„Die Wahrheit stirbt zuerst“ (3) Von den Vorzügen der Demokratie

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„Die Wahrheit stirbt zuerst“ (3) Von den Vorzügen der Demokratie

Es soll sich ja um eine Krieg „Demokratie“ vs. „Autokratie“ handeln. Also gibt es neben der Frontberichterstattung Aufklärung über die Vorzüge der Demokratie.

profil: Die Stärke unseres demokratischen Systems besteht darin, dass Bevölkerung und Regierung mehrheitlich dieselben Ziele verfolgen, weil Letztere von Ersteren in freien und fairen Wahlen gewählt wurde. In einem autokratischen System wie Russland hingegen entscheidet der Präsident, der Freiheit und Fairness bei Wahlen längst abgeschafft hat …“ (12/2022)

Ja mei; so ein Schreiberling könnte doch auch wissen, in einem demokratischen System „entscheidet“ genau wie in der „Autokratie“ die Staatsspitze, dafür wird „die Regierung“ nämlich von der Bevölkerung gewählt – um über die Bevölkerung zu entscheiden. In der Tat kann sich die Regierung dann, bei ihren Entscheidungen, auf den Wählerwillen berufen – auch und erst recht, wenn bei Wahlen weder die Pandemie noch der Lockdown noch die Impfung noch der Krieg gegen die Ukraine noch die Sanktionen noch die dadurch erzeugten Preiserhöhungen irgendwie ein Thema waren, wie denn auch. Die Regierung regiert frei, ohne irgendeinen Wähler konsultieren zu müssen, das ist ihre Aufgabe, und wenn so ein Wähler unzufrieden wird, kann er sich mit der Hoffnung auf die nächste Wahl trösten. (Warum eigentlich? Denn der nächsten gewählten Regierung steht er dann genau so ohnmächtig gegen über wie der aktuellen.) Die hier erwähnte besondere „Stärke“ der Demokratie liegt also nicht in der besonderen Berücksichtigung der Bürgerbedürfnisse, sondern dass sich durch das Wahlverfahren die Bevölkerung verlässlich hinter der Regierung einreiht. Gerade diesbezüglich möge sich der eingefleischte Demokrat aber lieber nichts einbilden, von wegen der „Stärke unseres demokratischen Systems“, in dem „Bevölkerung und Regierung mehrheitlich dieselben Ziele verfolgen“ – also bitte, diese „Stärke“ haben der Kaiser und der Führer seinerzeit auch hingekriegt, bis zum bitteren Ende, bis wirklich nichts mehr ging. Das ist in allen Varianten einer stabilen Herrschaft so: Die Bevölkerung wird eingespannt und verfolgt insofern „dieselben Ziele“ als die Regierung; es bleibt ihr auch nichts anderes übrig. (Diese Erinnerung an die „gleichen Ziele von Bevölkerung und Regierung“ unter dem Kaiser und dem Führer gilt übrigens – im Nachhinein angesichts der verlorenen Kriege und der vergeigten „Stärke“ – als nicht so gelungen.)

Diese Erinnerung an vergangene „gleiche Ziele“ ist allerdings angebracht, denn ein Detail ist für den Schreiberling in seiner Begeisterung über die „Stärke“ der Demokratie offenbar nicht so wichtig, nämlich die Klärung der Frage, welche Ziele denn da „Bevölkerung und Regierung“ so einträchtig verfolgen. Was wollen sie denn, die Oberen und die Unteren? Gemeinsam! Sollte man sich nicht mal darüber kundig machen, bevor man die „Stärke“ feiert, die eine gewählte Regierung aus der Zustimmung ihrer Untertanen bezieht?

Ein Versuch dreier Antworten; gemeinsame Ziele, Teil 1:

Interview Gottfried Helnwein (Maler und Promi, also Künstler mit gewisser Narrenfreiheit):
Putin … „wollte den lange anhaltenden Konflikt mit der Ukraine und die Bedrohung durch das immer weitere Vordringen der NATO militärisch lösen. Das war ein schwerer Fehler. Jeder Krieg ist ein Verbrechen, für das es keine Rechtfertigung gibt. Die tägliche Berichterstattung erweckt aber den Eindruck, als hätte die Welt in Frieden gelebt, bis Putin, das größte Monster aller Zeiten, aufgetaucht sei. So hat die westliche Welt die extremsten Sanktionen über Russland verhängt, die es je gegeben hat. … Vor allem die Empörung der Amerikaner mutet seltsam an, denn seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist Amerika im permanenten Kriegszustand. In diesen Kriegen starben nach verschiedenen Schätzungen bisher 30 bis 50 Millionen Menschen. Zig Millionen wurden verletzt und verstümmelt, ganze Nationen wurden in die Steinzeit und ins Chaos zurückgebombt. Der Friedenspreisträger Obama ließ Zehntausende Bomben in sieben Länder abwerfen. Er überbombte damit sogar Bush. Laut offiziellen Statistiken werfen die USA jeden Tag im Schnitt 46 Bomben ab. Obamas Drohnen haben mehr Menschen getötet als die Inquisition in Hunderten von Jahren. Laut CIA-Dokumenten waren 89 Prozent der Getöteten unschuldige Zivilisten, viele davon Kinder. Haben sie je gehört, dass irgendjemand deshalb Sanktionen gegen Amerika verlangt hat? …
profil: Putin führt den ersten Angriffskrieg auf europäischem Boden seit 1939.
Helnwein: Und was war, als die Amerikaner 1999 Belgrad bombardiert haben? … Orwell hat gesagt, die mächtigste Lüge sei die Auslassung … So funktioniert Propaganda am effektivsten.“ (12/2022)
So Helnwein gegen die selektive Amnesie! Gut gegeben!

Langsam, und der Reihe nach: Helnwein konzediert zwar die Bedrohung durch das „Vordringen der NATO“, und hält den Krieg für einen Fehler. Aber dann kommt’s, der Einspruch gegen das hier weitverbreitete „Narrativ“, also die Lüge, die „Welt hätte in Frieden gelebt, bis Putin aufgetaucht ist“ – samt der Erinnerung an die bekannte Laufbahn der USA: „Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist Amerika im permanenten Kriegszustand. In diesen Kriegen starben nach verschiedenen Schätzungen bisher 30 bis 50 Millionen Menschen.“

An der Stelle ein kurzer sachlicher Einschub: Keine Ahnung, ob Helnwein an so etwas gedacht hat, aber da berührt er eine bittere Wahrheit. Krieg und Frieden sind gar nicht die diametralen Gegensätze, als die sie gelten sollen, womöglich mit dem Frieden als Normalzustand, bis ein „Monster“ auftaucht, das alles kaputt macht. Krieg und Frieden sind gewissermaßen die zwei gleichermaßen normalen „Aggregatzustände“ dessen, was früher mal als Imperialismus bekannt war, nämlich die Wendung von Staaten mit kapitalistischer Ökonomie nach außen, um mit bzw. gegen andere Gewaltmonopole die je eigenen nationalen Anliegen voranzubringen. Dabei rechnen die hohen vertragschließenden Gewaltmonopole mit ihresgleichen als Hindernisse aller Arten, Grade und Abstufungen. Deswegen rüsten sie, um sich jede Freiheit zu verschaffen, einen aktuellen Frieden auch aufkündigen zu können, also um nicht mehr Frieden halten zu müssen. Davon und von nichts anderem redet Helnwein, Krieg als amerikanischer Dauerzustand – „ganze Nationen wurden in die Steinzeit und ins Chaos zurückgebombt“. – Permanenter Kriegszustand auf Basis eines weltweiten Netzes von Stützpunkten, einiger Flugzeugträgerflotten und einer atomaren „Triade“.

Das kritische Magazin lässt das alles unwidersprochen – Wie auch? Sind lauter Tatsachen! – und versucht mit einer offenkundigen Lüge zu kontern: profil: Putin führt den ersten Angriffskrieg auf europäischem Boden seit 1939. Helnwein: Und was war, als die Amerikaner 1999 Belgrad bombardiert haben?“ Auch dazu ein Einschub: Das mit dem „Angriffskrieg“ samt vielsagender, notwendiger Einschränkung – auf europäischem Boden seit 1939“ – ist erstens die schon erwähnte Lüge und zweitens das trotzige Bestehen auf dem Narrativ vom „Frieden“ als Normalzustand, wenigstens in Europa, bis so ein Monster auftaucht … Klar, außerhalb Europas kann sich sogar ein selektiv moralisierender Journalist an „Angriffskriege“ erinnern, die nicht ganz in dieses Weltbild passen: Aber sind deswegen gleich die USA auch ein „Monster“? (Nicht doch, da gelten mildernde Umstände … Das Archiv ist bekanntlich nicht nur die Rache des Journalisten, es ist auch die Rache am Journalisten!) Was soll man dem eigentlich entnehmen? „Völkerrechtswidrige“ Angriffskriege außerhalb Europas, gegen Völkerschaften, die man hierzulande nicht mehr „Kameltreiber“ nennen darf – die fallen in eine ganz andere Kategorie? Oder wie oder was?

Zurück zur ursprünglichen Frage nach der Übereinstimmung von Bevölkerung und Regierung. Helnwein wundert sich: „Vor allem die Empörung der Amerikaner mutet seltsam an, denn seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist Amerika im permanenten Kriegszustand.“ Aber das ist gar nicht „seltsam“. Da besteht offenbar eine sehr tragfähige Übereinstimmung zwischen „oben“ und „unten“. Wenn Volk und demokratisch gewählte Führung darin harmonieren, dass Amerika – und nur Amerika – immer im Recht ist, in Sachen Krieg, dann ist die aktuelle amerikanische „Empörung“ sehr nachvollziehbar. Da maßt sich ein anderer Staat etwas an, was nur Amerika zusteht: Angriffskrieg! Spricht das jetzt für dieses verletzte amerikanische Monopol in Sachen Krieg – bloß weil „oben „ und „unten“ einer Meinung sind, weil Bevölkerung und Regierung dieselben Ziele verfolgen, im Rahmen der amerikanischen Weltherrschaft?! Vermutlich befinden sich die Basis-Amerikaner inzwischen auch in Sachen „Regimewechsel“ in Moskau – „Putin muss weg!“ – in Übereinstimmung mit ihrem Befehlshaber. („profil“ ist übrigens der Meinung, dass Helnwein „die Amerikaner dämonisiert“ – wie subtil! Man vergleiche damit die sachliche und ausgewogene profil-Berichterstattung über Putin.)

Gemeinsame Ziele von Regierung und Bevölkerung, Teil 2:

Der NATO-Beitritt der Ukraine. Ist die Übereinstimmung von Wählern und Gewählten ein blanko-Gütesiegel der Macht, oder bloß ein satter Komfort („Stärke“) der Machthaber? Ein Einwand gegen die russische Kritik an der Ukraine lautet etwa: Was geht es denn Russland an, wenn die Ukraine in einem Akt der Selbstbestimmung in die NATO will? Nun, entgegen anderslautenden und längst dementierten Gerüchten ist die NATO ohnehin kein offenes Haus, in das jeder Staat hinein darf, wie er gerade lustig ist. Das mit der „Selbstbestimmung“ wird, wie schon früher mal erwähnt, auch sehr selektiv und instrumentell gehandhabt, von den befugten Weltmächten. Aber der wesentliche Einwand hier lautet – selbst, na und? Wenn eine Nation oder auch ein Individuum ankündigt, ein Vorhaben ganz selbstbestimmt in die Wege zu leiten und anzugehen, dann verbietet sich eines auf alle Fälle, nämlich ein Glückwunschtelegramm. Statt dessen ist eine schlichte Erkundigung angesagt – worum geht es denn überhaupt? Was soll denn da voll und ganz SELBST abgezogen werden, und warum? Erst anschließend ist eine begründete Stellungnahme überhaupt möglich!

Im vorliegenden Fall begehrt das ukrainische „Selbst“ die Teilnahme an einem Kriegsbündnis, am größten, das die Welt je gesehen hat, und will nicht einem Kleintierzüchterverein beitreten. Dieser Beitritt ist einem „Ziel“ geschuldet, von dem wir wieder annehmen, es werde von Regierung und Bevölkerung gleichermaßen verfolgt. Dieses Ziel besteht darin, die Krim und die Separatistengebiete im Donbass in einem Krieg gegen Russland zurück zu erobern, und weil die eigenen Streitkräfte dafür absehbar zu schwach sind, sollten das die NATO-Truppen erledigen. Zur Erinnerung: Der ORF-Korrespondent in der Ukraine, Christian Wehrschütz, hat sich nach eigener Aussage in der Ukraine mit folgendem Hinweis unbeliebt gemacht: Ich habe immer gesagt: Kein Soldat der NATO wird bereit sein, für die Ukraine zu fallen, arrangiert euch mit Russland! Deshalb war ich ja ein Staatsfeind.“ Die NATO lässt sich nun schon von der Ukraine instrumentalisieren, aber ganz anders – die Ukraine soll Russland Verluste bereiten, in einen Dauerkrieg verwickeln und schwächen, und darf selber dabei ausbluten. Volk und Führung hinter diesem Ziel vereint – wird es dadurch unwiderstehlich? Fraglos gut? (Jede allfällige innere Opposition wurde ohnehin schon zum Schweigen gebracht.) Übrigens: Wenn in Russland auch das Volk hinter der Führung steht – spricht das jetzt für den Krieg, oder gegen die Russen?

Gemeinsame Ziele von Regierung und Bevölkerung, Teil 3:

Der Westen verhängt nicht nur Sanktionen, sondern ein komplettes Sanktionsregime mit dem mittlerweile offen ausgesprochen Ziel, die russische Wirtschaft zu zerstören. Der Ausschluss vom weltweiten Zahlungsverrechnungswesen des Finanzkapitals namens SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) ist von seinen Befürwortern als eine „nukleare Option“ gepriesen worden; soll heißen, dass die zerstörerische Wirkung dieser und der anderen Maßnahmen des Wirtschaftskriegs einem nuklearen Angriff gleichkommt. Als Putin darauf an seine nuklearen Optionen erinnerte, wollte niemand einen Zusammenhang erkennen. Zugleich verbreiten die Oberen der NATO das Narrativ, alle wirtschaftskriegerischen Maßnahmen und alle Waffenlieferungen an Kiew seien Akte der Mäßigung und Zurückhaltung, zumindest solange keine NATO-Truppen offen auf ukrainischem Territorium zuschlagen. Die NATO ist also längst Kriegspartei, und die Journaille darf das mit der „Zurückhaltung“ nachplappern, der Held der westlichen Welt im Bunker darf das bestätigen, durch ständiges Flehen nach noch mehr Waffen.

[Zwischenbemerkung: Russland ist in die Weltmarkt-Falle gelaufen, womöglich sieht man sich im Kreml wieder mal „belogen“ und „getäuscht“, wenn sich derzeit eine harte Wahrheit geltend macht: Der Weltmarkt ist gar keine Veranstaltung, wo sich Nationen treffen, um gleichberechtigt und zum wechselseitigen Nutzen mit Waren aller Art und mit Kredit zu handeln, was obendrein zum Frieden beiträgt, weil sich die Beteiligten füreinander nützlich machen und darüber auch in allerlei Abhängigkeiten begeben, die nur über einen allseitigen Schaden aufzulösen sind. Nun, der Weltmarkt ist eine überwiegend US-amerikanische Veranstaltung, die vom amerikanischen Dollar-Weltgeld lebt, das da verdient wird – und wenn die falschen Teilnehmer daran verdienen wollen, dann werden die Regeln einseitig geändert. (Nordkorea, Iran, China, Venezuela etc.) Dann wird durch die Globalisierung der US-Justiz ein Sanktionsregime über die ganze Welt verhängt, nach dem Muster, wer da nicht mitzieht, wird selber zum Objekt von Sanktionen. (Die aktuellen Sanktionen sind ja auch Sanktionen gegen Europa. Solche gegen China werden angekündigt, bei Widersetzlichkeit. Eine bezeichnende Szene: Der amerikanische Präsident erklärt „Nord Stream 2“ für erledigt, daneben steht ein Olaf, und der erfährt so nebenbei, dass er als deutscher Kanzler dabei nichts zu melden hat. Darauf geht er voran und kündigt das größte Rüstungspaket der deutschen Geschichte an.)]

Aber wie dem auch sei, wenn die Leute im Westen auf diesen Wirtschaftskrieg eingestimmt werden – wegen der leidenden Bevölkerung in der Ukraine, die davon nichts hat –, und die damit ins Werk gesetzte eigene Armut akzeptieren und mit ihren Regierungen dieses schöne Kriegsziel teilen – wird es dadurch besser? Übrigens: Der japanische Angriff auf Pearl Harbour seinerzeit war die Antwort auf ökonomische Sanktionen. Die USA verhängten am „25. Juli 1941 ein vollständiges Öl-Embargo gegen Japan und froren alle japanischen Guthaben ein. Da sich Großbritannien und Niederländisch-Indien diesem Schritt anschlossen, verlor Japan 75 % seines Außenhandels und 90 % seiner Öl-Importe.“ (Wikipedia) So viel zur un-kriegerischen Qualität eines Wirtschaftskrieges.

*

Zurück zum Anfang und zum Vergleich der Demokratie mit Monarchie und Faschismus und Autokratie: Gemeinsam ist diesen Herrschaftsformen, dass sie das Volk auf Linie bringen, und dass die Völker mitmachen, bis der Staat durch eine Niederlage im Weltkrieg diskreditiert ist. Statt sich daran zu ergötzen, dass die Übereinstimmung zwischen Volk und Führung in der Demokratie durch periodische Wahlen aktualisiert wird, und sich selbst als Demokrat womöglich auch noch für was Besseres zu halten als die Mitmacher in der Monarchie und im Faschismus und in der „Autokratie“, wäre doch mal die unübersehbare Gemeinsamkeit zu würdigen und zu befragen: Überall gibt es ein „oben“ und „unten“, eine „Regierung“ und eine „Bevölkerung“, die eben regiert wird, wie es diesem ihrem Beruf entspricht. Die Gemeinsamkeit der von oben Regierten in all den erwähnten Staatsformen besteht darin, als Menschenmaterial für die Ziele der Herrschaft zu fungieren. Das wird im Krieg unübersehbar deutlich, wenn mit der Benutzung für wirtschaftliches Wachstum mal Schluss ist oder zumindest Pause gemacht wird, und der Reichtum und die Menschen für die gewaltsame Durchsetzung der jeweiligen Staatsräson benutzt und zerstört werden, einer Herrschaft, die auch noch als die „eigene“ gewürdigt werden will, auch wenn von einem Besitzverhältnis höchstens umgekehrt die Rede sein kann. Im Frieden passiert diese Benutzung der Bevölkerung ohne Zweifel anders, aber offenbar doch so, dass die Umstellung auf einen Zustand, in dem die „Umwertung aller Werte“ die zivilen Umgangsformen außer Kraft setzt, in der Regel problemlos klappt. Kein Krieg in der jüngeren Geschichte ist am Ungehorsam des Menschenmaterials gescheitert, erst nach der Niederlage fühlen sich manche verarscht. Anders: Wer bis zum Krieg mitmacht, macht in der Regel auch im Krieg mit. Insofern wäre mal zu überlegen, worum es im Frieden geht, und was man davon hat. Dass man vom Krieg sicher nichts hat, steht ohnehin fest.

In der „Kronenzeitung“ vom Sonntag 27. 03. 2022 folgende Frage im Interview: „Sind wir auf dem Weg zurück in eine Vergangenheit, die wir eigentlich für überwunden geglaubt haben? Der deutsche Sozialpsychologe Harald Welzer schrieb zuletzt, ihn erschrecke, `wie schnell ein Narrativ aktivierbar ist, das aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg entstammt´. Er fragt sich, was in den letzten Wochen passiert ist, `dass plötzlich wieder eine Ästhetik und Rhetorik des Krieges zelebriert wird, die wir seit Jahrzehnten nicht mehr für gesellschaftsfähig gehalten hatten.´“

Ja was ist denn schon passiert, in den letzten Wochen? Russland ist in die Ukraine einmarschiert, um einen neutralen, entmilitarisierten Status dieses Landes zu erzwingen, eines Status übrigens, der am zivilen Leben der meisten Leute, einschließlich der Millionen Wanderarbeiter im Westen, denen die Ukraine nicht viel zu bieten hat, nichts geändert hätte. Das ist passiert. Unvereinbar mit so einer Neutralisierung war und ist allerdings die nationale ukrainische Perspektive, als Frontstaat der NATO gegen Russland in eine strahlende politische und ökonomische und militärische Zukunft einzutreten, vielleicht entlang des unerreichbaren und unwiederholbaren Vorbildes der damaligen Bundesrepublik Deutschland. Und: Der Einspruch Russlands gegen diesen Status trifft inzwischen auf einen Westen, der einhellig auf dem Standpunkt steht: „Die Ukraine gehört uns! Wir lassen uns das nicht nehmen!“ Auch das ist passiert. Insofern sollte der Sozialpsychologe erstens über die Gegenwart erschrecken und die liebgewonnenen „Narrative“ und Lebenslügen über die Gegenwart wegschmeißen, die ohnehin übrigens von einer Politik und mitdenkenden Öffentlichkeit gerade entsorgt werden: Zeitenwende ist angesagt: So wehrfähig und kriegsgeil wie die Monarchie etc. ist die Demokratie allemal. Was jetzt? Sich zur bzw. gegen die Gegenwart stellen – oder mehr darüber jammern, dass man die gängigen Lügen über die Lehren aus der Geschichte ersetzen muss, vielleicht durch eine Geschichte von der ewigen Erbfeindschaft gegen den Russen?!

Literatur:
https://de.gegenstandpunkt.com/dossier/krieg-ukraine

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