Wie kritische Sozialwissenschafter Staat und Kapital vor übler Nachrede bewahren!
«Mythen der Ökonomie» lautet der Titel eines Buches, welches im Frühsommer vorigen Jahres vom Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM) herausgegeben wurde. Die Sozialwissenschafter des BEIGEWUM setzen sich in diesem mit den von Vertretern der Politik, der Wirtschaft und den Medien laufend in Umlauf gebrachten Begründungen für die Notwendigkeit von Reformen wie «GehtÂ’s der Wirtschaft gut, gehtÂ’s uns allen gut», «Arbeit ist zu teuer», «Ohne Reformen ist der Wirtschaftsstandort in Gefahr», «Staatsverschuldung ist schlecht» auseinander.
In solchen Begründungen für die Notwendigkeit von Kürzungen der Sozialleistungen, Arbeitszeitflexibilisierung, Senkung der Arbeitskosten usw. berufen sich Vertreter von Politik und Wirtschaft auf eine von ihnen hergestellte Abhängigkeit der Arbeitnehmer vom Erfolg einer Wirtschaft, die, wie man den Forderungen leicht entnehmen könnte, ihr Erfolgskriterium gerade nicht im privaten Wohlergehen der Arbeitnehmer hat. Wenn der Standort gleich in Gefahr ist, falls die Arbeits- und damit Lebenszeit der Arbeitnehmer nicht noch besser als schon bisher an die Bedürfnisse der Wirtschaft angepasst werden, wenn der Lohn durch seine Höhe immerzu eine Gefahr für den Erfolg der Wirtschaft darstellt, dann wäre zumindest eine Überprüfung fällig, ob sich die Wirtschaftsweise, der die Politik vorsteht, überhaupt mit den Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Arbeitnehmer verträgt.
Die Sozialwissenschafter des BEIGEWUM ziehen einen völlig anderen Schluss. Wenn sie diese Begründungen als «Mythen — symbolisch aufgeladene Erzählungen mit zweifelhafter realer Grundlage»(S7) klassifizieren, sind sie sich vorab eines sicher — dass Arbeitnehmer häufig zu kurz kommen, liegt keinesfalls am ökonomischen Zweck einer Wirtschaftsweise namens Kapitalismus und einer Politik, die in ihm ihre ökonomische Grundlage hat, sondern daran, dass die Arbeitnehmer sich ständig Notwendigkeiten einleuchten lassen, die im Kapitalismus in Wahrheit keine oder jedenfalls nur eine «zweifelhafte reale Grundlage» haben. Mit der vorab vorgenommen Klassifizierung der zitierten Begründungen für wirtschafts- und sozialpolitische Reformen als «Mythen» bestehen sie auf der umgekehrten Lesart wie Politik und Wirtschaft: Der Wirtschaftsstandort ist ohne Reformen nicht in Gefahr, Arbeit ist nicht zu teuer für die Wirtschaft, Staatsverschuldung ist nicht schlecht, jedenfalls nicht prinzipiell.
Das wollen sie mit ihrem Buch nachweisen. Dafür haben sie «Gegenargumente aus der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zusammengetragen». Dass man mit solchen Gegenargumenten ausgestattet nicht klüger wird über das, was eine kapitalistische Ökonomie und ihre politische Gewalt, den demokratischen Staat ausmacht, das wollen wir in unserer Sendung zeigen.