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Analyse eines halben Jahres wienerpolizeilicher Bürgernähe über Twitter und APA-OTS – und was das mit der medialen Rezeption zu tun hat…

*

Manuskript:
Seit einem halben Jahr gibt sich die Landespolizeidirektion Wien total offen. Weil die haben da jetzt Twitter. Das hat man sich von den Berliner Kollegen abgeguckt, die twittern ja auch und das kommt wirklich gut im Volk an, das jetzt endlich erfährt, wie hart der Polizistenalltag doch ist. Zumindest erhofft man sich diesen Lerneffekt bei den Polizeien in Wien und Berlin.
Denn die Wiener Polizei hat sich gerade in den letzten Jahren so einiges anhören dürfen — und das nicht nur von den sowieso nicht satisfaktionfähigen Linksradikalen, die an unserer lieben Polizei ja nie ein gutes Haar lassen, sondern durchaus auch von bürgerlichen Medien. Denn Journalisten sollte man einfach nicht aussperren oder gar hauen, die nehmen das krumm und können sich öffentlichkeitswirksam wehren.
Also wird getwittert. Damit man auch was zum Verlinken hat, stellt die Wiener Polizei ihre APA-Aussendungen jetzt öffentlich zugänglich. Bislang war es nämlich so, daß die Landespolizeidirektionen zwar recht fleißig in Presseaussendungen waren, die auch über den Originaltextservice der Austria Presse Agentur gingen, doch diese wurden nicht auf der APA-OTS-Website veröffentlicht — möglicherweise, damit nicht auffällt, wie wortgetreu und unhinterfragt die meisten Massenmedien die Polizeiaussendungen übernehmen.
Aber jetzt gibt es zumindest von den Wienern Transparenz. Und so kommt auch die akin in den Genuß von im Schnitt fünf Aussendungen der hiesigen Schmier pro Tag. Da liest man dann solche markerschütterndenen Schlagzeilen wie: “Fahndung nach Handtaschenräuber” oder “Wien-Ottakring: Mutmaßlicher Autoeinbrecher zerschlägt Scheibe mit Schirmständer”.
Allerdings lohnt es sich mitunter doch, auf den Betreff zu klicken und nachzulesen, was die Polizei da so berichtet: “Festnahme nach Widerstand gegen die Staatsgewalt in Wien Brigittenau — Am 30.4.2015 um 00.35 Uhr wurden Polizeibeamte wegen übermäßigen Lärms in eine Wohnung am Mortaraplatz gerufen. Der 29-jährige Wohnungsmieter zeigte sich völlig uneinsichtig und attackierte die Beamten. Er wurde festgenommen, zwei Polizisten wurden verletzt. In der Wohnung wurde ein faustgroßer Klumpen Marihuana sichergestellt.” Ahja! Fällt da jemand etwas auf? Also eigentlich müßte zuerst einmal ein Gericht feststellen, daß das wirklich so passiert sei, bevor man das angebliche Geschehen überhaupt so darstellen kann. Ein solches Gericht wird zwar wahrscheinlich eh so urteilen, da außer dem Beschuldigten wohl nur die beiden Polizisten als Zeugen aussagen werden, trotzdem müßte da wenigstens formhalber stehen: “Es gilt die Unschuldsvermutung.”
Doch derlei ist man ja gewohnt. Nur da geht es schon noch weiter: Wenn der Mann so uneinsichtig war, wird er die Beamten wohl nicht in seine Wohnung gebeten haben. Wieso konnte da irgendetwas sichergestellt werden? Durchsuchungsbefehl wird es keinen gegeben haben und “Gefahr im Verzug” ist hier auch nur schwer konstruierbar — aber das ist wurscht, man hat ja etwas gefunden, also war die Polizei im Recht. Oder?
Die gleiche Botschaft vermittelt folgende Aussendung: “Am 17.04.2015 in der Zeit von 16.30 und 00.00 Uhr führten Beamte der Bereitschaftseinheit Personenkontrollen durch. Bei einem 19-Jährigen stellte sich heraus, dass er wegen mehreren Eigentumsdelikten auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien festzunehmen ist. Ein 36-Jähriger wurde in der Wehlistraße kontrolliert und ebenfalls aufgrund einer Festnahmeanordnung wegen eines Suchtmitteldeliktes festgenommen.”
Nur: Mit welcher Begründung wurden die Personenkontrollen durchgeführt? Darüber schweigt die Chronik. Das Sicherheitspolizeigesetz bietet zwar für jede Gelegenheit eine passende Ausrede, aber ganz ohne Begründung darf die Polizei das eigentlich nicht. Dem Volk wird so mitgeteilt: Wir haben wen festgenommen, also waren die Kontrollen gerechtfertigt und wir müssen keine Begründungen liefern — ganz nonchalant wird so medial österreichische Realverfassung konstruiert.
Und so geht das Tag für Tag über die Ticker und dank der neuen Offenheit der Wiener Polizei kann man jetzt nachlesen, was man immer schon vermutet hat: Der lockere Umgang mit Vorverurteilungen und Grundrechtsverletzungen im Boulevard ist nicht zuletzt den Presseaussendungen der Kibarei zu verdanken.
Wobei die Wiener Polizei beim Twittern in der Tugend des Keinen-Genierer-Habens noch ein klein wenig lustiger unterwegs ist als die Berliner Kollegen. Beim Account der Berliner Polizei weiß man wenigstens, daß man so tun sollte, als wäre man seriös. Denn @polizeiberlin liest selbst nur einen einzigen Twitter-Account, nämlich @BVerfG, also die Pressemitteilungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Die Berliner signalisieren damit: Wir verfolgen ganz genau die Entscheidungen des Höchstgerichts, um immer ganz genau zu wissen, was rechtmäßig ist und was nicht. Die Wiener (@LPDWien) folgen hingegen zwei Twitter-Accounts: Dem der Berliner Kollegen und dem eines “Krone”-Journalisten. Und sonst niemandem. Das sagt irgendwie auch was aus….
Update nach Redaktionsschluß: Mittlerweile folgt die Polizei der Krone zumindest auf Twitter nicht mehr. Immerhin ist denen doch noch aufgefallen, das sowas verräterisch sein kann…

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