Das erste Wiener Lesetheater – „Frauen lesen Frauen“ – widmete sich diesmal der belgischen Schriftstellerin Madeleine Bourdouxhe (1906 – 1996). Sie gehörte in den 30-er Jahren zum literarischen Kreis um Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Ihr Hauptthema sind die Einsamkeit und das Empfinden von Frauen, ihre Wünsche und ihr Begehren stehen im Mittelpunkt. In vielen ihrer Erzählungen beschreibt sie die Verbindung von Liebe und Gewalt ganz und gar aus der Sicht von Frauen. Den Großteil ihrer Romane und Erzählungen schrieb Madeleine Bourdouxhe in den 30-er und 40-er Jahren, später geriet ihr Werk etwas in Vergessenheit. Erst Ende der neunziger Jahre wurde sie auch im deutschsprachigen Raum wieder entdeckt und verlegt.
In zwei Teilen (Summerau96 Ausgabe November und Dezember) lesen die Autorinnen drei solcher Erzählungen über Liebe und Gewalt, ausgewählt von Judith Gruber-Rizy, aus dem Erzählband „Wenn der Morgen dämmert“: „Anna“ ist in der November Ausgabe von Summerau96 zu hören sowie “Ein Nagel, eine Rose” und “Louise”, die in der Dezember Ausgabe zu hören sind.
Es lesen: Judith Gruber-Rizy (Einführungstext, Textauswahl und Gestaltung), Heidi Hagl, Eva Holzmair-Ronge, Elisabeth Krön, Christa Nebenführ, Angelika Raubek, Gabriela Schmoll.
Aufnahme: Angelika Raubek (Mittschnitt der live Lesung am 5. Mai 2015 im Republikanischen Club in Wien)
Sendungsgestaltung: Wally Rettenbacher
Sowie ein Dank für einen Teil der Musikauswahl (Arno) an Benjamin Rizy.
Musikauswahl (Teil 1 und Teil 2):
Arno – Miss Nell
Arno – Ma femme
Arno – Lonesome Zorro
Jaques Brel – Je ne sais pas
Edith Piaf – Padam padam
Arno – Lola etc.
Christine and the queens – Christine
Jaques Brel – ne me quitte pas
Arno – Martha ma douce
Edith Piaf – La vie en rose
Arno – Marie tu m´as
Arno – Ils ont change ma Chanson
Zu Madeleine Bourdouxhe:
Madeleine Bourdouxhe wurde 1906 in Lüttich in Belgien geboren. Während des 1. Weltkrieges lebte sie mit ihren Eltern in Paris, nach dem Krieg kehrte die Familie zurück nach Belgien, nun nach Brüssel. Sie machte dort ihre Matura und absolvierte in Brüssel ein Studium der Philosophie.
1927 heiratete sie den Mathematiklehrer Jacques Muller. Die Ehe bestand bis zu seinem Tode 1974. Madeleine Bourdouxhe starb 1996 in Brüssel.
Schon in den dreißiger Jahren gehörte Madeleine Bourdouxhe zum literarischen Kreis um Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre. In dieser Zeit schrieb sie ihre Romane und die meisten ihrer Erzählungen, natürlich in französischer Sprache.
Am Tag der Invasion der Deutschen in Belgien, im Mai 1940, bekam sie eine Tochter und flüchtete schon am nächsten Tag mit ihrem Mann und dem Kind nach Frankreich. Sie wurde aber zur Rückkehr nach Brüssel gezwungen, wo sie bis zum Ende des Krieges lebte und in der Résistance aktiv war.
Nach dem Krieg war sie regelmäßig in Paris und pflegte dort weiter ihre Kontakte mit Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, mit Raymond Queneau, aber auch mit Malern wie René Magritte und Paul Delvaux war sie befreundet.
Ihr wohl bekanntester Roman ist “La Femme de Gilles“ – „Gilles Frau“, erschienen 1937. „À la Recherche de Marie“ – „ Auf der Suche nach Marie“ erschien 1943 und war der letzte von ihr veröffentlichte Roman. In der Nachkriegszeit erschienen nur noch Erzählungen.
Mitte der 1980er Jahre wurde Madeleine Bourdouxhe von der feministischen Literaturkritik wieder entdeckt und geradezu enthusiastisch gefeiert, was zu Neuauflagen ihrer Bücher und vor allem endlich zu Übersetzungen ihres Werkes führte. Neben den beiden Romanen erschienen auch drei Erzählbände in deutscher Sprache:
„Unterm Pont Mirabeau fließt die Seine“ – darin ist auch eine Erzählung über ihre Flucht nach Frankreich enthalten – sowie „Wenn der Morgen dämmert“ und „Vacances – die letzten großen Ferien“ und der Roman „Auf der Suche nach Marie“ [Edition fünf]. Viele der Bücher sind vergriffen, man kann aber fast alle auf deutsch erschienenen Bücher in der Wien Bibliothek ausleihen sowie „Vacances“ und „Unterm Pont Mirabeau fließt die Seine“ in der Linzer Landesbibliothek.
Madleine Bourdouxhes Hauptthemen sind die Einsamkeit und das Empfinden von Frauen, ihre Wünsche und ihr Begehren stehen im Mittelpunkt. Sie erzählt dabei ganz und gar aus der Sicht der Frauen und nimmt damit eine sehr extreme Erzählhaltung ein. Schon Simone de Beauvoir hat die Leichtigkeit und die Kunstfertigkeit bewundert, mit der sie auf sehr knappe Art große Gefühle und Schmerzen beschreibt. Sie beschreibt das alltägliche Leben von Frauen, unterbrochen von unvorhergesehenen, manchmal ganz kleinen Erlebnissen, nach denen aber nichts mehr so bleibt oder bleiben kann, wie es vorher war.
In vielen ihrer Erzählungen beschreibt Madeleine Bourdouxhe auch die Verbindung von Liebe – oder was man dafür hält – und Gewalt.
Drei solcher Erzählungen über Liebe und Gewalt habe ich für die heutige Lesung ausgewählt: „Anna“, “Ein Nagel, eine Rose” sowie “Louise”. Alle drei stammen aus dem Erzählband “Wenn der Morgen dämmert”.
Einführungstext: Judith Gruber-Rizy.
Wallyre11/15