45. Sendung (Erstausstrahlung: September 2012)
Descarga Cubana – Short Cuban Jam Sessions (Cachao y su ritmo caliente)
Das Etikett afro-kubanische Musik, dessen sich Jazzmusiker in aller Welt seit 1945 oftmals beliebig bedienen, kennzeichnet nur in geringem Umfang die ganze Bandbreite der neo-traditionellen Musikformen Kubas. Erst über Umwegen kam die europäische (vornehmlich die franco-creolische und spanische) Kunstmusik nach Südamerika oder in die Karibik, und besonders der Bolero erfreute sich bald sehr großer Beliebtheit unter den Volksmusikern in Kuba. Sie beließen ihn aber nicht in seiner ursprünglichen Form und besonders die afro-kubanischen Musiker adaptierten ihn auf ihre Spielweise und mit Rücksicht auf ihr populäres Repertoire und nicht zuletzt auf das auf der subtropischen Zuckerinsel vorhandene Instrumentarium (Klavier, Gitarre und Perkussion sowie moderne Blechinstrumente wie Trompete, Saxophon, Sousaphon, etc.). So nahm der Bolero zunehmend die Stilistik der Habanera an und wies sogar einige Berührungspunkte zum afro-amerikanischen Jazz auf. Aus den Danzónes (Tänzen) des 6/8 taktigen Contradanza cubano entwickelten sich vornehmlich Liedformen wie die Guajira, Mambo Cubana und Congo Cubana. Die Guajira ist als vorwiegend ländliche Liedform weltweit durch den Schlager Guantanamera von Joseio Hernandez in unzähligen Versionen besser bekannt geworden. “Perfidia“ und “Frenesi“ sind immer noch populäre Boleros aus Havanna. Charanga ist die Bezeichnung für ein musikalisches Ensemble, das bestimmte Formen kubanischer Tanz- und Volksmusik spielt, und zu informelle “Jam Sessions“ zusammen kamen. Die kubanischen Charanga Gruppen machten sich einen Spaß daraus, in improvisierten und spontan organisierten Klub-Sessions miteinander um die besten Danzónes und die originellsten Zitate zu wetteifern. In den 1940er Jahren mutierte der neo-traditionelle Son Kubas zum Mambo bzw. Afro-Cuban Jazz. Man zählt heute auf Kuba oder in den latein-amerikanischen Barrios der USA mehr als ein Dutzend stilistischer Varianten in allerlei Besetzungsmöglichkeiten. Palo Mambo nannte sich eine der stilistischen Variationen, die vielleicht der Komponist Ortestes López (1908-1991) im Ohr gehabt hat, als er einen Danzòn mit dem Titel Mambo schrieb. Spätestens seit den 40er Jahren waren kubanische Musiker in New York, hier vor allem in Spanish Harlem, heimisch geworden, um in Jazz- und Showbands oder Studioorchestern den allgemeinen Trend nach afro-kubanischer Musik zu repräsentieren. Die amerikanische Kulturindustrie im allgemeinen und der amerikanische Jazz im besonderen hatte zudem in Kuba starken Einfluss auf die einheimische Musikszene, die bald zum Austausch vieler Kubaner mit weißen Musikern in Neuva Yorka führte. Zum Kern der lateinamerikanischen “Mambo Kings“ in New York gehörte neben den etablierten Stars wie Machito aus Havanna, Dámaso Perez Prado aus Mexiko, Tito Rodriquez oder Noro Morales aus Puerto Rico, der Puertorikaner Tito Puente aus der Bronx, aber auch die Orchesterchefs Chico O’Farrill aus Havanna. Neben dem kubanischen Lokalmatadoren Benny Moré und den Latin-Perkussionisten Chano Pozo, Mongo Santamaria, Sabu Martinez, Patato Valdes, Candido Camero und Francisco Aquabella, stand der kleinwüchsige Kontrabassist Israel “Cachao“ López (1918-2008) für kurze Zeit im Rampenlicht des Musikbetriebs. Cachao Lòpez ist nicht weniger als der Vater und Meister des akustischen Kontrabasses, el bajo más alto, ein ergrauter Doyen der afro-kubanischen Musik. Sein Instrument bildet das Rückgrat von Danzónes, Mambo, Salsa und Boogaloo, und zugleich deren musikalisches Bindeglied. Um die 1940er Jahre entwickelte Cachao mit seinem Bruder Orestes “Macho“ López eigenständig den Mambo Sound, einen schnellen Gang des Danzòn. Nach seinen regulären Konzertauftritten traf er sich mit befreundeten Musikern zu sog. descargas minatures oder, wie man sie später nannte Cuban Jam-Sessions. Cachao lieferte den improvisierenden Musikern mit seinem Bass eine rhythmische Grundlage, auf der sie sich frei bewegen konnten. So entstandenen Stücke mit surrealistischen Titeln wie Controversa de Metale (Steit der Metallbläser) oder subtile Zwiesprache zwischen Flöte, Trompete und Bass, untermalt von Congas, Timbales, Bongos und dem Geräusch des schrappenden Flaschenkürbis. Im Havanna der späten 50er Jahre bildeten diese Mini-Sessions in Klubkellern oder anderswo eine spontane Versammlung musikalischer Insider und einen Kontrapunkt zum modischen Cha Cha Cha. Cachao unterlegte den Wirbel des afro-kubanischen Rhythmusteppiches mit der Kraft und Präzision seiner gezupften Darmsaiten. In Nueva Yorka spielten Cachao und seine Rhythmusgruppe zusammen mit amerikanischen Jazzmusikern die in dieser Sendung gespielten Titeln auf obskuren Schallplatten ein. Somit entstanden die berühmten Descargas in einer Komposition aus Guajiras, Criolla und Conga sowie Duette aus Klavier, Bass und Trompete im Feeling des Jazz. Cachao geriet später in völlige Vergessenheit und mußte sich mit bescheidenen Gigs, Gelegenheitsjobs und Engagements als Hausmusiker über Wasser halten. Erst nach Jahrzehnten, ausgerechnet in Miami, wurde er für den Film BONAVISTA SOCIAL CLUB wieder entdeckt, rechtzeitig zu seinem 75. Geburtstag.
Musikbeispiele:
Controversia de metales featuring El Negro (tp) und El Tojo (tb), (I. Lopez), rec. 2004
Estudio en trompeta featuring Alejandro “El Negro“ Vivar (tp), (I. Lopez), rec. 2004
Guajeo de saxos featuring Emilio Peñalver (ts), (E. Penalver), rec. 2004
Oye mi tres montunio featuring Nino Rivera (perc), (H. Echevarria), rec. 2004
Cogele el Golpe featuring Isreal “Cachao“ López (b), (A. Castillo), rec. 2004
Pamparana featuring Cachao‘s Ensemble, (A. Leon), rec. 2004
Descarga Cubana featuring Cachao (b) und Guillermo Barretto (tympani), (O. Estivill), rec. 2004
Goza mi trompeta featuring Alejandro “El Negro“ Vivar (tp), (O. Estivill), rec. 2004
Es differente (Isreal López), rec. 2004
Descarga Mambo (Oscar López), rec. 2004
Popurrit de congas (trad.), rec. 2004
Redencion (Oscar López), rec. 2004
El manisero (M. Simons) featuring Emilio Peñalver (ts), (E. Penalver), rec. 2004
Descarga Guajira (Isreal López), rec. 2004; La Luz (Isreal López), rec. 2004
Gestaltung & Am Mikrofon: Helmut Weihsmann
Tontechnik & Produktion: Gernot Friedbacher