Glosse über das Wesen von Geheimdiplomatie und die Nebelwolken der Verschwörungstheoretiker
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Nichtwissen ist unbefriedigend
Gedanken zum heurigen Bilderbergtreffen
2013 war die totale Transparenz beim Bilderbergtreffen angesagt. Es gab ein Pressecenter, es wurden erstmals sowohl eine Liste an Themen als auch eine der Eingeladenen vorab veröffentlicht. Aber diese neue Offenheit ist natürlich Fassade, denn worum sich die Gespräche in Watford wirklich drehten, was informell abgemacht wurde und wer was gesagt hat, wird wohl auch diesmal großteils nicht der Öffentlichkeit bekannt werden. Was den Kritikern weiterhin einzig bleibt, ist Kaffeesudlesen.
Denn beim heurigen Treffen sind zwei Dinge klar: Erstens will man der Kritik ihre Spitze nehmen und den Mythos des großen Weltregierungstreffens ein wenig dämpfen. Zweitens aber soll das Treffen auch weiterhin seinen Zweck erfüllen — und das geht natürlich nur unter der Bedingung, daß die Beteiligten sicherstellen, daß sie alle informell und ohne öffentlichen Druck sagen können, was sie sagen wollen. Das Prinzip der Geheimdiplomatie wird nicht angetastet.
Geheimdiplomatie ist prinzipiell natürlich etwas Bedenkliches, völlig inkompatibel mit dem republikanischen Grundgedanken, daß Politik eine öffentliche Angelegenheit zu sein habe. Mitunter erscheint sie notwendig und kann sogar zum Wohle der Menschheit sein.
Doch zumeist ist Geheimdiplomatie nicht grundlos verdächtig: Denn natürlich wird da viel gepackelt, was eben einer breiten Masse (und die ist ja angeblich in der Demokratie ausschlaggebend) nicht gefallen kann. Und diese Geheimdiplomatie ist im besten Falle josefinisch, im schlechtesten Falle die Packelei einer Oberschicht zur Herrschaftssicherung.
Dafür ist Bilderberg sicher eine Chiffre — mehr kann es aber nicht sein, denn Geheimdiplomatie findet auf vielen Wegen statt, da muß man sich nicht so pompös in einem Hotel treffen. Denn wenn man mit viel Trara klarmacht: ‘Wir ganz Wichtigen treffen uns da jetzt und sagen nicht, worüber wir reden’, dann mutet das nicht gerade als Großmeisterschaft der Diskretion an.
Leider gibt es auch nur ganz wenige Berichterstatter, die sich seriös mit dem Thema Bilderberg beschäftigen. Und auch gelesen werden diese Berichte nur sehr wenig, weil diese eben unspektakulär sind und nicht auf wilden Vermutungen aufbauen. Wenn man diese Webseiten ergooglen will, hat man ein Problem, weil man sich erst einmal durch hunderte Blogs von Leuten durchwühlen muß, die behaupten, ganz genau zu wissen, was sich bei den Treffen abspielt.
Die Bilderberger Art der Geheimdiplomatie stammt aus den 50ern, wo von einer Informationsgesellschaft noch keine Rede war. Aber heute will man alles wissen — und das ist gut so; eine Gesellschaft, die der Obrigkeit prinzipiell mißtraut, ist begrüßenswert. Doch wenn man in der heutigen Zeit keine Infos kriegt, ist das einfach unbefriedigend und man sucht sich Leute, die Infos versprechen — auch wenn sie sich diese aus den Fingern saugen. Da ist man dann schnell bei der Vorstellung vom “großen Plan”, nach dessen Direktiven die Entscheidungsträger wie Marionetten handeln sollen. Es stimmt wahrscheinlich schon, daß unsere offiziellen Entscheidungsträger aufgrund von Abhängigkeiten nur sehr bedingt selbst entscheiden — zwischen dem und dem großen Plan liegt aber wohl noch viel.
Man könnte sogar eine Gegenverschwörungstheorie basteln und sagen, irgendwelche Geheimdienste hätten die Geschichte vom großen Plan der Bilderberger aufgebracht, damit die Bevölkerung das Gefühl hat, es gäbe einen solchen und die Eliten wären sich einig und wüßten was sie tun (was oft genug wohl nicht der Fall ist). Oder: Bilderbergtreffen werden groß aufgeblasen um von der wirklichen Geheimdiplomatie abzulenken, wo ganz andere Sachen ausbaldowert werden. Ja, sicher, das sind Vermutungen und ich glaube sie selber nicht; sie sind in der Qualität aber auch nicht schlechter als die Behauptungen, die sich in der Mehrzahl der einschlägigen Blogs finden lassen.
Doch all diese Vermutungen bringen uns nicht weiter. Vielleicht sollten wir uns mit den materiell nachweisbaren Schweinereien beschäftigen — denn auch davon lenken die Bilderberger ab. Wer will sich schon beispielsweise mit irgendeiner hinterhältigen und schwer durchschaubaren Krankenkassenreform beschäftigen, wenn andere behaupten, die Bilderberger wollen den Großteil der Weltbevölkerung mittels Impfprogrammen umbringen lassen? Der große und vor allem leicht verständliche Skandal zieht einfach besser — auch wenn er frei erfunden ist. Derlei gab es zwar schon lange vor dem Web 2.0, aber diese Flut an Verschwörungstheorien stellt eine neue Qualität an Desinformation dar.
Wertvolle Informationen zu beschaffen und sie kritisch zu durchleuchten, bis man einen einigermaßen befriedigenden Grad an Wirklichkeitsnähe sicherstellen kann, ist eine mühselige Kleinarbeit. Und es ist unbefriedigend, wenn man an bestimmte wichtige Informationen so gar nicht herankommt. Doch davon sollte man sich nicht irritieren lassen — auch wenn die neue Informationsfreiheit des weltweiten Netzes nicht so perfekt ist, wie man es gerne hätte, so bietet sie doch die Chance einer emanzipatorischen Kommunikation. Die sollten wir uns weder von Bilderbergtreffen noch von Verschwörungstheoretikern verderben lassen. Bernhard Redl
Printfassung: http://akin.mediaweb.at/2013/14/14bilder.htm
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