Queer steht für eine selbstbewusst perverse Entgegnung auf den heterosexuellen Wahnsinn und die Feindseligkeit gegen das Anderssein. Queerer Aktivismus wurde in Zeiten von AIDS als Form der Selbstbehauptung verstanden: Die Perversen und Unangepassten – Schwule, Lesben und Transmenschen – kümmerten sich umeinander und kämpften gemeinsam. Die Queer Theory der 1990er-Jahre griff ihre Kritik mit emanzipatorischer Zielsetzung wissenschaftlich auf. Queer hat in den vergangenen Jahren eine bedeutsame Veränderung erfahren. Queerer Aktivismus operiert häufig mit Konzepten wie „Critical Whiteness“, „Homonormativität“ und „kulturelle Aneignung“. Ein Kampfbegriff lautet „Privilegien“ und wittert hinter jedem gesellschaftlichen Fortschritt den Verrat emanzipatorischer Ideale. Oft erweckt dieser Aktivismus den Anschein, als sei hier eine dogmatische Polit-Sekte am Werk. Das Ziel ist nicht selten die Zerstörung des sozialen Lebens der Angegriffenen.
In dem Sammelband Beißreflexe widmen sich 27 AutorInnen dieser Form von queerem Aktivismus und ihren theoretischen Hintergründen aus einer Perspektive, die an die teilweise vergessene oder abgewehrte selbstbewusste Entgegnung von Queer anschließt. Die Herausgeberin Patsy l’Amour laLove hat in einer Montagsrunde zum einen die „Beißreflexe“ in den Kontext des Mottos des Open Mind Festivals „Kollektive für Individuen“ gesetzt, zum anderen aber auch Stellung zur Polarisierung, die das Buch ausgelöst hat, genommen. In der medialen Debatte um das Buch „Beißreflexe“ stehen dessen „Polemik“, die „Diffamierung“ von Queer sowie die „Psychopathologisierung“ und „Angriffe“ auf die Gender Studies im Mittelpunkt. Ein neuer Sarrazin sei erschienen, man spiele den Rechten in die Hände, es sei transfeindlich, rassistisch – ein Fall für den Giftschrank. Schon kurz nach Erscheinen des Buches im März 2017 ging es dabei vorrangig um die Frage: Pro oder contra Beißreflexe? Das Buch wurde zu einer Chiffre – die 27 sehr unterschiedlichen Beiträge und deren Inhalt gerieten in den Hintergrund. Bei weitem nicht jeder Artikel zeichnet sich durch Polemik aus; die Auseinandersetzung mit Gender Studies hat keinen zentralen Platz im Buch und die Artikel sind mit deutlicher emanzipativer Haltung verfasst. Keine Bibel ist erschienen, deren Exegese nun ansteht, sondern ein streitbarer Sammelband. Zum Streit aber fehlt zu häufig die Kenntnis um den Inhalt.
Eine Montagsrunde von ARGEkultur Open Mind Festival in Kooperation mit der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen vom 13.11.2017, Moderation: Stefan Wally. Patsy l’Amour laLove greift in ihrem Vortrag u.a. auch diese mediale Debatte auf und rückt den Inhalt des Buches wieder in den Mittelpunkt: Es geht um queeren Aktivismus und eine emanzipatorische, kritische Sexualpolitik.
Text: Patsy l’Amour laLove, ARGEkultur, Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen
Link Radiofabrik: http://www.radiofabrik.at/home/home-news-einzelansicht/article/der-radiofabrik-mitschnitt-patsy-lamour-lalove-beissreflexe-kritik-an-queerem-aktivismus-aut.html