Ein Buch über Krieg und Grausamkeit

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Bücher-Wahl
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  • 20201005_Buecher-Wahl_Wenn die Liebe ruht_30-00
    31:23

In dieser Sendung möchte ich Ihnen ein Buch vorstellen zu dem unser aller Bundespräsident – Alexander Van der Bellen – meint „Lesen Sie es!“.

„Wenn die Liebe ruht“ von Drago Jančar beginnt mit der Besetzung Maribors durch die NS-Truppen, also 1941. Wie viele deutschsprachige Gebiete wurde auch die ehemalige Untersteiermark – die seit dem Ende des Ersten Weltkriegs zum Königreich Jugoslawien gehörte – in das deutsche Reich eingegliedert. Der Beginn des Buches ist auch formal interessant. Es beginnt mit der Beschreibung einer Fotografie – die im Übrigen am Cover des Buches abgebildet ist. Nach etwa eineinhalb Seiten erweckt Jančar die eben beschriebenen Fotografie zum Leben indem der die darauf abgebildeten jungen Frauen miteinander sprechen lässt. Das ist auch deshalb bemerkenswert weil der Autor in diesem Buch mehrmals die Erzählperspektive wechselt. Einmal blickt er von Außen auf seine Figuren und ein anderes Mal lässt er uns in sie hinein kriechen, teilt uns mit was sie fühlen und denken. All diese Wechsel in der Erzählhaltung fließen aber so selbstverständlich ineinander, dass sie nicht stören sondern organisch wirken. Die Sprache – oder besser gesagt die Art des Erzählens – ist sehr nahe an der gesprochen Sprache. Oftmals kommen Wiederholungen und Verdoppelungen vor, wie man sie aus einer lebhaft erzählten Geschichte kennt.

Anhand von vier Personen, vier Schicksalen, erzählt Jančar wie der Okkupation und Krieg in das Leben der Menschen eingreift uns letztlich beschädigt, ja zerstört. Wahrlich keine Strandlektüre – um nochmals van der Bellen zu zitieren. Diese Schicksale berühren, verweben, ja verhaken sich ineinander. Dabei ist Drago Jančar unerbittlich mit seiner Leser- und Leserinnenschaft. Er gewährt keine Happy End, ja nicht einmal ein tröstliches Ende. Leben werden beschädigt, und zwar nachhaltig. Und es wird nicht mehr gut. Keine Resilienz, kein an Schwierigkeiten wachsen, nichts versöhnliches, kein nochmal davongekommen. Und wenn Szenen des Glücks, der Wärme des Zutrauens beschrieben werden dann haben sie nichts entspannendes, sondern sind vor allem Kontrastmittel um dem Gauen und der Aussichtslosigkeit schärfere Konturen zu verleihen. Keine leichte Kost. Aber wenn man sie gekostet hat, dann muss man sie aus einem inneren Drang heraus bis zum Schluss auslöffeln. Das ist eine wirkliche Qualität des Buches, dass es so spannend und facettenreich geschrieben ist, dass man es einfach nicht weglegen kann.

Jančar ist 1948 in Maribor geboren und lebt in Ljubljana. Er gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Sloweniens. Seine Romane, Essays und Stücke wurden in viele Sprachen übersetzt. Für seinen Roman „Wenn die Liebe ruht“ bekam er im August diese Jahres den Staatspreis für Europäische Literatur.

Das Buch ist 2019 im Zolnay-Verlag erschienen. Die Übersetzung aus dem Slowenischen hat Daniela Kocmut ins Werk gesetzt.

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