Im Gespräch mit Hanna Caspaar, Psychotherapeutin und Leiterin des Vereins „Verwaiste Eltern“ in Graz zum Thema Trauer und Trauerarbeit. Hanna Caspaar und Madeleine Kassar unterhalten sich über den Tod eines Kindes und werfen Fragen zum Umgang mit Trauernden, aber auch zur Trauerbewältigung auf. Der Verein „Verwaiste Eltern“ ist mittlerweile ein bekannter Name im deutschsprachigen Raum und steht für Trauerbewegung und Trauerbegleitung.
Videos über den Verein „Verwaiste Eltern“:
Und plötzlich ist alles anders – Einblicke in die Trauerarbeit (Teil 1)
Und plötzlich ist alles anders – Einblicke in die Trauerarbeit (Teil 2)
15 Wünsche eines trauernden Menschen:
Gebt mir keine Schuld, denn ich zerfleische mich bereits selbst durch meine Schuldgefühle und Selbstzweifel, aber lasst zu, dass ich Gedanken eigenen Versagens und eigener Schuld in Eurer Gegenwart äußere.
Wenn ihr Fragen habt, die mich und meine Angehörigen betreffen, so fragt mich, nicht irgendjemand anderen oder die Presse.
Bedenkt, dass Eure Suche nach einer Erklärung der Ursache Eurem eigenen Bedürfnis nach Sicherheit, Erklärbarkeit und Vorhersagbarkeit entspringen kann, und nicht unbedingt eine Berechtigung in der Realität zu haben braucht.
Lasst mich nicht allein, auch wenn ich oft allein sein will. Wendet Euch mir zu mit Gesten und mit Zeit, die ihr für mich habt. Lasst den leisen Optimismus Eurer Lebensfreude nicht spurlos an mir vorübergehen, auch wenn ich tief verstrickt in meiner Trauer wirke und noch eine Weile in meiner Trauer verweilen möchte.
Habt Geduld mit Euch, wenn Ihr über mich ungeduldig werdet, weil ich für die Erholung aus meiner Trauer um meinen Angehörigen sehr viel länger brauche, als ihr ahnen könnt und als ich es wünsche.
Sprecht in meiner Gegenwart von meinem Angehörigen, von seinen lebensfrohen Seiten, aber auch davon, dass er sich selbst das Leben genommen hat und was er damit sich und uns genommen hat.
Habt Erbarmen und Freundlichkeit mit Eurem Entsetzen über das, was passiert ist, und Eurer Angst davor, dass es wieder – auch Euch – passieren könnte. Auch ich habe früher geglaubt: So etwas passier nur anderen Leuten.
Wisst um Euch, wenn nach dem Bekannt werden der Tatsache, dass ich ein Angehöriger um Suizid bin, viele weitere Informationen über ähnliche Schicksale an mich weitergegeben werden. Ich brauche jetzt viel Kraft. Das was für die allermeisten Menschen nur eine aus größter Enge heraus angedachte Möglichkeit ist, hat mein Angehöriger Realität werden lassen.
Auch wenn mich tiefstes Leid getroffen und sich in mein Gesicht eingegraben hat, habe ich Sehnsucht nach guten Erinnerungen und werde weich bei Gedanken an Glück Nähe, Austausch und Freundschaft mit meinem Angehörigen. Auch wenn diese nur Erinnerungen sind an eine Zukunft, die ich hinter mir habe, entdeckt auch diese Weichheit in meinem Gesicht.
Wenn ich Ärger und Wut äußere, so wisst tief in Eurem Herzen, dass Ärger das Gefühl ist, bei dem ich am schnellsten und am stärksten Kontakt finde zu meiner eigenen Kraft. Richtet Eure Aufmerksamkeit darauf, dass mein Ärger nicht uferlos und destruktiv wird und dass er mich nicht sozial isoliert. Ärger und Trauer sind Gefühle, die nahe beieinander liegen können.
Wenn ich mich von meinem Angehörigen nicht mehr verabschieden konnte, helft mir, Bilder zu finden, die mich seinen Tod sinnlich begreifen lernen.
Wenn ich mich verabschieden konnte und dieser Abschied mit grausamen Wahrnehmungen verbunden war, strahlt ruhige Zuversicht, aus, dass eines Tages diese schrecklichen Bilder kleiner werden und anderen Bildern Raum geben werden.
Wenn ich wieder aufgetaucht bin aus meiner Zurückgezogenheit, so sollt ihr wissen: Ich funktioniere wieder. Aber ich schäme mich auch dafür, den mechanischen Alltagsaufgaben neu gewachsen zu sein. Und auf der anderen Seite habe ich ein großes Bedürfnis danach, wieder – vielleicht leicht – zu leben und nicht nur zu funktionieren.
Habt Nachsicht, wenn ich lange Zeit keine oder nur unbeholfene Formen finde, Euch zu zeigen, dass ihr mir gut tut und hilfreich seid.
Vergesst die von Trauer nach Suizid betroffenen Kinder nicht. Diese Kinder haben ein eigenes Recht darauf, von ihnen engsten Bezugspersonen zu erfahren, dass sich ihr Angehöriger getötet hat. Diese Kinder haben dann auch ein Recht auf das Versprechen, dass wir Überlebende behutsam mit uns umgehen werden; um möglichst lange mit ihnen zusammen zu leben.
Quelle: Verwaiste Eltern Graz