48. Sendung (Erstausstrahlung: Dezember 2012)
Dig That Jive! – Der erdige und schmutzige Scat Gesang
Aberwitzige, oftmals auch absurde Scat-Vocals oder Scat-Singing ist eine besonderere Liedtechnik bzw. ein zwitterhaftes Gesangsformat im Jazz, bei dem zusammenhanglose Silben und Vokalphrasen an Stelle des Liedtextes gesungen werden, die dem Klang oder der Stimme eines Instrumentes nahekommen. Seine Urform kommt vermutlich aus der westafrikanischen Chant- und Griot-Tradition und wurde dort besonders bei religiösen Anlässen im Shango- und Voodoo-Kult verwendet. Mit der Verschleppung der Negersklaven in den amerikanischen Kolonien des 17./18. Jahrhunderts entwickelte sich dieser Stil zum Blues oder zum kirchlichen Gospelgesang im ausgehenden 19. Jahrhundert. Im Jazz wurde er angeblich vom New-Orleans-Trompeter Louis Armstrong “erfunden“ als er bei der Einspielung der Nummer Heebies-Jeebies den Text vergessen hatte und zu improvisieren begann. Der Scat-Gesang fand jedoch große Verbreitung im Bebop als Bop-Scat, wo er eine Nachahmung instrumentaler Phrasen bedeutete. Wenn zwar Sängerinnen wie Ella Fitzgerald, Sarah Vaughn oder Anita O‘Day dies zur technischen Meisterschaft brachten, waren es vor allem die männlichen R&B- und Bop-Sänger die durchschlagenden Erfolg mit dieser Gesangstechnik hatten. Als erste Schallplattenaufnahme eines Bop-Scatgesangs gilt What‘s This (1945) vom Gene Krupa Orchester mit den beiden Vokalisten Dave Lambert und Buddy Stewart. Ihre ersten Sporen verdiente sich die weiße Scat-Sängerin Anita O‘Day auch bei Gene Krupa, dessen clowneske Schlagtechnik charakteristisch war für einen Gschnas zur Faschingszeit. Natürlich darf man in diesem Kontext nicht Dizzy Gillespie vergessen, wenn von den Bebop-Vokalisten die Rede ist, der die typische negroide Jive-Sprache der schwarzen Hipsters genial nachahmte. Schwarze Sänger wie Harry “Hipster“ Gibson, Babs Gonzales, Eddie Jefferson, Kenny ’Pancho‘ Hagood oder Joe Carroll, die alle mit Dizzys Band auftraten, entsprechen in ihrem Gemüt, Witz und stimmlicher Akrobatik dem clownesken Humor von Dizzy. Jackie Paris, Earl Coleman und Chet Baker haben schließlich die Vokaltechnik des Bebop in den Cool Jazz der 50er Jahre überführt. In den Bereich des Hard-Bop-Gesangs gehört schließlich noch eine interessante Entwicklung, die zu einem der einflussreichsten und erfolgreichsten Jazzvokalensembles ihrer Zeit geführt hatte, das erstklassige Gesangstrio Dave Lambert, Jon Hendricks und Annie Ross, abgekürzt LH&R. Stark beeindruckt von dieser swingenden Vokalmusik, gründete 1963 der Sänger und Arrangeur Lars Bagge in Stockholm eine Variante von LH&R mit dem Vokalensemble Gals & Pals, die berühmte Jazzstandards mit schwedischen Lyriktexten einspielten. In Paris hingegen hatten sich ebenfalls flippige Gesangsgruppen wie die Blue Stars bzw. deren Nachfolger Les Double Six (The Double Six) unter der Guide von Mimi Perrin formiert, in deren Performance der moderne Jazz kunstvoll verarbeitet wurde. Bis 1965 bestand das experimentielle Ensemble, dem neben Frontfrau Perrin, Eddie Louis, Christine Legrand, Ward Swingle auch die Jazzer Roger Guerin, Fats Sadi und Bernhard Lubat angehört haben. Die Arrangements schrieb Quincy Jones.
Musikbeispiele:
Clark Terry & Red Mitchell: Hey Mr. Mumbles, Whatcha Say? (Clark Terry), rec. 1986
Harry “The Hipster“ Gibson: Handsome Harry, The Hipster (H.H. Gibson), rec. 1944
Babs Gonzales: Oop-Pop-A-Da (Babs Gonzales), rec. Live Small‘s Paradise 1971
Kenny ‘Pancho‘ Hagood: Oop-Bop-A-Da (Babs Gonzales), rec. 1948
Ella Fitzgerald: Lullaby of Birdland (George Shearing), rec. Live Juan-les-Pins 1966
Anita O‘Day: Up-State (Gary McFarland), rec. 1961
Anita O‘Day: Hershey Bar (Johnny Mandel/arr. Jimmie Giuffre), rec. 1959
Lambert/Hendricks/Bavan: Deedle-Lee-Deedle-Lum (Big Nick Nichols), rec. 1963
Lambert/Hendricks/Bavan: Doodlin‘ (Horace Silver), rec. 1963
Lambert/Hendricks/Ross: Twisted (Annie Ross), rec. 1959
Lambert/Hendricks/Ross: Home Cookin‘ (Horace Silver), rec. 1959
Les Double Six: Tout en dodelinant/Doodlin‘ (Horace Silver), rec. 1960
Les Double Six: Au bout du fil/Meet Benny Bailey (Quincy Jones), rec. 1960
Sarah Vaughn: No‘Count Blues (Sarah Vaughn/Thad Jones), rec. 1958
Gestaltung & Am Mikrofon: Helmut Weihsmann
Tontechnik & Produktion: Gernot Friedbacher