Erich Klinger als Gastgestalter dieser Sendung hatte diesmal Karin Jahn zu Gast.
Die 1942 in Prag geborene und seit 1949 in Wien lebende Autorin Karin Jahn schreibt über sich in der Kurzfassung ihrer Biografie:
Karin Jahn ist im Lauf ihres Lebens unterschiedlichsten bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten nachgegangen, darunter auch solche, die man im weitesten Sinn als publizistisch bezeichnen kann. Publikationen in diversen (auch Literatur-)Zeitschriften, Anthologien, Lesungen und andere Auftritte, Übersetzungen, Nachdichtungen, Videoarbeiten, Filmvertonungen, Beiträge für den Hörfunk. Lektorin für diverse Buchverlage. Zwei(im Underground erfolgreiche) Einzelpublikationen: Die Revolution der Präservative, Über das Lachen. Zwei unaufgeführte Theaterstücke: Die Frau Lintschi, Ihr Auftritt steht bevor. Auch sonst zahlreiche unveröffentlichte literarische Texte. In von mir interpretierter Verknüpfung zu diesem letzten Satz schreibt Jahn als Schluss ihrer umfangreicheren Biografie: Kaum Versuche irgendwas irgendwo zu publizieren, da ihr erstens die quantitative Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage bewusst und zweitens der so genannte Literaturbetrieb zuwider ist.
Zwischen zwei Gesprächsteilen, zu Beginn der Sendung und gegen Ende der Sendung zu, las Karin Jahn die Erzählungen „Praterstern“ und „Der Wahnsinn der Normalität“ sowie in einem neueren Text einen vor einer Grabstätte stattfindenden Dialog zwischen einer älteren Frau und deren Mutter, die aus dem Grab heraus antwortet.
In den beiden Gesprächsteilen kam Karin Jahn auf ihre frühe Kindheit, zwischen Mühlviertel, Urfahr und Wien zu sprechen, darüber, was ihr an Rassismus in den 1950ern, 1960ern untergekommen ist, über ihre „Schatten-Existenz“ als Ghostwriterin für einen afrikanischen Journalisten, über ihre Aversion gegen den Literaturbetrieb, den sie durch ihre Tätigkeiten u.a. als Lektorin hautnah kennengelernt hatte, das eigene Schreiben, das sich nicht verbiegen lassen, das sich wie ein roter Faden durch ihr Leben zog und über ihre sehr nüchterne und sachliche Sicht auf die Dinge, die sie dennoch nicht verbittert werden ließen.
Über zwei Arbeiten von Karin Jahn (zur Veranschaulichung):
Die Sammlung kurzer Erzählungen aus verschiedenen Wiener Grätzeln, entstanden 1997 und Bezug nehmend auf Erlebtes und Wahrgenommenes vor allem aus den 1980ern, die mir Jahn unter dem Dateinamen Praterstern geschickt hat, gefällt mir ausgesprochen gut. In den mit Straßen- und Stationsnamen betitelten Texten kommt deutlich zum Vorschein, dass Karin Jahn eine aufmerksame und in der Wiedergabe genau formulierende Beobachterin ist, die sich keiner sprachlichen Ausschweifungen bedienen muss(te), um Wirkung zu erzielen.
Dazu ein kurzer Ausschnitt aus der Erzählung Fasangasse: “In der Fasangasse befindet sich eine Städtische Bibliothek, in der auch Veranstaltungen stattfinden. Dort las im Jahr 1987 der Dichter Gustav Ernst aus einem Roman (Frühling in der Via Condotti, E.K.), der aus mir bis heute unbegreiflichen Gründen von der Kritik ignoriert bzw. niedergemacht wurde. Er ist witzig und poetisch, drastisch und präzise zugleich und handelt von einem Ehepaar, das auf einer Reise das vergangene Glück wiederfinden will. Der Autor las u.a. eine Stelle vor, in der das Ehepaar streitet, ob eine Dusche am Zimmer notwendig sei. In der ersten Reihe saß ein älteres, offensichtlich entrüstetes Paar. Sofort nach der Lesung sagte der Mann so laut, daß es jeder hören konnte: „Maßlos übertrieben. Widerwärtig. So was gibts in der Wirklichkeit nicht.“„Genau“, sagte die Frau, „ich kenne niemanden, der so redet. Zumindest nicht in unserem Bekanntenkreis.“ „Ja“, sagte der Mann. „Niemanden. Höchstens den Otto und die Maria.“
In ihrer 2006 geschriebenen Erzählung “Der Wahnsinn der Normalität”, die in Zusammenhang mit einem thematisch nahe liegenden Symposium des Ernst Kostal entstand, stellt Karin Jahn eindrücklich dar, mit welchen Widersprüchen und Mängeln in der Behandlung sie sich als Patientin nach einem folgenschweren Haushaltsunfall konfrontiert sah. Wo sie klare Richtlinien, welche Bewegungen sie in der ersten Zeit nach der Operation an Hüfte und Bein unterlassen müsse, erwartet hatte, wurde sie bis zur Überstellung ins zweite Spital im Unklaren gelassen. Ihre Ängste, sich zu Hause nach der Entlassung nicht mehr ohne fremde Hilfe zurecht zu finden, fanden wenig Gehör. Und auf der dritten Station ihrer “Wiederherstellung” erfuhr sie, dass der Gang mit einer Krücke, dessen weiteres Training man ihr bei der Entlassung aus dem zweiten Krankenhaus empfohlen hatte, schädlich sei, weil sie sich dadurch einen schiefen Gang angewöhnen würde. Jahn beschränkt sich in ihrer Erzählung nicht auf ihre persönliche “Leidensgeschichte”, sie sucht zu ergründen, welche Mechanismen im Umgang mit – in diesem Fall – physisch kranken Menschen wirksam werden, die eine bessere Behandlung von PatientInnen vereiteln. Und sie erzählt auch, dass sie von ihren Zimmernachbarinnen einiges Interessantes erfahren habe, zur Illustration zählt sie deren Berufe bzw. Tätigkeiten auf. Zwei 81-jährige Mitpatientinnen außerhalb des Zimmers wirken dagegen eher wie Gestalten aus einem Gruselkabinett. Die eine dem Vater verhaftet, der sich als Rechtsanwalt der Verteidigung nationalsozialistischer Kriegsverbrecher verschrieben hatte, die andere im Versuch, der Autorin einzureden, dass die heutige Geschichtsschreibung die nationalsozialistische Zeit verfälsche, weil es da auch viel Gutes gegeben habe.
Musik: Attwenger; Fräulein Hona; Laura Korhonen & Treeoo; Shy sowie kurz nach dem Jingle am Schluss: Donovan.