„Mutter Erde“ hat uns immer schon umgeben, doch in den letzten Jahren ist sie auch noch politisch geworden. War sie einst Stoff für Mythen über Kulte um Fruchtbarkeitsgöttinnen, findet der Begriff nun mehr und mehr Erwähnung in klimapolitischen Diskursen, wird zur Namensträgerin von Umweltinitiativen. Im Angesicht des Klimawandels lässt sich die Verbundenheit des Menschen mit der Natur nicht mehr negieren.
Doch wer ist „Mutter Erde“ eigentlich? Und wie geht (Klima-)Aktivismus mit ihr? Um diesen Fragen näher zu kommen, lohnt sich mal wieder der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus. Im andinen Südamerika ist „Pachamama“ – wie Mutter Erde dort genannt wird – ein zentraler Bestandteil Indigener Ontologien. Indigenes Wissen lehrt schon lange bevor das Wort „Klimawandel“ unser ständiger Begleiter wurde die Verbundenheit mit der Erde und allen nicht-menschlichen Wesen. Das geschlechtslose Wort „Pacha“, das sowohl in Aymara wie auch auf Quechua existiert, deutet daraufhin, dass Pachamama mehr als ein bloße Erdgottheit ist. Sie ist Raum, Zeit und die Erde selbst, aber auch unser Werden und Sein mit ihr. Das macht sie zu einer sogenannten Kosmovision, einer Weltanschauung.
Doch auch Pachamama war nicht immer gleich präsent in Lateinamerika. Auch sie hat in den letzten Jahren an politischen Gewicht gewonnen. In Ecuador ist sie seit 2008 und in Bolivien seit 2009 Teil der Verfassung und damit ein Rechtssubjekt. Mutter Erde darf also mitreden. Doch die Umsetzung gestaltet sich schwierig. In beiden Ländern ist der Extraktivismus – die Schöpfung von Ressourcen wie Erdgas und Öl – weiterhin ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Das proklamierte Ziel linker Regierungen war es, die Früchte Pachamamas gerechter zu verteilen. Gleichzeitig kämpfen insbesondere Indigene Aktivist*innen gerade gegen daraus resultierenden Umweltschäden und Landnahmen. Pachamama ist auch hier ein wichtiges dekoloniales Mittel, um für die Rettung der Natur aber gleichzeitig auch um die Anerkennung von Indigenen Identitäten zu protestieren.
Erzählungen über Pachamama bewegen sich somit zwischen unterschiedlichen politischen Kämpfen. Doch wo ist die wahre Pachamama? Was passiert mit ihr in diesen Aneignungsprozessen? Und wie lässt sich bei so vielen Interpretationen von Pachamama etwas lernen?
In einem Gespräch mit der Anwältin und juristischen Beraterin Martha Salazar wird sich diesen Fragen genähert. Martha ist seit über 35 Jahren Beraterin für verschiedenste NGOs, darunter das europäische Frauenrechtsnetzwerk Wide+. Während ihrer langen Tätigkeit hat sie unterschiedlichste Indigene aktivistische Gruppen begleitet und dabei Pachamama aus vielen Perspektiven kennengelernt.
Sendungsgestaltung: Charlotte Bastam
Sprachen: Deutsch und Englisch
Im Interview: Martha Salazar
Musik:
Poesía Venenosa by Rebeca Lane
Bandera Negra by Rebeca Lane
Este cuerpo es mio by Rebeca Lane
Mehr Infos:
Agostino, Ana & Dübgeb, Franziska (2014). Die Politik des guten Lebens: Zwischen Neo-Extraktivismus und dem Schutz der »Mutter Erde« – Konfliktlinien und Potenziale lateinamerikanischer Transformationsmodelle. In: Leviathan. Vol. 42, No. 2 (267-291).
Fatheuer, Thomas (2011). Buen Vivir – Eine kurze Einführung in Lateinamerikas neue Konzepte zum guten Leben und zu den Rechten der Natur. In: Schriftenreihe Ökologie, Heinrich-Böll-Stiftung.
Tola, Miriam (2018). Between Pachamama and Mother Earth: gender, political ontology and the rights of nature in contemporary Bolivia. In: Feminist review, 118 (25-40).
Fotocredit: “Pachamama en Prado Centro” by Juan Vélez