Lennie Tristano – ­ Der Hohe Priester des „Cool Jazz“

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38. Sendung (Erstausstrahlung: Februar 2012)

Lennie Tristano – ­ Der Hohe Priester des „Cool Jazz“

Eine ganz kurze Zeit lang nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war der exzentrische Pianist Lennie Tristano (1919-1978) einer der Hauptfiguren der internationalen Jazzszene als frühester Protagonist des Cool Jazz. Als geachteter Musiker und Begründer einer denkwürdigen Schule von jungen und talentierten Musikern weißer Hautfarbe, die unter seiner disziplinierten Führung einen neuen und frischen Weg für den Jazz als zeitgenössische Kunstform gefunden zu haben scheint, beeinflusste er eine ganze Generation von Jazzmusikern in Amerika, Europa und Japan. Man redete damals von einem Guru oder einer Kultfigur, und für diesen Kult hatte Tristano stets klare und gebieterisch ausgedrückte Ideen mit dem Wert eines Evangeliums. Die ganz seltenen und obskuren öffentlichen Auftritte des Meisters sowie seine noch spärlicheren Platteneinspielungen erweckten den irritierenden Eindruck, sie wollten heilige Momente und liturgische Messen sein. Heute spricht man im Zusammenhang mit dem blinden italo-amerikanischen Pianistin von einem Mythos oder von einer Legende. Als unterbeschäftigter Pianist und Arrangeur widmete er sich ein Leben lang der Lehrtätigkeit, zuerst in seiner Heimatstadt Chicago, dann gleich nach seiner Ankunft in New York im hauseigenen Studio auf der 32. Straße im East-Side-Viertel von Manhattan, die viele unterschiedliche Musiker/-innen als Treffpunkt angezogen hat. Die Liste derer, die bei ihm gelernt bzw. gelebt haben ist lang und prominent: Sie reicht von seinen engsten Mitarbeitern der Frühzeit, also dem ersten Keim der Tristano-Schule mit Sal Mosca, Billy Bauer, Arnold Fishkin, Gene Ramey, Joel Schulman, Art Taylor, Roy Haynes, Willie Dennis, Bill Harris, John La Porta, Lee Konitz, Warne Marsh, Ronnie Ball und Peter Ind bis zu älteren Swing-Musikern ganz unterschiedlicher Prägung und Herkunft, wie etwa Chubby Jackson, Shelly Manne, Bill Russo, Bud Freeman, Bob Wibur oder Phil Woods. Der geniale Interpret und Komponist Tristano, den viele Kollegen und befreundete Schüler als liebenswürdigen, aber armen und verbitterten „Kellerkünstler“ bezeichneten, der vom amerikanischen Musikgeschäft  zutiefst angewidert war, zog sich immer stärker aus der Öffentlichkeit zurück bis er als einsamer und bald vergessener Einzelgänger starb. Schon zu Lebzeiten gab es kaum Platten von ihm, und nur wenige Fans konnten den störrischen Pianisten gar live im Jazzklub oder bei renommierten Festivals in Europa erleben. Nach seinem frühen Tod mit 59 Jahren erschienen diverse Wieder- und Neuveröffentlichungen, darunter sehr interessante und experimentelle Aufnahmen mit seinen blutjungen Schülern Lenny Popkin und seiner jüngsten Tochter Carol am Schlagzeug. Und trotzdem bleibt Lennie Tristano eine bedeutende Persönlichkeit in der Geschichte des Jazz, weil er eine sehr vornehme, vielleicht die einzige wirklich originelle Ausgabe vom weißen Jazz vorgelegt hat.

Musikbeispiele:

C-Minor Complex (Lennie Tristano/William H. Bauer), solo, rec. 1962
Turkish Mambo (Lennie Tristano), solo, rec. 1955
317 East 32nd Street (Lennie Tristano), trio, rec. 1955
These Foolish Things (Link/Strachey/Marvell), mit Lee Konitz (as), rec. 1955
All The Things You Are (Jerome Kern/Oscar Hammerstein), Lee Konitz (as)
Descent Into The Maelstrom (Lennie Tristano), solo, rec. 1953
Wow (Lennie Tristano), mit Lee Kontiz (as), Warne Marsh (ts), rec. 1949
Crosscurrent (Lennie Tristano), mit Lee Konitz (as), Warne Marsh (ts), rec. 1949
Subconcious-Lee (Lee Konitz/William H. Bauer), mit Lee Konitz (as), rec. live Half-Note 1964
Abstraction (Lennie Tristano), rec. 1947; Stretch (Lennie Tristano), rec. 1966

Gestaltung & Am Mikrofon: Helmut Weihsmann
Tontechnik & Produktion: Gernot Friedbacher

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