Der Fall Josef S. oder die österreichische Justiz ist ein Sumpf

Podcast
VON UNTEN – Das Nachrichtenmagazin auf Radio Helsinki
  • 22jul2014_falljosef
    07:29
audio
30:00 min.
„Nur was besprechbar ist, kann auch gestaltet werden“ – Norbert Prinz | Açık Radyo in Istanbul verliert UKW-Lizenz
audio
30:00 min.
Trump gewinnt US-Wahl | „Gesetze sind in Bücher gegossene Machtverhältnisse“ – Werner Rochlitz (GPA) | Räumung Fischacker
audio
29:49 min.
„Reparieren ist selbstermächtigend und gut fürs Klima“ – Tina Zickler vom Repair Festival | Riot Not Diet
audio
28:45 min.
„Wir wollen die Vielfalt der Stadt zeigen“ – Fiston Mwanza | Graz gegen den Rechtsruck
audio
30:00 min.
Erster Jahrestag vom Massaker am 7. Oktober | Hunger. Macht. Profite
audio
29:08 min.
SOS Balkanroute: „Die Situation wird immer dramatischer, sobald es kälter wird“ | OGR Demo nach den Nationalratswahlen
audio
30:00 min.
„Wir wurden erst am 9.9. per Mail über die Schließung der Mensen informiert“ | Offensive Gegen Rechts | Hitlers Exekutive
audio
30:00 min.
Polizei interveniert beim Steirischen Herbst | Klimastreik | Bass gegen Hass
audio
30:01 min.
Sommer-Sondersendung: Ende der Letzten Generation | Pogrome in England | Räumungsversuch am Fischacker
audio
28:29 min.
Innenminister Karner ruft „Schutzzone“ im Grazer Volksgarten aus

Zusammenfassung der Geschehnisse von der Verhaftung bis zur Verurteilung.

Skript:

Josef, der kürzlich von der Stadt Jena einen „Preis für Zivilcourage“ für seinen Einsatz gegen Rechtsextremismus bekommen hat, ist heute also in Österreich verurteilt worden.

Wer noch an den österreichischen Rechtsstaat glaubt, kann sich wohl nicht mit dem Fall Josef S. auseinandergesetzt haben.

Die Zutaten dieses österreichischen Justizskandals: Eine Verhaftung ohne beobachteter Straftat. Keine Beweise außer schwindligen Zeugenaussagen von einem Polizisten, der sich von Anfang an in Widersprüche verwickelt und falsche Angaben macht. Entlastende Beweismittel, die ignoriert oder sogar gegen den Josef verwendet werden. Ein Richter, der Urlaub macht, während Josef in Untersuchungshaft sitzt. Haftbedingungen, die von Amnesty International als „menschenrechtlich bedenklich“ bezeichnet werden. Und ein Staatsanwalt, der Sachbeschädigungen mit Krieg vergleicht.

„Der Akt Josef S. verdient Aufmerksamkeit. Er zeigt nicht nur, wie schnell man in Österreich monatelang einsitzen kann und wie träge die Justiz ermittelt. Der Fall illustriert auch einen schlampigen und erbitterten Kampf der Staatsgewalt gegen linke Aktivisten. Wie schon im Fall der Tierschützer und der „Schlepper“ aus der Votivkirche brennen rechtsstaatliche Sicherungen durch, wenn das Gegenüber den Staat herausfordert,“ schreibt Florian Klenk im Falter.

Wir schauen in der heutigen Sendung zurück und fassen den ganzen Wahnsinn von der Verhaftung bis zur Verurteilung noch einmal zusammen.

Startpunkt ist der 24. Jänner, die Nacht des rechtsextremen Akademikerballs in Wien. Wie viele andere ist auch Josef nach Österreich gekommen, um gegen den Akademikerball zu demonstrieren. Seit dieser Nacht, also seit einem halben Jahr, sitzt Josef in Untersuchungshaft. Das bedeutet: sechs Monate in einer Zelle, 22 Stunden pro Tag. Und das ohne Verurteilung.

„Wenn sie mich gehen lassen, haben sie keinen anderen,“ sagt Josef in einem Falter Interview. Tatsächlich scheint es so, als ob Josef für alles herhalten muss, was in der Nacht des Akademikerballs auf der Straße passiert ist. Während Tausende friedlich gegen den rechtsextremen Ball demonstrierten, beteiligten sich einige der Demonstrant*innen an Sachbschädigungen. Scheiben wurden eingeschlagen, Polizeiautos wurden beschädigt. Josef soll laut Staatsanwalt zentral für die Ausschreitungen gewesen sein.

Josef wird in der Nacht des Akademikerballs um 20 Uhr vor dem Burgtheater von der Wega verhaftet. Davor wurden die Beamten per Funk informiert, dass ein junger Mann mit Wuschelkopf und auffäliger Jacke ein gefährlicher Rädelsführer ist. Josef passte in die Beschreibung, wurde von den Beamten mitgenommen und sofort inhaftiert. Wenige Stunden nach der Verhaftung schreibt ein Rechtsschutzrichter in den Akt, es sei „eine hohe unbedingete Haftstrafe“ zu erwarten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Josef noch nicht einmal eine Aussage gemacht.

Angeklagt wird Josef schließlich wegen Landfriedensbruch, schwerer Körperverletzung und schwerer Sachbeschädigung. Beweise gibt es für die Vorwürfe praktisch keine. Die Polizei drückt das so aus „Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass S. Auslagenscheiben einschlug, (…) aber es kann ihm keine Straftat zugeordnet werden.“

Hauptbelastungszeuge ist ein Polizist, der behauptet, Josef die ganze Nacht undercover auf den Fersen gewesen zu sein. Der Polizist gibt zu Protokoll, er habe Josef „eindeutig“ als Rädelsführer erkannt und ihn Kommandos rufen sehen. Außerdem gibt der Polizist an, Josef habe immer wieder telefoniert und telefonische Anweisungen durchgegeben. Eine Rufdatenrückerfassung widerlegte diese Aussage. Als Beweismittel bringt der Polizist ein Video ein, auf dem zu hören ist, wie jemand „Tempo! Tempo! Weiter! Weiter!“ ruft. Das sei, so der Polizist, „eindeutig und zweifelsfrei“ Josef S. gewesen. Später ergibt ein Stimmgutachten: es war mit Sicherheit nicht Josef, der in dem Video zu hören ist.

Außerdem soll Josef mit einem Metallmistkübel geworfen haben. Auf einem ORF Video ist zu sehen, dass Josef tatsächlich mit einem umgefallenen Mitskübel hantiert, allerdings nur um ihn wieder aufzustellen.

Doch es hilft alles nichts: die Enlastungsbeweise werden gegen Josef verwendet und er muss weiterhin in U-Haft bleiben. Das wird vom Oberlandesgericht etwa so argumentiert: „Der Angeklagte gestand in seiner gerichtlichen Vernehmung zu, einen Metallmistkübel in Händen gehalten zu haben und damit bei den Ausschreitungen jedenfalls anwesend gewesen zu sein.“ Wie auch schon der Rechtsschutzrichter, rechnet das Oberlandesgericht bereits mir einer „hohe und unbedingte Freiheitsstrafe“. Zusätzlich akzeptiert das Gericht, dass der Hauptbelastungszeuge seine Aussage bezüglich des Videos einfach ändert. Eine Verwechslung ändere nichts an der Glaubwürdigkeit des Polizisten, so das Gericht.

So ähnlich geht es im Gerichtsprozess weiter. Heute, am Dienstag, wurde ein weiteres skurriles Detail bekannt. Der Hauptbelastungszeuge ist in der Nacht des Akademikerballs selbst verhaftet worden. Das bedeutet, dass Personen entweder willkürlich festgenmommen wurden, oder der Polizist selbst eine Straftat begangen hat.

Zum Schluss noch ein paar Worte über den Staatsanwalt Hans Peter Kronawetter und dessen unverhältnismäßige und geschmacklose Rhetorik. Kronawetter bezeichnet die Mitglieder des schwarzen Blocks als „Demonstrtaionssöldner“, die in einer „kohortengleichen Formationen“ in einer „martialischen Phalanx“ auftraten. Kohorten waren eine militärische Einheit im römischen Reich und eine Phalanx ist eine „dichtgeschlossene, lineare Kampfformation schwerbewaffneter Infanterie mit mehreren Gliedern“. Der Staatsanwalt zeichnet ein Bild von kriegerischer Zerstörung, von Kampftruppen, von Schlachtformationen. Als wäre jemand getötet worden. Im Verfahren heute kam ein anderer Staatsanwalt zum Einsatz. Staatsanwalt Leopold Bien stand in seiner Rhetorik seinem Kollegen Kronawetter aber nichts nach. So sprach Bien heute von „Terrorismus“ in einem Verfahren in dem es um Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Körperverletzung geht und wo sachliche Beweise fehlen.

Die Kriegsrhetorik hat anscheinend gegriffen. Josef wurde heute, am Dienstag, zu 12 Monaten Haft, 8 davon bedingt, verurteilt. Der Schuldspruch erfolgte laut Richter zum Großteil wegen der Ausführungen des Belastungszeugen.

Napsat komentář