beats à la mode, Grenzgängerei à la Brian Eno, whatever.
Dabei lässt sich unendlich viel mehr aus dieser grenzgenialen Klangsammlung heraus hören, akustische Perkussion, Ethno-Beats, ein Anton-Bruckner-Zitat, innovativste Gitarrensounds, Meeresbrandung, Nebel, Traum, Weite… Oder wie es dem Meister himselbst also nachgesagt wird:
„Für ihn gebe es diese Grenzen zwischen Klassik, Pop und Jazz nicht, wenn die Musik gut sei.“
Ich begegnete dieser inspirierenden Instrumentalmusik zum ersten Mal durch den Musikfeingeist David Reger (Gamelan Altenberg, Maracatu Minimal, Daisy O’Hara) und hatte schon kurze Zeit später die Gelegenheit, Nils Petter Molvaer und Band im Salzburger Jazzit livehaftig beizuwohnen. Nur ein einziges Mal zuvor war ich mir beim Eintauchen in eine Musikperformance nicht mehr sicher gewesen, welche Drogen da plötzlich auf mich einwirkten, wiewohl ich ja eigentlich vollends nüchtern war – und das war 1987 bei Peter Gabriel in der Wiener Stadthalle.
Vielschichtige Klänge, vereinnahmende Rhythmen und überraschende Übergänge, welche sich im Zusammenspiel als ebenso hypnotisch, psychedelisch und verzaubernd erweisen wie ein Kopfsprung in den Kaninchenbau von Alice im Wunderland, das Befreitwerden aus der Matrix oder ein mehrtägiger Aufenthalt in einem wirklich guten Phantasy-Roman.
Vor allem aber wird hier eins verstanden und auch vermittelt: Die Balance zwischen dem Aufmerksamsein und dem Abdriftenkönnen. Die Vermessung der Welt mag ja lustig sein, doch sie kann warten! Inmitten von klar umgrenzten Klangräumen darf sich die Seele ihr eigenes Neuland erschließen – und dabei zugleich im Unvermessenen verweilen.
Im Unermesslichen…