Teil 2 des zweistündigen Features über JG Thirlwell
Thirlwell war immer schon ein aufmerksamer Beobachter, nicht nur des musikalischen Undergrounds, sondern auch von dezidiertem Pop und Soundtracks zwischen Horror- und Hollywoodfilm seit dem 1950er Jahren. Es ist eine düstere Romantik, die uns hier entgegengebracht wird, eine Leidenschaft für die Abgründe des Menschlichen. Seine Soundscapes haben etwas Bombastisches, etwas von quasi „larger than life“. Über seine Zusammenführung von klassischen und modernen Ansätzen sagt er: „Ein Kammermusikensemble ist mein bevorzugter Synthesizer“. Wieder Thirlwell: „Ich fühle mich mit der Musik des Maestros“ – also mit Morricone – „verbunden, so lange ich mich erinnern kann. Western-Soundtracks sind in meine DNS eingebrannt.“
Diese Stunde ist den beiden Alben „Dinoflagellate Blooms“ und dem Soundtrack der TV-Cartoonserie „The Venture Brothers“ gewidmet. „Dinoflagellate Blooms“ ist die vierte Fulltime-Platte unter dem Namen Manorexia. Hier treffen wir voll auf Thirlwells Soundtrack-Visionen, von denen schon in der vorangegangenen Stunde die Rede war. Thirlwell dazu: „Für mich sind Soundtracks oft inspirierender als die Filme selbst, weil mir die Soundtracks von schlechten Filmen gefallen. B-Movies eben. Komponisten wie Jerry Goldsmith, Nino Rota oder Morricone bewiesen eine unglaubliche Vielseitigkeit und Lust am Experiment. Ich mag auch die abgedroschenen Phrasen in modernen Soundtracks. Sie sind insofern effektiv, als dass wir daran gewohnt sind und sie Assoziationen freisetzen, die in unser kollektives Gedächtnis über populäre Kultur eingebrannt sind.“
Eine Reise in die mikroskopischen Welten von Manorexia und „Dinoflagellate Blooms“. Dinoflagellaten sind maritimes Einzeller-Plankton mit Tentakeln und sogenannten Peitschen, daher der Name. Einige Arten sind zur Biolumineszenz fähig, andere sind hochgiftig. Thirlwell meint dazu: „Die ozeanischen Tiefen sind ein Leitmotiv bei Manorexia. Diese Tiefen sind wie eine fremdartige Zivilisation auf unserer Erde. Die Großartigkeit der Natur und die menschliche Dummheit bieten unerschöpfliches Inspirationsmaterial für mich.“
Manorexia ist eines der vielen Side-Projects von Jim Thirlwell, in dem er sich vor allem mit Soundtrack-Kompositionen auf einem abstrakten Level beschäftigt. Es ist ein Klangambiente, das sich aus beängstigenden Horror-Momenten à la Hammer-Films, aus industriellem Klangabfall und aus dystopischer Science Fiction zusammensetzt. Der Mythos maritimer Lebensformen spielt dabei auf Felder an, die lichtundurchlässig und trotzdem oder gerade deswegen von kristalliner Schönheit sind. Es ist Kammermusik auf dem Stand der Dinge, eine Musik, die Neuer Klassik einen Boden für aktuelles Sounddesign bietet.
Ursprünglich aus Australien stammend, kam Thirlwell in den späten 70ern nach London, um dort im brodelnden Hexenkessel der Stadt seine ersten Spuren zu hinterlassen. Dem folgte eine lange Beziehung mit der Sängerin Lydia Lunch, zusammen mischten sie nach Thirlwells London-Zeit die Szene in New York auf. Bis heute wohnt er in Brooklyn.
Literaturempfehlung: 1987 war im englischen Verlag SAF das Buch „Tape Delay“ von Charles Neal erschienen. Darin findet sich ein zehnseitiges Interview mit Thirlwell, in dem die Hochzeit englischer Industrialkultur und der maßgebliche Einfluss Thirlwells darauf umrissen werden. Als Arbeitsmethode gibt er darin an: „Ich beginne mit einem leeren Blatt Papier, danach kommen z. B. „Singing In The Rain“ und Textteile von Albert Camus, und diese Bausteine werden ineinandergefügt.“
habe die sendung goth sei dank nicht verpasst… super dieses archiv, auch wenn der zwang der zensur echt lächerlich ist…
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