Heute zu Gast: Politikwissenschafterin und Autorin Dr. Tamara Ehs, tätig als Demokratieberaterin für Städte und Gemeinden und politische Bildnerin, v.a. für Erstwähler*innen.* In ihrem Buch „Krisendemokratie“, erschienen beim Verlag Mandelbaum, nimmt sie die Krisenfestigkeit der österreichischen Demokratie in sieben Lektionen unter die Lupe. Über dieses Buch sprechen wir in der heutigen Sendung, die Fragen stellte Sarah Kieweg.
„Drohgebärden und Angstrhetorik sind demokratietheoretisch illegitim.“
Im ersten Teil des Gesprächs geht es um die Krisenkommunikation seitens der Regierung. In der Art, wie die Regierung der Bevölkerung die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vermittelte, vermisste die Autorin soziales Vertrauen in die Bevölkerung. Statt Risikokommunikation gegenüber mündigen Bürger*innen wurde auf bevormundende und infantilisierende Sprache gesetzt, da war etwa die Rede von der „Bewährungsprobe“ über Ostern, von „Lebensgefährdern“ bei Menschen, die sich nicht penibelst an die Ausgangsbeschränkungen hielten, als Abstandsmesser diente der „Babyelefant“. Blinden Gehorsam zu fordern und gleichzeitig aber keine bis wenige Daten und Begründungen für getroffene Maßnahmen zu veröffentlichen, das schüre laut der Autorin in der Bevölkerung ein Klima, in dem einerseits Denunziantentum und andererseits Widerstand gedeihen. „Die Gefahr für die Demokratie besteht in der Einübung in Subordination“, warnt die Autorin in diesem Kapitel.
„Die Solidarität von Bürger*innen darf man einfordern“
Die zweite Hälfte der Sendung dreht sich um das Thema Impfpflicht – ist so etwas mit einer liberalen Demokratie vereinbar? Ja – sagt die Autorin, denn der Staat hätte die Verantwortung, alles zu tun, damit wir unsere Grund- und Freiheitsrechte ausüben zu können, also ohne Beschränkungen wie Lockdowns, 3G-Regelung etc. Eine Impfpflicht jetzt durchzudrücken scheint aber politisch für die handelnden Personen nicht tragbar, weil in Österreich ein parteiübergreifender Konsens darüber fehle, so die Autorin.
Abschließend haben wir Tamara Ehs gefragt, was die fortschreitende Digitalisierung der Demokratie bedeutet und wen sie ausschließt. Wer „Aktivbürger*innen“ sind und warum politische Bildung „systemrelevant“ ist, erklärt uns die politische Bildnerin. In ihrer Arbeit ist es ihr besonders wichtig, die soziale Frage immer mitzudenken – wen treffen die Auswirkungen der Krise wie? Wer kann im Homeoffice arbeiten, wer ist für Distance Learning gerüstet, wer leidet unter Ausgangsbeschränkungen, und so weiter.
*Tamara Ehs nimmt aktuell einen Forschungsauftrag der Sigmund Freud-Universität Wien wahr und ist Beiratsmitglied der Europäischen Demokratiehauptstadt und des Bürgerforums Europa. Ihre Forschung und Lehre konzentrieren sich auf die sozialen Fragen von Demokratie und Verfassung, auf politische Aspekte der Verfassungsrechtsprechung sowie auf die Herausforderungen der europäischen Integration. Tamara Ehs ist Trägerin u.a. des Wissenschaftspreises des österreichischen Parlaments und des Ludo Hartmann-Preises des Verbands österreichischer Volkshochschulen. Für ihre Forschung zur Demokratie in der Coronakrise wurde sie jüngst mit dem Kurt Rothschild-Preis des Renner-Instituts ausgezeichnet.