Helmut Weihsmann´s Jazzkiste
Eine Sendung vom Wiener Historiker, Jazzexperten, Plattensammler und DJ Helmut Weihsmann im Advent mit ungewöhnliche „jazzige“ Weihnachtsmusik aus seiner umfangreichen Vinylplattensammlung. Was für manche Snobs als kommerzielle Begleiterscheinung einer geschäftstüchtigen und irregeleiteten Popularmusikkultur ins süßestem Kitsch bezeichnet und verteufelt wird, kann für manche genüsslich sein, wenn es Stil hat. Ob Jazz überhaupt zu Weihnachten passt, ist vorwiegend eine Frage des Stils und des Geschmacks, was vorweg zu einer grundsätzlichen Problem- und Fragestellung führt. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, über Stil hingegen gibt es eindeutige Zuordnungen und Implikationen. Stil impliziert zum einen kulturelle Übereinstimmung, zum anderen Unterschiede in der musikalischen Erscheinungsvielfalt eines Genres. Aber ein allgemeiner Stil im Jazz entzieht sich jedoch griffigen Formeln, umfassenden und zugleich prägnanten Definitionen. Zwei im Jazz häufig anzutreffende und wichtige Begriffe sind „Instrumentalstil“ und „Improvisationsstil“ eines Musikers, der sog. „Personalstil“ oder „Individualstil“. Kein Wunder, ist echter Jazz eine primär improvisierte Musikform mit dezidiert subjektiven und persönlichen Nuancen, dem es dem Interpreten erlaubt möglichst frei zu entscheiden im welchen Stil er spielen möchte. Ein arabisches Sprichwort sagt. „Tradition ist geplantes Denken, Imagination ist ungeplantes Denken. Geist ist beides in einem.“ Also gerade die Uneindeutigkeit der Quellen mancher Melodien und/oder in der Vermischung des Verhältnis von (Original-) Komposition und einer überlieferten Tradition aus Gebrauch, Riten, Konvention und Klischees in der Interpretation von „Standards“ im überlieferten Musikmaterial aus Kirchen- und Broadway-Show Musik macht es so schwierig zu unterscheiden zwischen U- und E-Musik im Jazz. Ebenso die Betitelung wie der Themenbereich populärer Tunes wie die sinnlichen Weihnachts-, Hirten- und Krippenlieder altenglischer Chorale und lateinische Pastorella des 18./19. Jahrhunderts ist trügerisch, denn bei aller wertkonservativem (modalen) Charakter der Stücke zur Beibehaltung der Form, klingen die Weihnachtslieder irgendwie anders in ihrem neuen musikalischen Gewand. Die in den vorgestellten, jazzig klingenden und stark umarrangierten Christmas Songs wie Jingle Bells, Santa Claus, Deck the Halls, Holy Night et al. bilden in den gelungensten Beispielen einen spezifischen Kontrast zur Norm. Mit dem Refrain, 16 Takte im Long Meter und Form AA, des ursprünglichen Folksongs „The One Horse Open Sleigh“ ist eine der typischen Formen des populären Scatgesangs mit Swing-Orchester vorweggenommen. Im gesamten Repertoire der Spirituals, Gospels, Blues, Raps und Soul-Jazz Grooves gibt es einen gleichsam verdecktem Konservativismus, welches sich im teils krassem Wechsel der Stilmittel manifestiert, die für eine manifestierende Spannung zwischen Bewahrung und Erneuerung sorgen. Die Mehrzahl der Beispiele dieser Sendung nimmt thematisch und rhetorisch Bezug zum Cool- und Soul-Jazz, steht aber dem Swing und Third Stream in verschiedener Hinsicht näher als dem Hard Bop und dem Funk-Jazz newyorker Prägung.
Musikbeispiele
We Three Kings of Orient We Are (trad. John Hopkins) Paul Horn Quintet
God Rest ye Merry Gentleman (trad.) John Lewis & Modern Jazz Quartet (MJQ)
Jingle Bells (trad. J.S. Pierpont; arr. von Mercer Ellington) Duke Ellington Orchester
White Christmas (Irving Berlin) Lionel Hampton Orchester
Deck The Halls With Holly (trad. arr. Herbie Hancock) Studioband mit Chick Corea
Santa Claus is Coming To Town (H. Gillispie & J. F. Coats) Bill Evans Trio
Santa Claus is Coming To Town (same) Urbie Green and his Allstars
Blue X-Mas (Miles Davis & Bob Dorough) Miles Davis, John Coltrane, Bob Dorough
Es wir schon gle dumpa (trad.) Robert M. Weiss & John Purcell Duo