Hörstolperstein Heinrich Schönberg – Salzburg

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Manches wurde schon über Arnold SCHÖNBERG und den judenfeindlichen Ort Mattsee geschrieben, wenig aber über den im Schatten des prominenten Bruders stehenden Heinrich Schönberg, geboren am 29. April 1882 in Wien, Bassist und Opernsänger in Prag, wo sein Großvater mütterlicherseits, Gabriel NACHOD, jüdischer Kantor gewesen war. Seine Enkel wechselten den Glauben, zuerst Arnold und dann Heinrich, der am 6. Jänner 1917 in Wien, in der evangelischen Pfarre AB, eine Katholikin aus Salzburg heiratete: Berta oder »Bertel« OTT, eine Tochter des Bürgermeisters der Stadt Salzburg, Max OTT, der »Großdeutscher« war, wohl ein Liberaler und kein Rassist, andernfalls hätte sein Schwiegersohn nicht rund zwei Jahrzehnte im Bürgermeisterhaus, Chiemseegasse 6, 1. Etage, nahe der Salzburger Landesregierung im Chiemseehof, wohnen können – rare, im Privaten überlebende Exemplare einer deutschliberalen Gesellschaft, eine Symbiose, die mit dem Machtwechsel im Chiemseehof entzweibrach.

Hörstolperstein Heinrich Schönberg

Wir wissen nichts Näheres über familiäre Konflikte im Bürgermeisterhaus, gewiss ist bloß, dass Heinrich SCHÖNBERG wegen der Nähe zur nationalsozialistischen Machtzentrale im Mai 1938 ausziehen musste, er jedoch gemeinsam mit seiner Frau, der das Haus Chiemseegasse 6 zur Hälfte gehörte, und ihrer damals 20-jährigen Tochter Margit nach Parsch übersiedelte. Ehe und Familie blieben noch intakt. Am 10. März 1941 wurde Heinrich SCHÖNBERG von der Gestapo verhaftet: »wegen Verdachtes des Besitzes falscher Urkunden […] Der genauere Grund der Inhaftierung konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, zumal im Jahr 1945 die bei der Polizeidirektion Salzburg verwahrten Akten verbrannt bzw. vernichtet wurden«, heißt es im Schreiben der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 1. September 1950. Unerwähnt bleibt darin Heinrich SCHÖNBERGS jüdische Herkunft, die unterm NS-Regime nicht verheimlicht werden konnte. Die Gestapo brauchte aber einen Vorwand, indem sie Heinrich »Israel« SCHÖNBERG, den Konvertiten in einer interkonfessionellen Ehe und Schwiegersohn eines verdienten Salzburger Bürgermeisters, unter dem Verdacht eines Verbrechens verhaftete und dabei ihr Vernichtungsziel verfolgte.

Am 23. April 1941 starb Altbürgermeister Max OTT 85-jährig, dem zu Ehren schon zu Lebzeiten in Salzburg ein Platz benannt worden war. Am folgenden Tag wurde sein Schwiegersohn, der sich im Polizeigefangenenhaus Salzburg eine Infektion, Sepsis, zugezogen hatte (ohne Fremdeinwirkung laut offizieller Darstellung), in das Inquisitenspital des Landesgerichts eingeliefert, wo der Gestapo-Häftling zu lange unbehandelt blieb. Im Landeskrankenhaus kam der chirurgische Eingriff, die Amputation des vergifteten Armes, zu spät. Am 1. Juni 1941 war der 59-jährige Heinrich SCHÖNBERG tot.

Davon erfuhr sein Bruder Arnold, der mit seiner Familie in die USA emigrierte und in Los Angeles lebte, im Brief vom 17. Juni 1941, den seine Nichte Margit in Salzburg geschrieben hatte – ein berührender, an ihre Tante Gertrude, Arnolds Ehefrau, adressierter Brief, der die nationalsozialistische Zensur zu durchlaufen hatte und daher wie eine literarische Camouflage zu lesen ist:

Salzburg, den 17. Juni 1941

Liebe Tante Trude!

[…] Heute muß ich Dir und Onkel Arnold nun die traurigste Nachricht vom Tode meines armen Vaters mitteilen. Papa hatte noch so viel durchzumachen, nach 2maliger Operation wurde der vergiftete Arm zuletzt noch abgenommen und einige Tage später, am 1. Juni, Pfingstsonntag ist mein Vati für immer von uns gegangen. Ich bitte Dich, Onkel Arnold dies mitzuteilen. Es wird ihn ja begreiflicherweise sehr erregen, deshalb habe ich auch den Brief nicht direkt an ihn adressiert. Gleichzeitig bitte ich Euch, uns nicht böse zu sein, daß wir nicht früher geschrieben haben – wir waren selbst so fassungslos traurig, daß wir einfach nicht dazu imstande gewesen wären. Telegramme sind uns ja leider unmöglich. Liebe Tante Trude, Du kannst Dir ja sicher denken, was dieses Unglück für uns – besonders für meine Mutti – ist. Vielleicht weißt Du, wie glücklich meine Eltern waren, das konnten sogar die vielen Enttäuschungen der letzten Zeit und all das Schwere, was Papa durchmachen mußte, nicht trüben. Er hat ja nicht nur physisch sondern auch psychisch sehr gelitten. […] Das ist ja innerhalb kurzer Zeit der zweite geliebte Mensch, den wir verloren. […]

Nun nochmals alles Liebe Eure Gitti

Margit SCHÖNBERG, geboren am 3. Mai 1918 in Salzburg, katholisch getauft, eine hochsensible junge Frau, die unterm NS-Regime als »Halbjüdin« galt, zerbrach an ihrem gewaltbedingten Leiden, ging an ihrer Isolation psychisch zugrunde, wurde zwar am 4. Mai 1945 befreit, konnte aber nicht geheilt werden. Sie starb 58-jährig in der Landesheilanstalt und wurde auf dem Kommunalfriedhof, Gruppe 113, im Grab ihres Vaters beigesetzt, zwei Jahre danach ihre Mutter, die 93-jährige Witwe Berta SCHÖNBERG.

 

Recherche: Gert Kerschbaumer; Foto: Arnold Schönberg Center, Wien
Gestaltung & Produktion: Felix Freisinger

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