Er- und Überleben im Pop: Mitschnitt der Vorträge von Heinrich Deisl und Kristina Pia Hofer. Das im Herbst 1990 gegründete Wiener Vierteljahresmagazin skug – Journal für Musik nimmt die einhundertste Ausgabe zum Anlass für das Symposium Pop – Diskurs – Kritik: Musikjournalismus und Popkulturforschung zwischen Academia, Bohemia und Prekariat, das sich mit aktuellen Positionen zu Popkultur, Musikjournalismus und medialen Pop-Rezeptionen auseinandersetzt.
Überall werden Krise, Entpolitisierung und Ökonomisierung von Kultur konstatiert. Aufgrund dramatischer Veränderungen im Printsektor – symptomatisch dafür das Print-Ende des Berliner Magazins de:bug -, Prekarisierungstendenzen in wissenschaftlichen, künstlerischen und journalistischen Bereichen sowie einer allenfalls schrittweisen Etablierung österreichischer Popkulturtheorie orten wir dringenden Handlungsbedarf.
Welche Möglichkeiten bestehen, fundierte Popkritik medial abzubilden? Wie lassen sich Wissenstransfers und Alltagspraxen von, mit und durch Pop gestalten? Welche hegemonialen und medialen Verhältnisse resultieren daraus? Pop als konsensualer Dissens? Wie läuft Informationsakkumulation vor/mit dem Internet? Wie kann 2014 über Pop als politische Utopie, soziokultureller Gegenstand, Erzählung, Forschungsinhalt und künstlerisches Konzept gesprochen werden? Bleibt bloß die Alternative Ankündigungsjournaille versus leidenschaftliche Nerdigkeit? Siehe dazu auch Gabriel Mayrs Artikel «Musikjournalismus: Stillstand zwischen Hype und Nostalgie» in skug#100.
Abstracts:
Heinrich Deisl
Popmusikjournalismus: Krise als Auftrag
Durch die Möglichkeiten des Internets wurden sich radikal verändernde Interaktionsverhältnisse zwischen Sender und Empfänger bzw. zwischen Konsument und Rezipient eingeleitet, die eine rhizomatische Verteilung und damit eine Einebnung traditioneller Musikkritik-Positionen bewirkten. Wodurch die angestammte Musikkritik sowohl an ihrer Legitimität wie an ihrer damit einher gehenden hegemonialen Stellung zur Diskursbildung stark einbüßte. Aber sind Kritik und Diskurs denn medial gebundene Angelegenheiten?
Pop lebt davon, ein allgemein verfügbares Gebrauchsgut zu sein. Ist gerade Pop nicht eine ideale Spielwiese dafür, dass alle mitmachen können? Es ging jedoch nie um ein bloßes »anything goes«, im Gegenteil. Krise, Entpolitisierung, Ökonomisierung der Kultur bei gleichzeitiger Kulturalisierung von Politik, das Leben als große Party?
Das skug Symposium will zeigen, wie heterogen aktuell über Pop und seine medialen, theoretischen und praktischen Darstellungsformen gedacht und gesprochen werden kann. Denn klar ist: die Probleme, Diskussionsgrundlagen und besonders der Spaß, sich über Pop den Kopf und die Tanzbeine zu verbiegen, werden nicht weniger. Wahrscheinlich standen Pop und Pop(ulär)kultur noch nie vor so zwingenden politischen, kulturellen, sozialen und medialen Herausforderungen als jetzt.
Mag. Heinrich Deisl ist skug-Chefredakteur, Bereichsleiter Kunst + Kultur beim Campus & City Radio 94.4 und Dissertant an der Wiener Akademie der bildenden Künste.
Kristina Pia Hofer
Ausnüchtern am Aufmerksamkeitsmarkt? DIY-Ideale und Selbstoptimierungszwang
Ob Proto-Punk der 1960er, Punk und Post-Punk der 1970er, Budget Rock der 1980er, und Riot Grrrl und Anarchopunk der 1990er: die Formel «do it yourself, do it together» versprach eine umgehende Einlösung des emanzipatorischen Potentials des wilden, lauten, und dreckigen Musikmachens – nämlich die Ermöglichung einer Produktionszone, in der andere (und bessere) Umstände gelten als auf dem hegemonialen Markt. Junge und gegenwärtige ökonomische, politische und kulturelle Entwicklungen wie jene zum Mainstream der Minderheiten (Holert/ Terkessidis 1996) drohen dieses Versprechen auszuhöhlen.
Wie kann ein Ethos des Selbermachens gegenüber neoliberalen Subjektivierungszwängen antikonforme Kanten behalten? Inwieweit kann «unabhängige» Selbstausbeutung um der Sache willen im Zeitalter des unbezahlten Praktikums noch eine gegenkulturelle Strategie darstellen? Was bedeutet das emanzipatorische Versprechen in Trash, Dreck, und «everyone can do it» nach der umfassenden Maistreamisierung von «Reality»-Formaten in der populären Massenkultur? Wo liegt die politische Relevanz einer popkulturellen Absage an gesellschaftliche Konformität, wenn weichgespülte «diversity policies» drohen, ihre Freaks und Monsters zu guten StaatsbürgerInnen zu machen, solange diese nur für sich selbst sorgen? Braucht DIY-Kultur angesichts der Aufweichung und Entgrenzung von Pop neue Trennlinien und Dichotomien?
Der Beitrag geht diesen Fragen anhand von Beispielen aus lokalen Wiener Communities nach.
Dr. Kristina Pia Hofer war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Frauen- und Geschlechterforschung der Johannes Kepler Universität Linz und ist Lektorin an der Abteilung für Medientheorie auf der Universität für angewandte Kunst Wien und Musikerin (u.a. Ana Threat).
Infos zur Veranstaltung inkl. der weiteren und vollständigen Abstracts hier.
Das skug-Symposium fand am 22.10.2014 im Wiener Club fluc statt.