Der Tag der Befreiung des Vernichtungslager Ausschwitz im Jänner 1945 durch die Truppen der roten Armee wird heute international als der Holocaust Rememberance Day begangen. Heute zum 75. Jahrestag der Befreiung, drei Tage nach dem Akademikerball wo sich führende Rechte jedes Jahr zu einem Vernetzungstreffen einfinden, wo Kopftuchverbote unsere Medien dominieren und Milliarden an Euros in die Antimigrationspolitik investiert werden, sollten wir uns nicht nur an den Widerstand erinnern, sondern ihn weiterdenken. Denn eine reine Berichterstattung zu den Geschehnissen ist den Widerstandskämpfern und Kämpferinnen des Nationalsozialismus nicht würdig. Diese Kämpferinnen und die Opfer der Shoah zu ehren, bedeutet nicht in eine passive Erzählung zu verfallen, sondern vor allem aufzuzeigen was heute passiert, was in unserem Umfeld geschieht und Haltung zu zeigen wenn faschistische Tendenzen unter dem Titel der inneren Sicherheit propagiert werden. Denn für Gerechtigkeit und die Freiheit aller Menschen zu kämpfen heißt Widerstand gegen jede Form der Unterdrückung zu leisten.
Bei Widerstand geht es auch darum, dass Gerechtigkeitsgefühl zu schärfen – und die Zivilcourage zu beflügeln. Es geht darum, in der Gegenwart nach Ähnlichkeiten des Unrechts zu suchen und die entdeckten Parallelen im Hier und Jetzt aufzuzeigen. Wenn wir im Geschichtsunterricht vom zweiten Weltkrieg berichten, darf es nicht nur um die Vergangenheit gehen, sondern es muss der Bezug zur Gegenwart hergestellt werden. Wenn wir über die Widerstandskämpfer und Kämpferinnen des NS-Staates sprechen, sollte das den Wunsch entfachen, zu verstehen, wie diese Menschen heute denken würden, was sie handeln würden und wofür oder wogegen sie sich einsetzen würden. Die Auseinandersetzung mit dem Thema sollt die Menschen beflügeln, sich mit aktueller Politik auseinanderzusetzen.
Wir müssen an Hans Landauer denken, ehemaliger Spanienkämpfer und Überlebender des KZ Dachau, der sich als ehrenamtlicher Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes auf publizistischem Terrain dafür einsetzte, die Geschichte für nachfolgende Generationen greifbarer zu machen. Herbert Kickl bezeichnete das Döw, welches am Judenplatz in Wien zu finden ist, bei der ersten Nationalratssitzung im neuen Jahr als „kommunistische Tarnorganisation“. Es war nicht das erste Mal, dass Herbert Kickl einen Seitenhieb austeilte. Im Vorjahr nannte er das DÖW als damaliger Innenminister Österreichs das DÖW die unnötigste Organisation überhaupt. Parlamentarische Ordnungsrufe können in diesem Zusammenhang nicht reichen um zu klären, dass solche Attacken in unserer Demokratie nicht toleriert werden dürfen. Nur wenn wir als Zivilgesellschaft gegen solche antisemitischen und rechten Vorstöße aufstehen, können wir den Freiheitskämpferinnen und Opfern des Holocaust angemessene Ehre zollen.
Wie würde Landauer die rassistischen Attacken gegen die neue Justizministerin Alma Zadic bewerten und wie die Reaktionen des rechten Lagers, Zadic als Hysterikerin zu diskreditieren oder die zurückhaltende Stellungnahme in dieser Causa unseres Bundenkanzlers? Was lehrt uns seine Geschichte zu den immer wiederkehrenden Fällen von Nazi-Liederbüchern über Ministeriumsverbindungen zu der neonazistischen Verbindung „Identitäre“ bis zu den Steuersubventionen für rechtsextreme Medien?
Wir müssen uns auch an die Worte von Rosa Jochmann erinnern, die den Kampf gegen Rassismus, Faschismus, Antisemitismus, Ausländerhass und Rechtsextremismus als einen Kampf beschrieb, der nie zu Ende gehe. Eine Frau die ihre eigene Freiheit unter dem NS-Regime riskierte und ihr Leben dem Kampf für eine Welt des Friedens, der Freiheit und der Menschlichkeit widmete. Lange nach ihrer Befreiung aus dem KZ Ravensbrück appellierte sie auf Kundgebungen, und bei ihren Reden an unser Gewissen, die Freiheit immer zu verteidigen und mahnte mit ihrem oft gesagten „NIEMALS VERGESSEN“ vor den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Gegenwart, die rassistische Scharfmacher und Geschichtsleugner wieder zurück an den demokratischen Verhandlungstisch bringen. Wir müssen uns fragen: Was müssen wir gegen die parteipolitische Bevormundung des freien Journalismus und der Justiz machen um Jochmanns gefordertem Widerstand gerecht zu werden? Was gegen die politische und mediale Demütigung von sozial schlechter gestellten in unserer Gesellschaft? Wie können wir gegen den globalen Machtwahnsinn vorgehen und individuelle Freiheiten vor weiteren Begrenzungen schützen?
Eines ist sicher. Rosa Jochmann, Hans Landauer, Josefa Breuer, Otto Horn und all die mutigen Widerstandskämpferinnen und Zeitzeugen des grausamen NS-Regimes würden vor allem eines tun: Sie würden nicht schweigen!
Und weil der Mensch ein Mensch ist — ein Lied von der Band die Grenzgänger, welche die Lieder und Texte des Widerstands gegen die unmenschliche NS-Diktatur, aus den Lagern und Gefängnissen ins Jetzt holt. Widerstand leisten — was bedeutet das nun in unserer heutigen Demokratie, und in einem Europa, dass sich mit restriktiver Migrationspolitik abschottet, während Menschen vor den fiktiven Kolonialen Mauern des Kontinents im Meer ertrinken?
Das rhetorische Repertoire demokratisch gewählter Populisten erinnert stark an die Propaganda des Nationalsozialismus. Während es damals hieß die Juden würden die europäischen Völker kulturell überfremden, wird heute gegen Muslime mobil gemacht wenn sie von einer Islamisierung Europas sprechen. Mit Wörtern wie Ungeziefer, Viren oder Bazillen wurden Juden damals stigmatisiert, heute schreiben hochrangige Politiker Rattengedichte um Flüchtlinge menschenunwürdig zu diffamieren. Während damals der Judenboykott stattfand und nach und nach Gesetze zum systematischen Ausschluss der Juden und Jüdinnen am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben erlassen wurden, sind zentrale Themen der neuen Regierung Kopftuchverbote oder die Sicherungshaft für Asylsuchende. Ich bin mir sicher, dass die Ausgrenzung und Dämonisierung von Migranten und MigrantInnen hier noch kein Ende nehmen wird. Es ist kein Zufall wenn sich führende Politiker und PolitikerInnen der sprachlichen und medialen Instrumente totalitärer Systeme bedienen. Die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak erklärt hierzu in ihrer Stellungnahme zu einer Forschung über antimuslimischen Rassismus in Österreich der Organisation SOS Mitmensch: Zitat: Zunächst werden Generalisierungen über eine fälschliche als homogen imaginierte Gruppe von Muslimen getroffen, denen im zweiten Schritt ganz allgemein verschiedene negative Attribute zugeordnet werden. In einem Dritten Schritt werden dann Policies vorgeschlagen, um diese Gruppe im Alltag und institutionell zu diskreditieren und letztlich als gesamte Gruppe zu kriminalisieren.“ Zitat Ende.
Die Holocaust-Überlebende Hanni Levy sagte in einer Rede in Hannover 2018: „Damals waren die Juden an allem Schuld, heute sind es die Flüchtlinge“. Die heute 96-jährige Jüdin erinnert uns daran welche politischen Methoden damals angewendet, wie Feindbilder damals medial konstruiert wurden um den Weg zu den Gräueltaten des Hitler-Regimes zu ebnen. Sie selbst wurde von Deutschen versteckt, die ihre Menschlichkeit über die Obrigkeit des Gesetzes stellten. Sie weiß daher wie wichtig Widerstand für ein Menschenleben sein kann.
Die Zeitzeuginnen und Widerstandskämpfer der NS-Zeit haben ihre Verantwortung übernommen und uns ihre Geschichten erzählt. Geschichten und Erfahrungen die mit einfachen Worten nicht zu erfassen sind. Es liegt nicht mehr an ihnen den Kampf für Gerechtigkeit fortzuführen, es liegt jetzt an uns ihr Vermächtnis weiterzutragen. Ein „Wehret den Anfängen“ kann aber heute nicht mehr genug sein. Nur an den Nationalsozialismus und den Austrofaschismus zu erinnern, ohne sich aufkommendem Autoritarismus in unserer Gesellschaft und Politik entgegenzustellen, macht uns zu Hypokriten die sich hinter den Taten älterer Generationen verstecken. Wer den Opfern der Shoah tatsächlich Gedenken will, der muss beginnen sich selbstständig zu informieren, wenn soziale Medien als Propagandamaschine missbraucht werden, der muss alte Parolen verwerfen und eigene Standpunkte entwickeln, wenn sogenannte „linke“ Parteien um des Regierens willen der Diskriminierung von Minderheiten zustimmen. der muss sein Recht einfordern Demokratie aktiv mitzugestalten, wenn der Handlungsspielraum von Nichtregierungsorganisationen beschnitten wird und vor allem müssen wir mit dem polarisierten Anderen in den Dialog treten! Denn Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit und sie lebt von einer pluralisierten Debatte und einer wachsamen Zivilgesellschaft die sich als Gemeinschaft begreift.
Wir müssen uns bewusst werden dass Feindbilder sozial konturiert sind und das wir unsere gesellschaftliche und politische Realität jeden Tag mit unseren Handlungen und Haltungen mitgestalten. Das heißt wir können direkten Einfluss darauf nehmen wie mit Menschen umgegangen wird und wir können uns immer klar gegen die Diskriminierung von Minderheiten und gegen den Abbau demokratischer Strukturen positionieren. Im Vergleich zu den WiderstandskämpferInnen der NS-Zeit genießen wir heute jedoch ein hart erkämpftes Privileg. Um uns für Menschenrechte und die individuelle Freiheit einzusetzen riskieren wir selten unser Leben. Wir haben die Möglichkeit uns demokratisch frei zu äußern und uns zivilgesellschaftlich zu organisieren. Und wir haben nicht nur die Möglichkeit sondern sogar Pflicht dieses Privileg zu beschützen.
Auch wenn wir den Widerstand im Nationalsozialismus nicht einfach mit den heutigen Formen von Protest vergleichen können so lehren uns doch zahlreiche Beispiele was Widerstand im Europa des 21. Jahrhunderts heißt: Die DemonstrantInnen und Demonstranten die an den vergangenen Donnerstagsdemos gesellschaftliche Solidarität gegen rechte Regierungen und korrupte Politiken zeigten, sich für die Rechte von Nicht-Wahlberechtigten sowie Minderheiten einsetzten und soziale Gerechtigkeit forderten. Diejenigen, die in Europa auf die Straße gehen und sich organisieren um auf die Folter von Julian Assange aufmerksam zu machen, jenen Journalisten der Kriegsverbrechen des USA aufgedeckt hat und dafür jetzt in menschenunwürdigen Bedingungen in einem Britischen Hochsicherheitsgefängnis mit seiner Freiheit bezahlt. Couragierte Menschen die zivilen Ungehorsam leisten um ertrinkende aus dem Mittelmeer zu retten, und die sich nicht davon klein kriegen lassen dass ihnen per Gesetz ihre Menschlichkeit abgesprochen wird indem sie gesetzlich mit Schleppern gleichgesetzt werden.
All jene die sich mit ihrem Aktivismus für die Bedürfnisse und Freiheit aller Menschen unabhängig ihrer Herkunft, Religion, Geschlechts oder sexueller Orientierung einsetzen und es damit nicht in die Mainstream-Medien schaffen und die nicht wegsehen sondern laut aufschreien und handeln wenn es um Gerechtigkeit geht.
Genau diese mutigen Menschen und Gruppen sind die Heldinnen und Helden des heutigen Widerstandes. Und deshalb heißt den NS-Opfern und Kämpferinnen der Resistance zu Gedenken auch: Diesen Leuten in ihren Reihen Gesellschaft zu leisten und selbst tätig zu werden.