Der gefährlichste Ort im Leben einer Frau …
… resp. einer Tochter ist bekanntlich nicht die Stadt, deren Bild der deutsche Kanzler so gern entstellt. Der gefährlichste Ort im Leben einer Frau ist die Wohnung, und der gefährlichste Moment ist die Trennung. Es war also mal wieder soweit. Diesmal in Graz, nach einer Woche der Ungewissheit für Freunde und Angehörige. Bis der „Beziehungstäter“ mit der Unschuldsvermutung den Behörden mitteilt, wo er die tote Frau versteckt hat. Dieser „Femizid“ wird obendrein während einer Kampagne verübt: 16 Tage gegen Gewalt an Frauen. Und dann gesteht auch noch einer, vor acht Jahren seine Freundin umgebracht zu haben – das Strafverfahren gegen ihn war bislang durch die fehlende Leiche blockiert.
Darum soll es nun gehen, und der Einstieg mutet eventuell etwas unorthodox an. Zu Wort kommt nämlich erst mal – ein Täter:
„Nun schilderte er seiner Star-Anwältin Astrid Wagner erstmals seine Sicht – und spricht von einem Blackout, Trancezustand und ‘verschwommenen Erinnerungen an ein Messer’. Laut Wagner sei ihr Mandant ‘völlig zerstört, verwirrt und verzweifelt’. Der gebürtige Slowene habe bei ihrem ersten Treffen ‘unaufhörlich geweint’ und immer wieder beteuert, dass Stefanie ‘seine große Liebe’ gewesen sei und er ‘sie noch immer unendlich liebe.’ Wie … berichtet(e), soll Patrick M. am 23. November in der Wohnung der Visagistin in Graz im Zuge eines Eifersuchtsstreits ausgerastet sein und die 31-Jährige getötet haben. Danach packte er die Leiche in einen Trolley und versteckte sie in einem Waldstück bei Maribor. Laut Aussage des Ex-Freundes von Stefanie leide er an einem ‘teilweisen Blackout’, weil er ‘zum Zeitpunkt der tödlichen Auseinandersetzung sehr betrunken gewesen ist.’ An den genauen Ablauf könne er sich kaum erinnern.“
https://www.heute.at/s/sehr-betrunken-stefanies-ex-erinnert-sich-nicht-120147569
Tja, er kann sich nicht erinnern, wegen „Blackout“; das macht aber nichts, weil – und glücklicherweise – kann ich ihm schon erzählen, was da abgelaufen ist: Nehmen wir mal an, er war wirklich „außer sich“, wie das so schön heißt, er war „nicht bei sich“, und es ist „über ihn gekommen“, wie da die Formulierungen lauten. Aber: Es ist nichts Fremdes über ihn gekommen, nichts Äußerliches, es ist sein eigener Standpunkt über ihn gekommen, es ist der Hass „über ihn gekommen“, den er und niemand sonst entwickelt hat, weil die Frau sich getrennt hatte.
Der Vollständigkeit halber noch die eher lächerlichen Aspekte, in Sachen „Blackout, Trance und Besäufnis“: Den Weg zu ihrer Wohnung hat er problemlos gefunden, er war in der Lage, die Tote zu verpacken und über die Grenze zu transportieren, er hat es geschafft, die Beamten zu bluffen, die nach der Vermisstenmeldung in der Wohnung Nachschau gehalten haben, und das Auto konnte er auch abfackeln. Da war nichts mit „zerstört, verwirrt und verzweifelt“, weil gerade seine „große Liebe“ in seiner Gegenwart zu Tode gekommen war, woran er sich nur „verschwommen“ erinnert … Gut, die Verteidigerin erledigt ihren Job, sie will Stimmung machen – aber die juristische Würdigung obliegt ohnehin dem Gericht. Darum geht es hier nicht. Dass er vor Selbstmitleid zerfließt, nachdem er mit Abtransport und Versteck nicht durchgekommen ist, und dass er ständig heult, seit und weil er in der österreichischen U-Haft sitzt, das wird schon stimmen; bloß wofür oder wogegen soll das sprechen?!
[So eine Anwältin hat es auch nicht leicht: „Der verdächtige Ex-Freund soll die getötete Influencerin im Garten seiner Oma wieder ausgegraben haben – um sie an einem anderen Platz zu verstecken. … ‘Er befand sich wohl in einem Ausnahmezustand, agierte völlig kopflos’, vermutet seine Anwältin … “ (heute 5.12.2025) Wieso „völlig kopflos“? Als Verdächtigem war ihm schon klar, wo die Leiche demnächst gesucht wird, daher hat er sie in ein neues Versteck verbracht. Er konnte sich nach einigen Tagen in U-Haft außerdem wieder erinnern: „ … sie (wollte), dass ich von ihr daheim verschwinde. Sie holte sogar ein Messer aus der Küche und drohte, sich damit umzubringen, sollte ich nicht sofort gehen. Woraufhin ich Stefi von hinten mit meinen Armen umklammert, um sie zu entwaffnen.“ (Kronenzeitung 7.12.2025) Statt zu gehen, und ihr dadurch das Leben zu retten, wurde er handgreiflich, um ihr das Leben zu retten, und hat sie dadurch umgebracht, versehentlich!] Einige Bemerkungen, nicht nur auf den aktuellen Fall bezogen:
Liebeskummer vs. Eifersucht
Die Frage lautet, worin besteht der Unterschied zwischen Liebeskummer und Eifersucht? Zuerst zum Liebeskummer: Nun ja, wenn sich einer in die Vorstellung „hineinsteigert“ – die saloppe, bodenständige Wortwahl ist Absicht – wenn sich einer also hineinphantasiert in die Vorstellung, ohne seine „Traumfrau“, ohne den „Volltreffer“ – wie manche überaus poetische Bezeichnungen lauten –, wenn er also glaubt, ohne sie nicht leben zu können, dann geht es ihm nachvollziehbar hundsmiserabel, wenn daraus nichts wird: Das bricht ihm das Herz, wie es so schön heißt. So fühlt er sich zumindest, auf Basis seiner eigenen Einbildung. Die ganz radikale Variante endet möglicherweise auch tödlich, aber da ist die übliche Folge eher der Selbstmord. Gibt ja ein berühmtes Werk der Weltliteratur darüber, das angeblich Nachahmer inspiriert hat. Dieser Kummer beruht allerdings auch darauf, dass da nun einmal nichts zu machen ist. Liebe ist ein freies Verhältnis, wenn die / der andere nicht oder nicht mehr will, da ist man vielleicht beschissen dran, aber das war es dann; da gibt es nichts zu verlangen, nichts zu rütteln und zu deuteln. Und der Zustand dauert genau so lange, bis er vorbei ist.
Woher hingegen die Wut, der Hass, die Verbitterung, im Rahmen der Eifersucht? Im Unterschied zum Leidenden am Liebeskummer macht der Eifersüchtige ein schuldhaftes Verhalten für sein Elend verantwortlich – sie ist schuldig, es liegt an ihr, was beim Liebeskummer in der Regel nicht der Fall ist. Das soll heißen, sie ist nicht nur beteiligt an seinen unerträglichen Zuständen, indem er sie vergöttert; es liegt nicht nur an ihr, schlicht weil sie nicht will; sie handelt auch noch, und das ist schließlich der entscheidende Gehalt von „Schuld“: Sie handelt quasi widerrechtlich, sie tut ihm himmelschreiendes Unrecht an. Dadurch gewinnt das Leid selbst einen ganz anderen Charakter, eine andere Qualität – es ist eben nicht sein individuelles Elend, sein Kummer, sondern da fühlt sich ein rechtschaffener Mensch als das Opfer eines an ihm verübten Verbrechens; sie bleibt ihm etwas schuldig, das er als sein gutes Recht ansieht. Die weitgehend als unproblematisch geltende Formulierung, einer werde „betrogen“, wenn sie sich abwendet oder anderweitig orientiert, drückt ebenfalls aus, dass sich da jemand „geprellt“ vorkommt – „Betrug“ meint schließlich, dass da jemandem etwas vorenthalten wird, worauf er Anspruch hat, sie aber ihren Verpflichtungen nicht nachkommt. Ihm steht etwas zu, womöglich nicht nur in seiner Einbildung, sondern durchaus etwas, das ihm nach den sittlichen Maßstäben seiner Community zusteht, er lebt also keineswegs bloß eine ganz individuelle Spinnerei aus. Denn immerhin ist das schon die empfohlene, erwünschte und vom Staat nachdrücklich in der Familie verrechtlichte Art und Weise der Gestaltung einer Liebesbeziehung: Die beiden Beteiligten sollen Pflichten füreinander übernehmen, nicht zuletzt die Pflicht zur „Treue“ und zum „Beistand“. So fühlt sich mancher zumindest bestätigt in der Idee, ausgerechnet eine etwas längere Beziehung nach dem moralischen Schema von Recht und Pflicht zu organisieren, einem Schema, zu dem notwendigerweise auch der Zwang zur Pflichterfüllung bzw. die Strafe bei Verweigerung gehört, oder nicht? Zumindest folgen jedenfalls die passenden wechselseitigen Schuldzuweisungen! Das korrespondiert mit einem angeblich völlig überholten:
Besitzdenken, wegen des hohen Strebens …
Das „Besitzdenken“ soll bekanntlich eine wichtige Rolle spielen, zumindest im Vorfeld einer „Beziehungstat“ oder „Familientragödie“. Die Frage ist nur, inwiefern dergleichen etwas völlig „Unzeitgemäßes“ ist. Immerhin ist das Hantieren mit Possessivpronomen, das sind besitzanzeigende Fürwörter – also: mein Mann, meine Frau – ebenso völlig normal und eingeführt im Quatschen über die eigene oder fremde Beziehungen. Ist das bloß belangloses Geschwafel, gedankenloses Gedöns oder doch durchaus bezeichnend für einen verbreiteten, herrschenden status quo? Allerdings und zur Vermeidung von Missverständnissen, der Besitz von Menschen, das Bedürfnis, die „Partnerin besitzen zu wollen“ im Sinn von Eigentum, von Sklaverei ist ausdrücklich nicht gemeint; es handelt sich schon um Verhältnisse, in die sich die Beteiligten aus freien Stücken begeben, oder? Oder nicht? (https://www.derstandard.at/story/3000000299387/femizid-studie-die-partnerin-besitzen-zu-wollen-ist-ein-wichtiges-warnsignal-fuer-femizide)
Was da als „Besitzdenken“ adressiert wird, das sind der Sache nach nichts als etwas überschießende Interpretationen anerkannter wechselseitiger Verpflichtungen, wie die zur Treue und der ebenso anerkannte abstakt-totalitäre Anspruch, immer „füreinander da zu sein“. Das und nichts anderes macht sich eventuell im gern beklagten „Kontrollzwang“ geltend. Wenn sie doch „für ihn da zu sein“ hat, dann widersprechen anderweitige Interessen, Bekanntschaften oder gar Freunde diesem hohen, edlen Zweck – wahrhaft Liebende müssen einander doch genug sein, oder? Wie kommt man nun auch ohne Studium des Familienrechts auf die Idee eines Bindungs- oder Verpflichtungsverhältnisses, darauf, das jeweilige Gegenüber womöglich sogar durch einen formellen Treueschwur festnageln zu wollen, was bald und folgerichtig vom ungehörigen „Besitzdenken“ nicht zu unterscheiden ist? Offenbar besteht das Interesse, sich die erwünschten Leistungen des Gegenüber zu sichern, gegen die Fährnisse oder Verlockungen, die überall lauern – die Liebe ist bekanntlich ein „seltsames Spiel, sie kommt und geht von einem zum andern“, und wo sie hinfällt, wächst kein Gras mehr. Vor allem und mehr noch kommt es den modernen Beteiligten wohl darauf an, das Gegenüber auf die emotionalen und durchaus auch die materiellen Leistungen dauerhaft zu verpflichten, sobald sich zwei Leute entschieden haben, gemeinsam die Unannehmlichkeiten „des Lebens“ (im Kapitalismus) zu meistern, und sich darüber ein gehöriges Stück weit voneinander abhängig gemacht haben; und dann erst recht darauf angewiesen sind, dass „die Beziehung“ halbwegs klappt. Genau deswegen – und nicht, weil das „mit der Zeit“ halt so ist – erodieren allerdings nicht selten die anfänglich positiven Gefühle füreinander: Weil die Mühen und Anstrengungen, welche die Beteiligten sich selber und sie sich jeweils wechselseitig abverlangen, unvermeidlich die passenden Unzufriedenheiten samt Schuldzuweisungen hervorbringen. An wem könnte es denn schon liegen, wenn die gute Zeit, die beide mal anvisiert haben, so ermattet – nun, es sind ja ziemlich ausschließlich die beteiligten Beiden für das jeweilige Wohlergehen verantwortlich.
Die Familie (2) – Alltagstauglichkeit und Amoklauf
… ausgerechnet nach dem „Glück“
Fragt sich erst recht, warum so ein Arrangement am Ende nicht auseinandergeht wie etwa eine etwas komplexere Wohngemeinschaft. Was ist die Fallhöhe, die sich in den einschlägigen Katastrophen bzw. mindestens in biografischen Brüchen und „Traumata“ geltend macht? Es geht eben doch um viel mehr, als um eine vorwiegend praktische Abmachung zur Senkung der Fixkosten beim Wohnen. Auf eine sehr charakteristische Weise pflegen auch und gerade eingefleischte aficionados der kapitalistischen Verhältnisse ein Bewusstsein davon, eher fremdbestimmt und ausgenutzt durchs Leben zu gehen, in einer Leistungs- und womöglich sogar Ellenbogengesellschaft, in der eine halbwegs komfortable „Work-Life-Balance“ gar nicht einfach herzustellen ist. Davon bekommt das Privatleben den überragenden Stellenwert, den es in der bürgerlichen Gesellschaft hat; es soll den Ausgleich oder die Kompensation zur kräftezehrenden Welt von Anstrengung, Frust und womöglich drohendem „Burnout“ leisten, und die Beziehung bzw. die Familie gilt ohnehin als die Sphäre des Glücks und der Erfüllung schlechthin. Das behaupten zumindest alle politischen und moralischen Autoritäten. Vermutlich auch ohne den klassischen Adorno-Spruch von der Unmöglichkeit des „richtigen Lebens im falschen“ zu kennen, bemühen sich nicht wenige, den Frankfurter Theoretiker zu blamieren: Es muss es doch geben, das richtige Leben, mitten im falschen! Deswegen geht auch viel mehr zu Bruch, wenn die Beziehung oder die Lebensgemeinschaft oder die Familie nicht mehr haltbar, nicht mehr auszuhalten ist. Dann ist der ganze Lebensinhalt, der höhere Sinn des Daseins, der letzte Zweck und das gewohnheitsmäßige weiß-warum im Alltag, bzw. ist dann wenigstens der Anspruch auf das richtige Leben und damit der sittliche Halt einer kompletten Persönlichkeit unterminiert oder gleich zerstört. Indem sich der „Idiot der Familie“ so einrichtet und scheitert, geht damit nicht nur die bisherige Lebensqualität – sofern überhaupt noch gegeben – den Bach runter, vor allem und endgültig unerträglich zerbricht sein sog. „Selbstwert“: Das vortreffliche Bild von sich selbst als einem, der „das Leben“ trotz alledem meistert und es geschafft hat, indem er das Wichtigste überhaupt erreicht hat, indem er die „Traumfrau“, den „Volltreffer“ „an Land gezogen“ oder „erobert“ und damit bewiesen hat, was er für ein unwiderstehlicher Erfolgstyp ist! Die Funktion eines „trophy wife“ als ultimatives Statussymbol hängt eben keineswegs an einem etwaigen Altersunterschied der beiden. Er war für sie da, er hat alles für sie getan, wie sich das gehört – auf alle Fälle in seiner Einbildung. Sie wollte aber nicht mehr.
Die Familie (4) – Erwartungen und Enttäuschungen, Überforderung und Selbstwertgefühl:
Die Familie (4) – Erwartungen und Enttäuschungen, Überforderung und Selbstwertgefühl
Die Familie (5) – Beziehungstat, Familientragödie, Ehrenmord, Femizid, Trennungstötung …
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Femizid, Beziehungstat, Familientragödie – oder was?
Zu den Versuchen, durch sprachliche Hygiene die geistige Einordnung zu steuern: Bezeichnungen wie „Beziehungstat“ oder „Familientragödie“ gelten als fragwürdig – weil sie die Betonung auf das weibliche Opfer nicht unterstreichen? Nun, dass es Männer sind, die Frauen umbringen, ist ohnehin ständig unterstellt und gewusst. Oder weil „Beziehungstat“ oder „Familientragödie“ nun einmal das Offenkundige beinhalten, dass das spätere Opfer sich aus freien Stücken in die Beziehung bzw. Familie begeben hat? Von einer sog. „Zwangsheirat“ ist doch nicht die Rede. Die übliche Femizid-Definition – „umgebracht, weil sie eine Frau ist“ – irgendeine? –, die will womöglich das vorherige Verhältnis unter den Teppich kehren: aber sie wird schließlich umgebracht, weil sie nicht mehr „seine“ Frau sein will, und nicht als eine beliebige Frau, die gerade des Weges kommt. Das „Besitzdenken“ samt „Kontrollwahn“ als Vorstufe zu Gewalt spielt sich schon innerhalb des herrschenden Beziehungsmodells ab. Sollen da eher die Ideale – oder gleich: die Illusionen – über Familie und Beziehung hochgehalten werden? Möchte auch wieder empfehlen, das sog. „victim-blaming“, also die Beschuldigungen der Opfer durch die Täter, nicht totzuschweigen, sondern zur Kenntnis zu nehmen: In diesen Vorwürfen erklären ganz normale Männer, welche – nicht verhandelbaren – Ansprüche sie stellen, und erläutern so ihre Motive.
Victim blaming: Totschweigen oder analysieren?
„Victim blaming“: Ein Plädoyer.
Die Unzufriedenheit mit etablierten Deutungen:
Die Familie (1) – Die Unzufriedenheit mit den etablierten Deutungen
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Der hochkarätige Schwachsinn …
… kommt in den Debatten auch nicht zu kurz. So sollen Mord und Totschlag im „sozialen Nahbereich“ möglicherweise etwas damit zu tun haben, dass Männer nicht gelernt haben, über „ihre Gefühle“ zu sprechen, was aber ganz wichtig sein soll. Bloß, was soll es denn bringen, wenn so ein Typ ganz offen und aufrichtig über die tiefen Hassgefühle gegenüber seiner „Ex“ spricht? Angeblich hat der Beziehungstäter mit der Unschuldsvermutung aus Graz zwei Verwandte als Mithelfer oder zumindest Mitwisser rekrutieren können; vermutlich nicht durch Schweigen.
Oder: Eine „Expertin“ im ORF vermeldet: „Also ich halte es für ganz, ganz wichtig, den Blick ein bisschen weg von den Frauen hin zu den Männern und Burschen zu richten. … es sei sehr wichtig und auch der Zeit angemessen, Männern und Burschen gesunde Männerbilder in die Hand zu geben, die ihnen erlauben, Stärke zu zeigen, ohne Gewalt anzuwenden.“ (https://wien.orf.at/stories/3332775/)
Ein guter Einfall, mal die Frage aufzuwerfen, was mit den Tätern los ist – es sind ganz normale „Idioten der Familie“, wie oft berichtet wird. Statt dessen kommt die Empfehlung: Her mit dem „gesunden Männerbild“, als wären die üblichen, gesellschaftlich anerkannten und empfohlenen Leitlinien von Anspruch, Erfolg und notwendiger Enttäuschung beim Umgang mit dem anderen Geschlecht beliebig manipulierbar! Liebe Burschen, als Mutprobe müsst ihr doch nicht unbedingt Frauen verprügeln, gell! Die ahnungslose Expertin glaubt offenbar, bei all dem ginge es bloß um Angeberei und Imponiergehabe – und Stärke „zeigen“ ginge doch auch anders! – und nicht um die Durchsetzung dessen, was sich so ein „Idiot der Familie“ – auch ohne Trauschein – als seinen Anspruch auf auf Glück oder wenigstens Treue oder Image, ist gleich als seine Ehre, zurechtgelegt hat. [„Idiot der Familie“ ist der Titel der Biographie, die Jean-Paul Sartre über Gustave Flaubert verfasst hat. Kenne das Werk nicht, aber der Titel gefällt mir ausnehmend gut!]
Die Familie (10) – Zusammenfassung: Familientragödie und Ehrenmord
https://cba.media/501309
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„Die Familie ist das wichtigste!“ Im bürgerlichen Getriebe.
Und deswegen rechtfertigt die Familie auch jede kleinere oder größere Sauerei. Wenn ein Bill Clinton der Nation in das Gesicht lügt, tut er es, um „seine Familie zu schützen“. Walter White wird als Heisenberg zum Drogenproduzenten, um für seine Familie zu sorgen usw. … Die Beispiele sind endlos. Dafür sind die Mitglieder der Familie einander auch bedingungslos verpflichtet. Es gibt bekanntlich Verbrecherbanden, die ihre Organisation als „Familie“ titulieren – wie kommen sie bloß drauf? Nun da hätte wir einmal das Versprechen der Treue, der uneingeschränkten Loyalität. Es sich mal anders zu überlegen, und auszusteigen, ist nicht vorgesehen – dabei handelt es sich also um Verrat. Und den Verräter ereilt die fürchterliche Rache. Und nicht zu vergessen: Das Gesetz des Schweigens. Treue, Verrat, Rache – diese moralische Trias ist der Treibsatz der Gewalt. Ist die Familie eine mafiöse Struktur?
Ausführlich: Der Mann im Kapitalismus. Zwei Teile: die Geldfrage, die Gewaltfrage.
https://99zueins.fireside.fm/dw4
