Jazz Raga – Flower Power Vibes

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42. Sendung (Erstausstrahlung: Juni 2012)

Jazz Raga – Flower Power Vibes

Zwischen dem Okzident und dem Orient hat sich so manche kulturelle Begegnung und fruchtbare Kreuzung ergeben. In der Musik waren diese Kreuzungen häufig eher experimenteller Natur, die stets von kurzlebigen Modetrends gefolgt wurden. Inzwischen hat sich das westliche Ohr durch die sog. Weltmusik allmählich an derartige interkulturelle, aber auch eklektische Stilmischungen gewöhnt. Eines der frühesten Beispiele in der westlichen Popmusik dafür waren George Harrisons Sitarklänge beim Song Within You Without You, inspiriert von Ravi Shankar mit seiner transzendentalen Meditation und seinem großzügigen Haschisch-Konsum. (Pseudo-) Indische Musik wurde daraufhin gewöhnlich mit der esoterischen und psychedelischen Welt der Hipsters und Hippies in Verbindung gebracht. Die bislang erfolgreichste Fusion war zweifellos die mit dem Jazz, der sich geeigneter als Pop erwiesen hatte, die gleitenden Klangmodulationen klassischer Hindustani-Musik aus Nordindien aufzunehmen. Die beiden gemeinsamen Grundlagen sind mittlerweile ausgiebig bearbeitet worden, wovon diese Sendung handelt. Parallel zu den Beatles, Jefferson Airplane oder Embryo hierzulande, gab es die verschiedenen Crossover-Versuche westlicher Jazzmusiker und zeitgenössischer Komponisten im Bereich der E-Musik (z.B. Karlheinz Stockhausen, Terry Riley, Lamont Young). Abgesehen von den Hippies an der amerikanischen Westküste, die auf ihrer Suche nach innerlichen Frieden und geistiger Meditation mit indischer Mystik und devoter Ragamusik in Berührung kamen, stürzten sich nicht wenige esoterische Jazzmusiker/-innen in Kalifornien durch Drogen wie LSD, Acid oder andere Rauschmitteln auf die orientalischen Musikarten und religiösen Traditionen des Hinduismus, Buddismus und Sufismus. Es läßt sich durchaus behaupten, dass das Startsignal zur Entdeckungsfahrt der exotischen Mischformen im Jazz (bzw. Jazzrock) mit den hochkarätigen Studiomusikern Paul Horn, Bud Shank, Don Ellis, John Handy und Tom Scott aus Los Angeles zusammenhing. An der Musikuniversität der UCLA begann sich eine Schar von jungen Jazzmusikern der Westküste für die hindustanische Musik ernsthaft zu interessieren. Leute wie Don Ellis, Dave Mackay, Emil Richards und Bill Plummer vom progressiven Ensemble Hindustani Jazz Sextet kamen sogar direkt in Berührung mit dem indischen Meister Hari Har Rao, dessen Einfluß ähnlich wie beim berühmtesten indischen Guru Swami Satchidananda auf die amerikanische Subkultur enorm war und noch von bleibender Wirkung ist. Je mehr der Fusion oder Jazzrock aufkam, desto mehr Anklang fand Indo-Jazz-Fusion bei Publikum und Presse. Anfangs wurden durchaus sehr zufriedenstellende Resultate erzielt: Gary Burton, Tony Scott, Herbie Mann, Gabor Szabo und vor allem John McLaughlins Band Shakti, um mit diesen Pionieren des Genres anzufangen, hatten eine besonders glückliche Hand bei der Verwendung von solchen Anleihen aus fremden Musikkulturen. Sie verliehen ihren ohnehin komplexen und raffinierten Crossover-Projekten einen eindrucksvollen Glanz, eine großartige Dimension und neue Farbgebungen. Das erste, auf Platten reichlich dokumentierte Indo-Jazz-Konzert der Gruppe von John Mayer und Joe Harriott ging Sergeant Pepper um ein Jahr voraus, dem gleichen Jahr, in dem Ravi Shankar auch mit Jehudi Menuhin seine interessante Schallplatte East Meets West aufnahm. Der Weltbürger und Trompeter Don Cherry hatte sogar weite Horizonte erblicken lassen, als er sich für die Sache einsetzte und viele faszinierende und höchst originelle Platten mit Musikern aus verschiedenen Kulturkreisen aufnahm, darunter auch indo-tibetanische Musiker. Vor allem die Avantgardisten dunkler Hautfarbe wie John Coltrane, Alice Coltrane, Pharoah Sanders, Don Cherry, Yusef Lateef oder der aus Jamaika stammende Altsaxophonist Joe Harriott waren fasziniert von der enthaltenen Geistigkeit und von der Modalität. d.h. von der Möglichkeit, ihre freie Improvisationen auf besondere Tonleitern anstatt auf Abfolgen vorgegebener Akkorde zu stützen. Auch Großmeister John Coltrane wandte sich frühzeitig der indischen Musik zu, lange bevor das zu einer abgedroschenen Mode wurde. Bereits in den 50er Jahren begegnete er dem damals kaum bekannten Sitarspieler Ravi Shankar, bei dem er auch kurz Privatunterricht nahm. Coltranes Stimmung auf dem Tenorsaxophon klang seitdem leicht orientalisch. Aber erst auf dem Sopran wirkte sich seine Beschäftigung mit östlichen Klängen voll aus. Coltrane sammelte historische Aufnahmen von Shankar oder dessen Schüler Hari Har Rao und sollte Jahre später einen seiner drei Söhne auch Ravi (* 1965) nennen. Am deutlichsten wird es auf dem bemerkenswerten Stück India und bei dem Evergreen My Favorite Things. Als einige Sidemen diesen spektakulären, virtuosen und leidenschaftlichen Vortrag kurz nach der Aufnahme anhörten, wollten sie kaum glauben, dass es sich nicht um einen authentischen Raga handelte.

Musikbeispiele:

Bill Plummer & Cosmic Brotherhood: Journey to the East (Hersh Hamel), rec. 1968
Ravi Shankar & Pacific Jazz Group: Fire Night (Ravi Shankar), rec. 1963
Dave Mackay/Vicki Hamilton: Blues for Hari (Tom Scott/Vicki Hamilton), rec. 1968
Don Ellis Orchestra: 33-222-1-222 (Don Ellis), rec. Live Monterey, 1966
Paul Horn: Raga Desh (Bearbeitung von Paul Horn), rec. 1967
Joe Harriott/John Mayer & Indo-Jazz Fusion: Raga Megha (John Mayer), rec. 1966
John Coltrane Quintet: India (John Coltrane) featuring Eric Dolphy (bcl), rec. Live Village Vanguard 1961

Gestaltung & Am Mikrofon: Helmut Weihsmann
Tontechnik & Produktion: Gernot Friedbacher

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