Marie Luise Kaschnitz
Lange Schatten
In der zweiten Folge von Helga Gutwalds neuer Sendereihe geht es um die 1974 verstorbene Schriftstellerin und Büchner-Preisträgerin Marie Luise Kaschnitz. Lange fehlten ihre Texte in keinem Schulbuch, sie war berühmt. Heute gehört sie zu den eher vergessenen Autorinnen, die es unbedingt wieder zu lesen gilt.
Der 1960 erschienene Erzählband „Lange Schatten“ kann als ihr erzählerisches Hauptwerk gesehen werden.
Kaschnitz – eine genaue Beobachterin – findet in ihren Geschichten einen neuen, ganz eigenen Ton: präzise, knapp, oft bis zur Kargheit verkürzt, fast kühl – und gerade deshalb beklemmend.
Die Kurzgeschichte, die ihr als „Kostprobe“ daraus hören werdet, spielt in der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit in Deutschland.
Der namenlose Ich-Erzähler, ein Bub, Einzel- und Schlüsselkind, wahrscheinlich im Grundschulalter oder etwas darüber hinaus, berichtet, was ihm geschehen ist: Weil seine realen Eltern tagsüber nicht zu Hause sind und abends wenig Zeit für den Jungen aufwenden, weil sie damit beschäftigt sind, das Geld für Konsumgüter wie Musiktruhe und Auto zu verdienen und ihre Bekanntschaften zu pflegen versucht er mit Hilfe seiner Phantasie, seiner Einsamkeit zu entgehen.