Kleiner Abriß der Geschichte jenes Paragraphen, durch den das Wiener Schalverbot überhaupt erst mögliche wurde.
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Die Aufregung um die konkreten Ereignisse um den FPÖ-Ball hat sich ein bißchen gelegt. Vielleicht kann man jetzt einmal auch über ein paar grundsätzliche Fragen bzgl dieser Geschichte reden.
Denn nachdem das Schalverbot der Polizei in Wien innerhalb des Gürtels genau gar nicht befolgt und, soweit bekannt, auch nicht exekutiert worden ist, verschwand die Debatte darüber nach den Auseinandersetzungen bei den Demos sehr schnell wieder aus der Öffentlichkeit. Das ist aber schade — denn solch skurille Verordnungen sind ja an sich bemerkenswert.
In der Geschichte muß man schon relativ weit zurückgehen, um eine vergleichbare Seltsamkeit zu finden. Eine davon war 1988 in der Umgebung des Flughafens Graz-Thalerhof gültig: Dort verordnete die Polizei ein generelles Verbot, Zelte aufzustellen. Der Hintergrund: Man wollte die Errichtung eines Widerstandcamps wegen der eben stationierten Abfangjäger verhindern.
Eine andere obskure Verordnung erließ September 1990 ein Bezirkshauptmannschaft bei Protesten gegen die Stationierung von Soldaten an der Grenze: Man ließ eine Gruppe von Demonstranten einfach aus dem Burgenland ausweisen.
Doch was ist eigentlich die rechtliche Grundlage solcher Verordnungen? Da muß man noch weiter zurück, bis ins Jahr 1929. Damals erließ man im Zuge der großen Verfassungsreform auch ein Behördenüberleitungsgesetz. Dieses war als Provisorium gedacht — doch in Österreich hält nichts so lange wie ein Provisorium, vor allem wenn es sehr praktisch ist. In diesem Gesetz von 1929 war unter Art.II §4 Abs.2 zu lesen: “Bis zur Erlassung bundesgesetzlicher Bestimmungen über die Befugnisse der Behörden auf dem Gebiet der allgemeinen Sicherheitspolizei können die …. Behörden zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit von Menschen oder des Eigentums innerhalb ihres Wirkungsbereiches die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Anordnungen treffen und deren Nichtbefolgung als Verwaltungsübertretung erklären”.
Das war der totale Freibrief für die Polizei. Denn damit konnte sie so ziemlich alles verordnen, was ihr gerade einfiel. Zwar betonten viele Rechtskommentare, daß dies kein Persilschein für Willkür wäre, da ja nur “erforderliche” Anordnungen damit sanktioniert wären — aber was erforderlich ist, bestimmte letztlich doch die Polizei.
„zur Erlassung bundesgesetzlicher Bestimmungen“ kam es dann aber nicht. erstens weil der Staat kein interesse daran hatte und zweitens weil die republik demontiert wurde.
denn vier Jahre nach diesem provisorischen Gesetzesbeschluß kam der Austrofaschismus und 1938 die Naziherrschaft. Doch als das alles vorüber war hatte die zweite Republik andere Sorgen, als sich um so lästige Fragen wie Grundrechte und Gewaltenteilung zu kümmern. Man bestätigte 1945 per Überleitungsgesetz einfach das alte Provisorium. Und so dauerte es bis Ende der 1980er Jahre, daß sich Beamte und Politiker daran erinnerten, daß doch vor Urzeiten ihre Vorgänger einmal versprochen hatten, ein ordentliches Polizeibefugnisgesetz zu machen. Da sollte dann drinnen stehen, was die Polizei genau verordnen darf — also eine ordentliche Grundlage von Platzverboten, Wegweisungen und ähnlichem. Willkürliche Phantasieanordnungen sollten damit aber nicht mehr möglich sein.
Dann kam der ministerielle Entwurf des Gesetzes. Und siehe da, die generelle Verordnungsermächtigung war wieder drinnen. In den Erläuterungen dazu hieß es: “Der Verlust auch der Möglichkeit, generelle Anordnungen zu treffen, schien jedoch zu weitgehend zu sein. Dementsprechend sieht diese Bestimmung, … ein generelles Anordnungsrecht … vor, und zwar dann, wenn es gilt, neu oder in außergewöhnlichem Umfang auftretenden allgemeinen Gefahren zu begegnen”.
Deswegen gibt es heute den §49 des 1991 beschlossenen Sicherheitspolizeigesetzes mit der Bezeichnung “Außerordentliche Anordnungsbefugnis”. Bei korrekter Auslegung der jetztigen Formulierung “allgemeine Anordnungen” sollte zwar eine individuelle Anordnung gegen einzelne Personen wie nach der alten Regelung nicht mehr möglich sein. Eine Ausweisung aus dem Burgenland wäre damit also nicht mehr zu rechtfertigen. Dafür fehlt aber bei der Definition, daß die Anordnungen “erforderlich” sein müßten — also könnten es vollkommen rechtskonform auch unnötige Anordnungen sein.
So kann man natürlich locker verordnen, daß das Tragen eines Schals mit einer Verwaltungsstrafe zu bedrohen ist. Die Polizei hätte uns nach dieser Rechtslage auch befehlen können, in der ganzen Stadt nur in Badehosen auf die Straße gehen zu dürfen. Sie hätten uns dabei sogar die Farbe der Badehosen vorschreiben können.
Bernhard Redl
(Leicht modifizierte Fassung des Artikels wie er in akin 3/2014 erschienen ist)