Vive l’Europe! #08 – Steht Österreich vor einer Schicksalswahl?

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So pred Avstrijo usodne volitve?

Die Gesichter der Spitzenpolitiker_innen wirken in der finalen Phase des Wahlkampfes etwas abgespannt. Ihre Botschaften erscheinen eher seicht und farblos. Manche Slogans und Floskeln wirken polarisierend, konstruktive Lösungsvorschläge werden vielfach ausgeblendet. Es scheint, als hätte die Hochwasserkatastrophe der letzten Wochen dem Wahlkampf neuen Schwung verliehen. Könnte, erstmals in der Zweiten Republik, eine rechtspopulistische Partei als Sieger hervorgehen? Politikbeobachter sprechen von einer Schicksalswahl oder gar von einer Zeitenwende.

V zadnji fazi volilne kampanje so obrazi vodilnih politikov videti nekoliko utrujeni. Njihova sporočila se zdijo precej površna in brezbarvna. Bi lahko prvič v drugi republiki zmagala desna populistična stranka? Dr. Kathrin Stainer-Hämmerle je ena najbolj priznanih avstrijskih političnih strokovnjakinj. Le nekaj dni pred  volitvami podaja sliko trenutnih političnih razmer.

Dr.in Kathrin Stainer-Hämmerle ist eine der renommiertesten Wahlbeobachterinnen Österreichs. Nur wenige Tage vor der bevorstehenden Wahl erläutert sie ihre Einschätzungen und vermittelt ein Stimmungsbild der aktuellen politischen Lage.

 

Welches Stimmungsbild, Frau Doktorin Katrin Stainer-Hämmerle, ist einige Tage vor der Wahl, aus Ihrer Sicht wahrnehmbar?

Also die Bevölkerung ist immer noch geprägt von einem Misstrauen gegenüber der Politik. Nicht gegenüber der Politik generell, aber gegenüber den Parteien, vor allem gegenüber der Regierung und deren Problemlösungsfähigkeit. Wir wissen, wir haben sehr viele Krisen erlebt in den letzten Jahren und es scheint auch kein Ende. Und das hat nicht nur in Österreich, aber in ganz Europa, eigentlich zu einer Distanz geführt zwischen der Bevölkerung und den politischen Eliten, wenn ich sie jetzt so nennen darf, also den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern.

Was sich dann verändert hat, ungefähr in der Mitte des Intensivwahlkampfes, war allerdings das Hochwasser. Hier wurden dann doch die Themen, die diskutiert wurden in der Bevölkerung, andere. Begonnen hat es ja vor allem mit dem Thema Sicherheit. Wir erinnern uns vielleicht noch, da wurden zwei Taylor-Swift-Konzerte abgesagt in Österreich. Es gab Messerattacken in Deutschland und auch das Thema Teuerung war sehr wichtig.

Dann kam das Hochwasser und seitdem ist doch das Thema Klimawandel, das Thema Renaturierung und vor allem auch Zusammenhalt in den Mittelpunkt gerückt. Und das hat jetzt eigentlich die Chancen der Parteien etwas verändert, wenn auch sehr spät vor einem Wahltag oder sehr knapp beim Wahltag, nämlich dass die Freiheitliche Partei, die ja sehr stark das Thema Sicherheit und auch auf diese Spaltung, dieses Misstrauen zwischen den politischen Parteien und der Bevölkerung gesetzt hat, dass diese Stimmung etwas genommen wurde. Bei der Hochwasserkatastrophe haben doch sehr viele zusammengehalten, auch die Feuerwehren und das Militär, die Nachbarn, also alle waren vor Ort und haben mitgeholfen. Und andererseits ist das Thema Sicherheit vielleicht ein wenig in den Hintergrund gerückt.

Von der Themenkonjunktur konnten dann aber auch die Grünen profitieren. Die Grünen, die ja zunächst sehr in Kritik standen, gerade von konservativen Kreisen, dass ihre Umweltministerin der EU-Renaturierungsverordnung zugestimmt hat. Und auch hier wurde dieser Kritik etwas an Schärfe genommen, weil nach einem derartigen Jahrhunderthochwasser wohl niemand sagen kann, dass Renaturierung nicht wichtig wäre.

 

Die Freiheitliche Partei (FPÖ) hat laut aktuellen Meinungsumfragen gute Chancen, die Nationalratswahl zu gewinnen. Sie liegt mit etwa 27 % an erster Stelle. Warum findet diese rechtspopulistische Partei, insbesondre deren Obmann Herbert Kickl, eine so große Zustimmung?

Die Freiheitliche Partei hat am wenigsten Skrupel, die Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung aufzugreifen und vielleicht sogar auch noch zu verstärken für die eigene Stimmenmaximierung. Aber was man der FPÖ schon nicht absprechen kann, ist, dass sie seit Jahren sehr konsequent ihre Themen und ihre Forderungen kommunizieren. Also, wenn man jetzt eine Straßenumfrage macht, ist es immer relativ klar: für was steht die Freiheitliche Partei? Sei es jetzt beim Thema Zuwanderung, sei es aber auch bei vielen anderen Themen. Und das ist oft bei den anderen Parteien nicht ganz so klar gewesen. Und am Ende noch diese Zuspitzung auf den Volkskanzler mit: „Ich stehe an eurer Seite und alle anderen sind gegen euch“. Das hat natürlich schon bei einem, wie wir in den Umfragen sehen, relevanten Anteil in der Bevölkerung auch die richtige Bedürfnislage getroffen.

Andererseits muss man auch sagen, die FPÖ ist eine Oppositionspartei im Bund und kann natürlich ohne Rücksicht auf Umsetzungsmöglichkeiten eigentlich Forderungen stellen, bzw. einfach auch nur kritisieren. Das merkt man gerade beim Themenbereich Zuwanderung, wo ja sehr viel EU-rechtswidrige Vorschläge präsentiert werden von der Freiheitlichen Partei und der Hinweis darauf, dass das ja nicht EU-rechtskonform, oder auch Menschenrechts-konform wäre, wird dann einfach abgetan. Also insofern diese Mischung zwischen: ein klares Themenprofil, die Stimmung, die ihnen in die Hände spielt und natürlich auch der Vorteil einer Oppositionspartei, nichts beweisen zu müssen.

 

Beobachter der politischen Szene meinen, dass vielleicht am kommenden Sonntag, den 29. September 2024 bei der Nationalratswahl, eine neue Ära in Österreich eingeleitet würde, eine Zeitenwende in Österreich beginnt, so hört man es. Welche Szenarien sehen Sie?

Die Hauptfrage in diesem Wahlkampf war schon: wird die Freiheitliche Partei zukünftig regieren? Entweder den Bundeskanzler stellen, oder als Juniorpartner in einer Koalition vertreten sein? Diese Frage hat sich eigentlich immer durchgezogen: wer wird am Ende mit wem koalieren? Jetzt ist es etwas paradox, dass die Chancen der Freiheitlichen Partei, sollte diese auf Platz zwei landen, größer sind, dass sie in der Regierung vertreten sind, als wie wenn sie diese Wahl gewinnen. Natürlich wäre ein Wahlsieg historisch, zwar wurde bei der EU-Wahl auch schon Platz 1 erreicht, aber es wäre das erste Mal, wo die Freiheitliche Partei eine Nationalratswahl wirklich als Nummer 1 dann gewinnt, also mit der relativen Mehrheit. Aber sie würde sich schwerer tun, einen Partner zu finden, der sie unterstützt. Weil die ÖVP hat jetzt die Freiheitliche Partei nicht per se ausgeschlossen, aber auf jeden Fall Herbert Kickl als Person. Und würden jetzt die Freiheitlichen, würden sie diese Wahl mit Herbert Kickl als Spitzenkandidat gewinnen, ist es kaum denkbar, dass sie dann ihren Parteichef fallen lassen. Aber wenn er nur die Nummer zwei ist, sozusagen bei dieser Wahl, dann könnte er natürlich sich zurückziehen, in den Nationalrat als Klubobmann etwa und den anderen die Posten in der Regierung überlassen. Somit wäre wahrscheinlich „türkis-blau“, allein aufgrund der programmatischen Nähe dieser beiden Parteien, schon sehr naheliegend.

 

Gibt es weitere Szenarien auch noch?

Spannend ist ja vor allem, dass die Freiheitlichen nur deshalb so stark sind, weil die anderen so schwach sind. Also das beste Ergebnis der Freiheitlichen Partei bisher war im Jahr 1999 unter Jörg Haider mit 27 Prozent. Das werden wir sehen, ob das überhaupt erreicht wird. Was ja nichts anderes sehr deutlich zeigt, dass eben SPÖ und ÖVP so stark verloren haben an Zuspruch unter den Wählerinnen und Wählern.

Und das Hauptproblem ist, dass ÖVP und SPÖ sich so gar nicht mehr mögen und ausstehen können. Also die sind nicht nur inhaltlich weit auseinandergerückt. Die ÖVP von Sebastian Kurz sehr nach rechts, hat dadurch auch viele SPÖ-Stimmen an sich binden können, die jetzt unter Umständen wieder verloren gehen. Und die SPÖ mit Andreas Babler eher nach links. Also inhaltlich trennt diese beiden Parteien so viel wie noch nie und auch auf persönlicher Ebene scheint zwischen den Parteichefs das etwas problematisch zu sein.

Aber natürlich in der Bevölkerung gibt es schon auch viele Stimmen und auch in den Parteien, in den Landesorganisationen, etwa nach dem Ruf nach dieser früher sogenannten Großen Koalition, die sich ja gar nicht mehr ausgehen könnte, vielleicht unter Umständen ganz knapp, aber es wäre durchaus denkbar, dass hier ein dritter Partner gebraucht wird, zum Beispiel in Form der NEOS oder auch der Grünen, die dann erst eine stabile Mehrheit ermöglichen könnten. Das wäre tatsächlich auch eine Premiere in Österreich, nämlich eine Dreierkoalition, sei es jetzt mit SPÖ, ÖVP, Grünen oder NEOS.

Oder vielleicht auch, da gibt es noch eine kleine Wahrscheinlichkeit, da müssten allerdings die neuen Kleinstparteien alle am Einzug scheitern, also die Bierpartei und auch die Kommunisten vor allem. Dann gibt es sogar noch eine rechnerische Möglichkeit auf eine Mehrheit zwischen ÖVP, den Grünen und den Liberalen. Das wäre dann eigentlich noch einmal eine neue Chance.

 

Die FPÖ verfolgt eigentlich seit Jahren einen äußerst EU-skeptischen Kurs, wenn ich das so sagen darf. Welche Auswirkungen hätte es, wenn beispielsweise ein Bundeskanzler Kickl von der FPÖ Bundeskanzler wird? Wie würde da sozusagen die Position Österreichs in der EU aus Ihrer Sicht aussehen?

Also wenn man seine Aussagen, vor allem vor Funktionären und auf Wahlkampfveranstaltungen ernst nimmt, dann wäre die Position Österreichs an der Seite von Ungarn und von Viktor Orbán. Das muss man ganz klar sagen. Was zum Beispiel die FPÖ fordert, ist Aufhebung der EU-Sanktionen, ist eine Null-Einwanderungsquote, absoluter Asylstopp und auch ein Schließen der Grenze.

Er zeichnet da ja auch immer gerne das Bild von einer „Festung Österreichs“ und die Verbündeten sieht er vor allem in Ungarn, wo er auch schon mehrmals betont hat, die machen vernünftige Politik. Allerdings muss man jetzt auch betonen, dass Forderungen im Wahlkampf und dann Politik, die real umgesetzt werden kann, etwa innerhalb einer Regierung schon zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

Dennoch würde Österreich sich zu einem Außenseiter entwickeln. Auf jeden Fall wäre Österreich kein Partner mehr, um die EU zu vertiefen, zu erweitern oder eben aktiv pro-europäische Projekte auch weiter zu verfolgen. Zum Beispiel, wenn es auch um Sky Shield[1] geht – auch hier hat sich Herbert Kickl dagegen ausgesprochen, oder gar um die Unterstützung der Ukraine oder europäischer Verteidigungsprojekte.

 

In den sogenannten „Duellen der Spitzenkandidaten“, in den Medien wurden eigentlich überwältigende Zuschauerzahlen verzeichnet. Ich spreche Sie jetzt als Vorstandsmitglied der Interessensgemeinschaft für politische Bildung an und frage Sie: Politikverdrossenheit kann man daraus wohl nicht schließen, oder?

Nein, Politik interessiert die Menschen. Nicht zuletzt bei der Pandemie haben sie auch die Erfahrung gemacht, dass Politik wirklich auch Einfluss auf ihr Leben hat, dass es nicht unerheblich ist, wer regiert. Und dieses hohe Interesse ist auch ein Beweis dafür. Was allerdings nicht bedeutet, dass sie zufrieden sind damit. Also wir orten eigentlich schon ein Interesse an Politik und gleichzeitig eine hohe Unzufriedenheit. Das geht vielleicht auch Hand in Hand, je mehr man Politiker*innen rund um die Uhr auch beobachtet, auch medial immer präsentiert bekommt, desto kritischer ist man vielleicht auch gegenüber ihrer Performance.

Aber natürlich haben politische Entscheidungsträger in den letzten Jahren gerade in Österreich etwas vermissen lassen, und das ist eine respektvolle Diskussionskultur miteinander. Aber auch gegenüber anderen Feldern der Demokratie, wie der Justiz etwa. Und das färbt natürlich schon auch ab, ob man jetzt diesen Menschen zutraut, gute Entscheidungen zu treffen. Aber ja, Politik interessiert.

Diese Duelle sind auch Quotenbringer, nicht zuletzt deshalb, weil es ja hier nicht so sehr um die Programme geht, sondern vor allem um eine Einschätzung, auch der Persönlichkeiten. Also wer ist für mich vertrauenswürdiger? Wem kann ich eben die Zukunft der Republik anvertrauen, die eigene Zukunft – und sich einfach hier einen Eindruck zu verschaffen, weniger von der Partei, aber vor allem von den Fähigkeiten des Spitzenrepräsentanten.

 

Kathrin Stainer-Hämmerle ocenjuje, da se je zgodil premik v političnem diskurzu. Na začetku kampanje so bila v ospredju vprašanja varnosti zaradi odpovedanih koncertov Taylor Switft v Avstriji in napada z noži v Nemčiji, pomembno je bilo tudi vprašanje inflacije. Ob poplavah pa sta prišli v ospredje podnebne spremembe in obnova narave.

Sogovornica razloge za uspeh FPÖ vidi v tem, da že leta jasno sporočajo svoja vprašanja in zahteve, pri drugih strankah pa to pogosto ni tako jasno. Če bi ta stranka zmagala na volitvah, bi po mnenju Stainer-Hämmerle stranka težko našla koalicijskega partnerja, saj med drugim zahtevajo ničelno kvoto priseljevanja, popolno prepoved azila in zaprtje mej.

Na splošno pa Kathrin Stainer-Hämmerle ocenjuje, da se ljudje zanimajo za politiko, saj so tudi med pandemijo izkusili, da politika resnično vpliva na naša življenja, in da ni nepomembno, kdo vlada.

 

Der hier veröffentlichte Textbeitrag wurde in der Sendung am 27. September 2024 auf radio AGORA in einer leicht gekürzten Fassung ausgestrahlt.

[1] Die European Sky Shield Initiative (ESSI), ist ein geplantes Projekt zum Aufbau eines verbesserten europäischen Luftverteidigungssystems.

 

Kurzbiografie:

MMag.a Dr.in Kathrin Stainer-Hämmerle war Politik- und Rechtswissenschaftlerin an den Universitäten Innsbruck und Klagenfurt (IFF) und ist seit 2009 Professorin für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten. Lehraufträge hat sie u. a. an den Universitäten Klagenfurt und Graz sowie an der Donau Universität Krems.

Von 2005 bis 2009 war sie Vorstandmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft (ÖGPW), 2009 bis 2011 Mitglied des geschäftsführenden Herausgeber*innen-Gremiums der Österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP). Aktuell ist sie stellvertretende Vorsitzende bei der Interessensgemeinschaft für Politische Bildung (IGPB) und Vorstandsmitglied des Business Frauen Center Kärnten (BfC) sowie beim Europahaus Klagenfurt.

Sie veröffentlicht Studien und Publikationen zu Politischer Bildung, Wahlrecht, Partizipations- und Demokratieforschung. Vom Österreichischen Rundfunk (ORF) wird sie regelmäßig zu aktuellen innenpolitischen Themen oder zu Wahlanalysen eingeladen.

 

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