Die Familie (3) — Recht, Pflicht, Unrecht, Strafe und Gewalt im Liebesleben

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Die Familie
Ort des Glücks,
Ort der unbezahlten Arbeit,
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Ort des Amoklaufs

Recht, Pflicht, Unrecht, Strafe und Gewalt im Liebesleben:
Die Ehe – ein Vertrag

Die Ehe ist ein Institut des bürgerlichen Rechts, das im Familienrecht ausdefiniert ist. Das kann man gern einmal als Vertrag charakterisieren, allerdings mit Besonderheiten. Zum einen dürfen sich die Eheleute, seit der Mann als formelles Oberhaupt der Familie abdanken musste, ihre wechselseitigen Leistungen bei der gemeinsamen Bewältigung des Alltags ganz frei und gleichberechtigt ausschnapsen, auch ohne detaillierte staatliche Vorgaben von Leistung und Gegenleistung – dass sich da Unterschiede ergeben mit einer deutlichen Tendenz zu einer eher traditionellen „Arbeitsteilung“ von Frau und Mann, spätestens sobald Kinder da sind, das widerspricht dem nicht. Zum anderen legt eine dritte Instanz, nämlich der Gesetzgeber, sehr wesentliche Vertragsinhalte fest, die von Staats wegen schon sein müssen. Allerdings – solange die Ehe aufrecht ist und das Zusammenleben funktioniert, mischt sich der Staat nicht sehr ein – es sei denn, die Kinder verwahrlosen soweit, dass Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen das Jugendamt einschalten oder die häusliche Gewalt außerhalb der Familie zum Thema wird. Sobald aber die Lebensgemeinschaft der Auflösung entgegengeht, besteht das Gesetz kategorisch auf gewissen Leistungen bei der Betreuung der Kinder und der Finanzierung von Kind und Kegel; je nach der Rechtslage, nach einer allfälligen Klärung der Schuldfrage durch das Gericht und nach der Einkommenslage. Eine allfällige Reform des Eherechts – das wird ja ab und an novelliert – ist übrigens kein anerkannter Scheidungsgrund, mit dem Argument, die Rechtslage habe sich geändert und damit sei die ursprüngliche Grundlage des Vertrags weggefallen.

Die Gestaltung von Liebesbeziehungen als Verhältnis von wechselseitigen Rechten und Pflichten, die geht auch ohne Trauschein und vor allem ohne genaue Kenntnisse des je aktuellen Eherechts. Das Bedürfnis, sich die Zuneigung zu sichern, besser: Sich vor allem die damit verbundenen Erlebnisse und Befriedigungen und Leistungen zu sichern, gegen die immer möglichen oder drohenden Fährnisse und Risiken zu sichern, das ist auch ohne Trauschein möglich und vielleicht sogar die Regel. Die Risiken sind bekannt: Jemand ist mal angefressen und / oder wer anderer ist auch attraktiv, die Liebe ist bekanntlich ein seltsames Spiel, sie geht von einem zum andern, und dort, wo sie hinfällt, wächst kein Gras mehr. Bei diesem Bedürfnis nach „Verrechtlichung“ der Beziehung – mal so halbironisch ausgedrückt –, da darf man ruhig annehmen oder unterstellen, dass es den Beteiligten jeweils darum geht, den oder die andere verlässlich festzulegen, während man / frau von sich selbst nicht selten der Meinung ist, die eigenen Beiträge und Leistungen aus Liebe, die seien ohnehin über jeden Zweifel erhaben und selbstverständlich. Möchte über einen kleinen Umweg weitermachen, über eine philosophische Deutung der Ehe. Immanuel Kant definiert in der „Metaphysik der Sitten“: „Die Ehe ist ein Vertrag zwischen Mann und Frau zum gegenseitigen Gebrauch der Geschlechtsorgane“.

  • 24: … Es ist nämlich, auch unter Voraussetzung der Lust zum wechselseitigen Gebrauch ihrer Geschlechtseigenschaften, der Ehevertrag kein beliebiger, sondern durchs Gesetz der Menschheit notwendiger Vertrag, d.i., wenn Mann und Weib einander ihren Geschlechtseigenschaften nach wechselseitig genießen wollen, so müssen sie sich notwendig verehelichen, und dieses ist nach Rechtsgesetzen der reinen Vernunft notwendig.
  • 25: Denn der natürliche Gebrauch, den ein Geschlecht von den Geschlechtsorganen des anderen macht, ist ein Genuß, zu dem sich ein Teil dem anderen hingibt. In diesem Akt macht sich ein Mensch selbst zur Sache, welches dem Rechte der Menschheit an seiner eigenen Person widerstreitet. Nur unter der einzigen Bedingung ist dieses möglich, daß, indem die eine Person von der anderen, gleich als Sache, erworben wird, diese gegenseitig wiederum jene erwerbe, denn so gewinnt sie wiederum sich selbst und stellt ihre Persönlichkeit wieder her. (www.Zeno.org)

Er hebt an mit der Lust zum wechselseitigen Gebrauch der Geschlechtseigenschaften – nun denn, damit ist ja alles auf Schiene; und fertig. Wieso Vertrag? Kant bewältigt mit der Konstruktion ein Problem, das er sich mit seinem Menschenbild einhandelt – der Mensch ist als Rechtssubjekt vor allem Eigentümer, der als Träger von Rechten den Verkehr mit anderen Leuten als Vertrag organisiert. Nun, Liebende benehmen sich erkennbar nicht so, dass sie als Rechtssubjekte ihre Rechte gegeneinander in Anschlag bringen und einander per Vertrag auf Leistung und Gegenleistung festnageln. Kant denkt sich das nun so zusammen, dass sich der Liebende dann eben gleich einer „Sache“ quasi selber herschenkt – verkaufen tut er sich ja wirklich nicht. Das geht aber eigentlich nicht, weil er sich so als Rechtssubjekt aufgeben würde – und dann geht das, was nicht geht, letztlich doch, wenn der Unsinn wechselseitig passiert, weil dadurch die sich verschenkt-habenden Figuren sich selber wieder zurückbekommen, indem sich das Gegenüber auch wie eine Sache selbst übergibt – und das braucht wieder den Vertrag als Sicherstellung, weil sich sonst womöglich diese wechselseitige Verschenkerei quasi als „Sache“ einseitig auflöst, wenn einer der Beteiligten ausbüxt. Ein ideengeschichtlich-philosophisches Konstrukt: Denn nein, man macht sich nicht zu einer Sache, wenn es bloß um die „Lust zum wechselseitigen Gebrauch ihrer Geschlechtseigenschaften“ geht, und man verschenkt sich nicht, auch wenn man sich das vielleicht mal einbildet oder sogar vom Gegenüber wünscht …

Wichtig ist der Vertrag wegen einer Konsequenz, die Kant so formuliert: Was ist, wenn sich eines der Eheleute „verläuft“? „ … Daß aber dieses persönliche Recht es doch zugleich auf dingliche Art sei, gründet sich darauf, weil, wenn eines der Eheleute sich verlaufen, oder sich in eines anderen Besitz gegeben hat, das andere es jederzeit und unweigerlich, gleich als eine Sache, in seine Gewalt zurückzubringen berechtigt ist.“ Wer sich verläuft, wird mit Gewalt zurückgebracht, denn „pacta sunt servanda“! Auch wenn die gewaltsame Wiederaneignung einer, die sich verlaufen hat, heute nicht mehr von Rechts wegen auf der Tagesordnung steht – eines bleibt nach wie vor: Die Auflösung in Form der Scheidung, die hat schon ihre Bedingungen und Schranken. Und die Drohung an eine Frau, die abhauen möchte – er droht, sie umzubringen, weil sie das nicht darf, nach Meinung des Täters –, die existiert sowohl als Ankündigung, und dann nicht selten als Durchführung. (Alle zwei Wochen in Österreich.) Allerdings: Wenn es mal soweit kommt, dann ist von „der Lust zum wechselseitigen Gebrauch ihrer Geschlechtseigenschaften“ nichts mehr übrig, das ist vorbei und gelaufen, nachdem ein Teil per Gewalt weiter mitmachen muss. – Der „Erfolg“ dieses Zurückbringens besteht aus und bedient dann ein Bedürfnis eigener Art, jenseits der Zuneigung und der Lust: Es wird dem Recht Genüge getan; die Befriedigung besteht darin, dass wieder alles seine Ordnung hat.

Auch das richtige Eherecht außerhalb der Philosophie definiert die Beziehung zwischen Mann und Frau bzw. den Partnern, als ein Verhältnis von Rechten und Pflichten, das gerade unabhängig vom jeweiligen, vielleicht wankelmütigen Einvernehmen Bestand haben soll. Dass Recht und Pflicht auch vor dem „Intimbereich“ nicht halt machen, liegt in der Natur der Sache. Also wird die Lust u.U. selbst zur trostlosen Pflicht:

 „Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt. Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen, zu denen die Unwissenheit der Eheleute gehören kann, versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen. Denn erfahrungsgemäß vermag sich der Partner, der im ehelichen Verkehr seine natürliche und legitime Befriedigung sucht, auf die Dauer kaum jemals mit der bloßen Triebstillung zu begnügen, ohne davon berührt zu werden, was der andere dabei empfindet. (…) Deshalb muss der Partner, dem es nicht gelingt, Befriedigung im Verkehr zu finden, aber auch nicht, die Gewährung des Beischlafs als ein Opfer zu bejahen, das er den legitimen Wünschen des anderen um der Erhaltung der seelischen Gemeinschaft willen bringt, jedenfalls darauf verzichten, seine persönlichen Gefühle in verletzender Form auszusprechen.“ (dt. BGH, 02.11.1966)

Dieses deutsche Bundesgerichtshof-Urteil stammt zwar aus dem Jahr 1966; heute klingt das irgendwo zwischen komisch und barbarisch. Die Frage ist, was da absurd ist – das spezielle Bemühen der Judikative, dem Recht auf ehelichen Liebesgenuss auf diese Weise zur Durchsetzung zu verhelfen, oder dass konsequenterweise auch Sex und Liebe in der Ehe insgesamt zum Rechtsgut wird? Das Eherecht bleibt die gar nicht lächerliche Grundlage des gesetzlich geschützten Liebeslebens. Man darf sich angesichts dessen gern daran erinnern, dass die Vergewaltigung in der Ehe früher gar kein bzw. ein Kavaliersdelikt war, weil der Täter ja „nur“ das durchsetzt, was ihm als sein Recht auf die eheliche Pflicht zusteht. (Erinnerung an den Film über Johanna Dohnal.) Der absolute Irrsinn, den man im Kopf besser nicht aushalten sollte, der besteht jedoch darin, dass der Erfolg des Göttergatten, der so einen Prozess anstrengt und dann sogar gewinnt, damit tatsächlich sein Recht erstreitet: Seine Frau wird vom Gericht zur Pflicht und zur Heuchelei gezwungen – und er weiß das; er weiß, sie findet es widerlich, und er hält es für einen Erfolg, wenn sie so tun muss, als ob. Dass da die „seelische Gemeinschaft“ einen Aufschwung erlebt, darf bezweifelt werden.

Apropos: Gibt eine von feministischen Strömungen vertretene Behauptung, bei der Vergewaltigung ginge es nicht um Sexualität, sondern um Macht und Zwang pur, als Zweck eigener Art. Da wird davon abstrahiert, dass es sich dabei eindeutig nicht um abstrakte, inhaltsleere Macht um der Macht willen, sondern um eine ziel- und zweckgerichtete Attacke handelt; und der Zusammenschluss von Sex und Gewalt, das ist das „Recht“ auf Geschlechtsverkehr. Die Verteidigung in den einschlägigen Prozessen operiert gern mit einer moralischen Figur, die es im Recht nicht (mehr) gibt, im moralischen Verständnis von Vergewaltigern und ihren Anwälten sehr wohl: Mit einem Recht auf Vergewaltigung, das sich die Täter und Anwälte aus dem Verhalten des Opfers ableiten wollen. Die jeweiligen Einzelheiten sind der Berichterstattung und der Populärunterhaltung zu entnehmen. Kein Zufall ist, dass die häufige Vergewaltigung diejenige im Bekanntenkreis ist, und nicht die anonyme im finsteren Park: Im Umgang miteinander baut sich der Interessent seine eingebildete Rechtsposition auf, in lauter Einbildungen eigener Großartigkeit, eigener Vorleistungen und Verdienste mit Anspruch auf Gegenleistung. Vielleicht auch auf Basis seiner Position als Vorgesetzter oder Arbeitgeber. (Me too!)

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Wieso also ein Vertrag? Mit Rechten und Pflichten? Bekanntlich wird niemand zum Heiraten gezwungen – von arrangierten Ehen ist hier nicht die Rede. Die „Lust am wechselseitigen Genuss der Geschlechtseigenschaften“ – die geht auch ohne Vertrag. Auch ob daraus eine Lebensgemeinschaft mit gemeinsamer Adresse und gemeinsamer Haushaltsführung folgt, ist da keineswegs zwingend entschieden – kann sein, oder auch nicht. Geht im richtigen Leben um Leute, die offenbar eine Lebensgemeinschaft aufziehen wollen mit gemeinsamer Adresse und gemeinsamem Haushalt – im Zuge dessen ist das Bedürfnis nach einer gewissen Verbindlichkeit sicher da; die Beteiligten müssen sich halbwegs darauf verlassen, dass die nun gemeinsamen Ausgaben für Wohnung und Lebensführung, sowie die unbezahlte Arbeit im Haushalt auch erledigt werden. Nur, diese Art der freiwilligen Verlässlichkeit kommt manchen Beteiligten offenbar unzulänglich vor; denn sobald sie heiraten, nehmen sie eine dritte Instanz in Anspruch, die das Vertragliche unabhängig von ihnen, als ernste, praktisch relevante Recht und Pflicht fixiert.

Dennoch – solange und worüber die zwei beiden sich einig sind, brauchen sie keinen Vertrag, da lassen sie es eben krachen, was immer das speziell bedeuten mag; das hängt eben ganz allein an den Neigungen der Beteiligten. Das gilt auch für allfällige Streitpunkte, über die sich dann noch geeinigt wird. Das richtig vertragsmäßige, das handfeste Erfüllen der jeweiligen Rechte und Pflichten mit Leben, das tritt dann in Kraft, das wird praktisch wirksam, wenn eine der vertragschließenden Parteien dezidiert nicht mehr will – dann wird das vertragsmäßige unübersehbar als Zwang schlagend, dann machen sich Rechte und Pflichten als Recht und Pflicht praktisch bemerkbar. Beide obigen Beispiele, das „Zurückbringen“ einer Entlaufenen und die Pflicht der Frau, ihre persönlichen Gefühle beim pflichtgemäßen Beischlaf nicht bzw. geheuchelt zum Ausdruck zu bringen – die lassen im Erfolgsfall eben etwas ganz anderes gelingen, die bedienen das Rechtsbewusstsein des anständigen Menschen, der kriegt, was er sich verdient hat, und der darüber zufrieden wird. Und das ganz offenkundig jenseits der anfänglichen „Lust am wechselseitigen Genuss der Geschlechtseigenschaften“. Wenn zwei sich per Vertrag festgelegt haben und ein Teil nicht mehr will? Nun, im Vertragswesen, wenn es um Erwerb und Besitz geht, dann tritt eben die Erzwingung der Pflichterfüllung in Kraft und / oder die Bestrafung der Pflichtverweigerung. In jedem Vertrag, in solchen kodifizierten Rechten und Pflichten, lauert eben die Gewalt. In der Ehe ist leicht absehbar, wie sich das auswirkt – eine der beteiligten Parteien will dezidiert nicht mehr, muss aber – wenn man das so durchspielt, ist die Zerrüttung spätestens damit auf der Tagesordnung, indem ein Teil nur mehr widerwillig dabei ist. Sogar dann, wenn der verpflichtete Teil seine Pflichten im Prinzip anerkennt, weil er ja das vertragsmäßige akzeptiert hat – dann tobt womöglich der Konflikt auch innerlich, jemand wird zwischen Pflicht und Neigung hin- und hergerissen. Dann wird es u.U. sehr toxisch; es kommt halt darauf an, worum es im Einzelnen geht und wie vehement die Pflichterfüllung eingefordert wird, ob das schon in Richtung Psychoterror geht.

Treue ist nicht mehr etwas, das sich ergibt oder nicht, sondern eine Pflicht und ein für die Beziehung und den Partner geleisteter Verzicht, eine Entsagung, eine Vorleistung, die wieder zu Ansprüchen berechtigt. Liebe außerhalb ist ein Betrug, denn es wurde ein Recht des Partners verletzt, der Partner wird um etwas betrogen, was ihm zusteht. Die Einführung der Ehescheidung hat historisch ihre gewisse Zeit gebraucht und sie hat gewisse Bedingungen: Einen Vertrag einfach wegschmeißen, bloß weil die übernommenen Pflichten nicht mehr gefallen – das geht nicht, erfordert zumindest etliche Voraussetzungen und Kautelen. Was sich die rechtsbewussten Eintreiber ihrer Rechte einhandeln, war an den Extrembeispielen erwähnt: Der eine gewinnt den Irrsinn des Rechts auf Geschlechtsverkehr samt durchschauter Vortäuschung von Spaß an der Freud durch die Gattin, der andere die Genugtuung, dass eine „Verlaufene“ widerwillig zurückkommen muss – mit anderen Worten, da bildet sich ein ganz eigener Genuss heraus, der mit der ursprünglichen „Lust zum wechselseitigen Gebrauch der Geschlechtseigenschaften“ nichts zu tun hat – es ist der „Genuss“ an der Gerechtigkeit, an der Vertragserfüllung.

Exkurs: Der Vertrag in seiner Elementarform, beim Kontrahieren über Leistung und Gegenleistung, über Geld und Ware, der unterstellt eben beides: Identität und Gegensatz. Jeder will das, was der andere hat, und muss notgedrungen etwas hergeben, um es zu bekommen. Das kennt jeder aus dem Einkauf im Supermarkt. Weil jedes beteiligte Interesse die Erbringung der eigenen Leistung nur gezwungenermaßen und unwillig in Kauf nimmt, und mit dem Einheimsen der Leistung des anderen völlig zufrieden wäre – deswegen braucht es die ausgetüftelten Vertragsbestimmung über Rechte und Pflichten unter allen möglichen Umständen, die Juristen antizipieren, weil klar ist, die jeweiligen Gegenleistungen sind notwendige Übel, aber nicht im genuinen Interesse der Vertragsparteien. Im Vertrag als Rechtsfigur, in der Verrechtlichung des Liebeslebens lauert die die zwanglose Überleitung zur Gewalt, durchaus auch ohne Trauschein.

Es war davon die Rede, dass der Gesetzgeber es bitterernst meint, mit den Rechten und Pflichten, auch bzw. erst recht nach einer Trennung. Worum geht es dabei? Voriges Jahrhundert an der Uni, Soziologie: Der Reichtum der Armen, das sind die Kinder, hat man erfahren, denn die müssen einmal für die Eltern sorgen! Hier hingegen gibt es einen Sozialstaat! Das schließt sich nun keineswegs aus, das sind gar keine Alternativen: Auch und speziell im Sozialstaat ist die Familie gefordert! Allgemein gehört die Familie im System des bürgerlichen Staates in die Abteilung Sozialstaat. Familie ist die politisch-rechtliche Funktionalisierung der Zuneigung der Beteiligten für nützliche Dienste aneinander und damit im Staatsinteresse. Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind vom Eherecht als beistandsbedürftige soziale Charaktere unterstellt, und besonders die betreuungsbedürftigen noch-nicht-, und die pflegebedürftigen nicht-mehr-Leistungsträger der Nation, der Nachwuchs sowie die endgültig Verbrauchten, die sollen hier die Stätte ihrer Versorgung finden – und dafür gehört die Familie gefördert, damit sie die abverlangten Belastungen auch aushält. Wobei sich immer mehr der Standpunkt durchsetzt, dass zumindest die Pflege von der Familie einfach nicht mehr zu bewältigen ist.

Das beruht ganz zwanglos darauf, dass, wer sich hierzulande verliebt, sich notgedrungen in Leute verliebt, die in ihrer natürlichen Umgebung, dem Kapitalstandort, ganz arteigene Probleme entwickeln. Und wenn man sich hilft und unterstützt im Alltag, wie wenig oder viel auch immer, dann helfen die Beteiligten einander eben darin, dass sie als Bewohner des Biotops Kapitalismus halbwegs funktionieren. Die Beteiligten sollen – der Staatsstandpunkt tritt jetzt hinzu – nun aus Liebe sozialstaatliche Funktionen erledigen, nicht aus Liebe zum Staat, sondern als wechselseitige Pflichten, ganz allgemein bei der Reproduktion der Arbeitskraft. Wer eine Familie gründet oder nur einen gemeinsamen Haushalt betreibt, betreibt de facto und teilweise de jure eine Zwei-Personen-Gesellschaft zur Bewirtschaftung der Reproduktionsnotwendigkeiten der Beteiligten, als da sind der Umgang mit den Restriktionen von Geld, Zeit und Verausgabung von Lebenskraft, die nicht seltene Erschöpfung; mit oder ohne Kinder. Wobei diese Restriktionen alle von außerhalb kommen, und die Notwendigkeiten nach der Arbeit nicht zu Ende sind: Es muss auch dafür gesorgt sein, am nächsten Tag – geschneutzt und gekampelt – wieder antreten zu können. Aber, so und als das, was es objektiv ist – nämlich die Verlängerung und Ergänzung der Arbeitswelt zur Wiederherstellung der Arbeitskraft – so geht niemand in eine Ehe und Beziehung. Die Privatsphäre gilt – nach allen anerkannten und geschätzten Konventionen – nicht als diese Verlängerung und Ergänzung der Erwerbsarbeit, sondern geradezu als Gegenwelt, als Gegenentwurf. Als eine Sphäre, in der gerade keine Notwendigkeiten und Zwänge abzuwickeln sind, und wo jeder nach seiner exklusiven Fasson glücklich werden kann.

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