Das optimierte Selbst und die verlorene Zukunft
In einer Welt, die immer mehr am Arsch ist, muss man sich nicht nur physisch und psychisch fit halten, sondern flexibel sein, noch mehr Verantwortung übernehmen, niemals Nein sagen, jeden Tag dazulernen und permanent Content createn. Raum für negative Vibes? Is nüscht!
Im Performance-Rausch, so die Versprechung der LinkedIn-Gurus, finde man sich selbst. Oder besser gesagt: das nach Optimierung strebende Selbst, das sich im Bemühen entwickle, die allerbeste Version seiner selbst zu erreichen.
Das Selbst ist also mit einer grundsätzlichen Unvollständigkeit geschlagen, einem Zustand permanenter Nicht-Selbstverwirklichung, weil ihm immer etwas fehlt: eine wirksamere Selbststeuerung, eine gründlichere Selbsterkenntnis, mehr Sinn, mehr Engagement, größere Resilienz oder eine positivere Einstellung zum Leben.
Egal, wie redlich man sich darum müht, sich selbst zur Optimierung zu formen – es gelingt nie ganz, weil es definitionsgemäß immer noch besser ginge, man immer noch vollständiger sein könnte und immer noch länger arbeiten müsste.
Der Optimierungszwang krallt sich den Konsumdrang, der sich an den individuellen Bedürfnissen der Menschen ausrichtet – und umgekehrt. Wir hängen uns die Smart-Watch ums Handgelenk und treten an. Gegen unsere Freunde. Gegen unsere Feinde. Gegen uns Selbst.
Ein Radio-Essay von Christoph Benkeser
Sprecher*innen: Julia Grillmayr, Benjamin Stolz, Christoph Benkeser