Das Traumarsenal kommentiert Träume ungebunden, unanalytisch und poetisch. Die Sendereihe bat wie ihr Vorbild, Robert Desnos’ Radioproduktionen “La clef des songes” von 1938, Hörerinnen und Hörer, Träume vorzulegen oder zu kommentieren.
In der achten Ausgabe vom 4. Juli 2018 feiern wird Robert Desnos’ Geburtstag: Er würde 118 Jahre alt. Wir stellen die weniger bekannte Seite von ihm vor, die wir mit viel französischem Chanson begleiten. Zu hören sind die Stimmen von Justin Winkler und Paula-Marie Rolshoven.
»Man berichtet uns, dass die Amerikaner beschlossen haben, das Leuchtfeuer in der Freiheitsstatue in der Hafeneinfahrt von New York abzuschalten. Dieses hübsche Riesenmädchen, gut angezogen und wie eine Galionsfigur an die Spitze der Stadt, die sie zu beschützen scheint, gestellt, hält hoch in ihrer rechten Hand eine Fackel. Und diese Fackel, bei Einbruch der Dunkelheit mit Millionen Watt versorgt, hat zu viel Licht verbreitet, hat das Geschehen zu deutlich ausgeleuchtet.
Nun, da das Licht aus ist, versteckt sich die Freiheit. Bald wird sie getarnt werden. Ihre stolze Geste erhebt sich im Dunkel. Diese Lichtspenderin der Welt erhellt nichts mehr. Sie versinkt in der Namenlosigkeit der Finsternis.
Diese Freiheit, die sich nicht im vollen Licht zu zeigen wagt, ist sie so gealtert, dass sie Falten spürt? Ist sie am Ende nicht mehr die Göttin mit den reinen Linien und dem kühnen Blick, das Animiermädchen um derentwegen La Fayette, Rochambeau, Suffren, La Motte-Picquet und viele andere den Ozean überquert haben?
Man kann es nicht wissen. Aber diese Verdunkelung ist sicher das Zeichen der Zeit, in der wir leben. Die passive Verteidigung weitet ihren Einflussbereich aus. Sie beschränkt sich nicht mehr auf die Gebiete Europas. Sie überzieht die ganze Welt und verstrickt den Planeten in ein globales »Blackout«, das der Erde jede Eigenheit entzieht. Denn ich stelle mir vor, dass, wenn die Vielzahl der bewohnten Welten nicht ein Grimmsches Märchen ist, sich irgendwo in der Unendlichkeit der Sterne ein Astronom unbekannter Herkunft findet – verloren auf einem namenlosen Globus – der um eine ferne Sonne kreist und der sein Leben dem Studium unserer Lichter widmet.
Das gibt sicher den Stoff für einen schönen Bericht an die Akademie der Wissenschaften dieser Sterninsel und wird viele Hypothesen über das Aussterben der Erde provozieren.«
Robert Desnos in Aujourd’hui, 20. Februar 1943, übersetzt von Justin Winkler
»Man findet in diesen Tagen nicht leicht eine Anstellung. Ich hatte ein solche gefunden und sie mangels Eignung nicht behalten. Es war ein Maskengeschäft … für Gasmasken, ein aktuelles Produkt, wie man weiß. Die Kleinanzeige in einer Zeitung hat mich in eine elegante Straße geführt, in den ersten Stock eines eleganten Gebäudes. Die Büros des Unternehmens sind prachtvolle Salons. Man spürt sofort, dass es sich um einen soliden Geschäftszweig handelt, ein Eindruck, der von den Managern noch verstärkt wird. Sie sind junge, energische Männer, überzeugt davon, dass sie gute Arbeit leisten. Ich muss ihnen einen guten Eindruck gemacht haben und wurde am nächsten Tag mit genauen Instruktionen ausgeschickt, um Käufer anzuwerben. Das waren die Anweisungen:
1. Die Leute nicht erschrecken, sonst verlierst du deinen Job. Es ist absolut verboten, die Gasmasken so zu präsentieren, als ob sie vom einem wichtigen und bald fälligen Nutzen wären. Nein, diese Gasmasken müssen als nützliche, aber nicht dringliche Vorkehrung betrachtet werden, und ich muss meine kleinen Vorträge mit einem freundlichen Lächeln beenden, und dem Wunsch, meine Ware möge nie in Gebrauch genommen werden.
2. Nicht das Blaue vom Himmel versprechen. Diese Gasmasken gestatten nicht, mitten in tiefen Gaswolken zu leben, wie Fische im Wasser. Sie erlauben nur, sich in Sicherheit zu bringen, in einen Schutzraum; oder weit aus der angegriffenen Stadt hinaus zu flüchten. Sie versprechen auch nicht, alle zur Erstickung führenden Gase auszufiltern, sondern nur die, die im allgemeinen und am wahrscheinlichsten in Fliegerbomben oder Geschossen zum Einsatz kommen.
3. Hauben für Kranke und Kinder und Koffer für Säuglinge sind in der Testphase und werden nach Genehmigung durch die amtliche Kommission in den Verkauf gebracht.
Das sind alles Empfehlungen, deren Umsicht mich vor Bewunderung erstarren lässt, aber die mich selbst nicht vom Nutzen dieses Haushaltsgeräts überzeugen können. Ich erwarte, dass das Vertrauen oder Misstrauen auf diesem Gebiet Sache der politischen Einstellung ist. Und ich gehöre entschieden zur Kategorie von Menschen, die nicht Gasmasken tragen.«
Auszug aus Robert Desnos, ‘Wer hat noch keine Gasmaske?’, in Voilà, 11. Mai 1935, übersetzt von Justin Winkler