Der Nationalsozialismus und seine nachträgliche Verdichtung (Teil 1)

Podcast
Kein Kommentar
  • 15_11_2024_NSTeil1_Postone_Goldhagen
    23:49
audio
23:04 Min.
Der Nationalsozialismus und seine nachträgliche Verdichtung (Teil 2)
audio
24:29 Min.
Linker Nationalismus heute – so bescheuert wie damals
audio
24:57 Min.
Antworten auf die FPÖ (Teil II)
audio
22:57 Min.
Linke und andere Antworten auf die FPÖ
audio
23:07 Min.
Zum prognostizierten Erfolg der FPÖ
audio
22:56 Min.
Nationale Identität im richtigen Leben
audio
23:19 Min.
Nationale Identität im Zeitalter der Globalisierung
audio
22:36 Min.
Die Ansprüche eines Volkskanzlers an sein geliebtes Volk
audio
23:58 Min.
Zum Vorwurf des Völkermords an Israel

Der Nationalsozialismus und seine nachträgliche Verdichtung (Teil 1)

Bemerkungen zur nationalsozialistischen Herrschaft – und den ideologischen Verrenkungen nachher

Die Schwierigkeit:
„Umerziehung“, „Vergangenheitsbewältigung“, Gehirnwäsche …

Das ist in keiner Weise ein historisches Thema. Es läuft in „heavy rotation“ in den Medien mit Höhepunkten an nationalen Gedenktagen, an denen „wir“ uns an die Vergangenheit „erinnern“, um die Gegenwart zu preisen, und zwar so, dass weder die Vergangenheit noch die Gegenwart als Thema überhaupt vorkommen. Das würde die dabei gebotene Darstellung von Betroffenheit und Ergriffenheit nur stören. Der Nationalsozialismus ist ständig präsent, denn zwei Staaten – Israel und Deutschland – beziehen aus dem einen selben Völkermord an den Juden ihre allerhöchsten Werte, ihre absolute Legitimation, ihr ultimatives weiß-warum, ihre unantastbare Güteklasse.

Dazu kommt die ergänzende alltägliche Benutzung, auch wenn diese ein wenig der gängigen Vorstellung von der „Einzigartigkeit“ der Hitlerei widerspricht, indem der Mann als Untoter immer wieder auftaucht: ein Politiker, der dem Westen im Weg ist, ist naturgemäß ein politischer Verbrecher, also Hitler; vom damaligen ägyptischen Präsidenten Nasser über Ho Chi Minh in Vietnam über Milosevic über Saddam Hussein und den aktuellen Russen-Hitler in Moskau. Für Israel sind sowieso alle Gegner die Wiedergänger des Führers, aber auch Kollege Erdogan beherrscht die Klaviatur und entdeckt umgekehrt in Netanjahu den Hitler unserer Zeit; von den Bemühungen ganz zu schweigen, Donald Trump so zu enttarnen, an denen sich auch sein nunmehriger Vize mal beteiligt hat. Hitler always and everywhere! Aber den Schluss, dass es sich bei Hitler offenbar doch um einen ziemlich normalen Deutschen Politiker gehandelt hat, den will daraus niemand ziehen. (Die Beteiligung der Österreicher am damaligen deutschen Staatsdienst ist übrigens immer mitgedacht.)

Wenn es ein Problem gibt, bei der Darstellung der nationalsozialistischen Herrschaft, dann ist das die Ausschlachtung seit 1945, die wir alle über uns ergehen lassen müssen. Auschwitz“ ist bekanntlich alles, was man über das Dritte Reich wirklich wissen muss, und das deutsche und österreichische Nachkriegsvolk hat die aufgenötigte Lektion – Hitler war ein größenwahnsinniger Irrer; Juden umbringen, das geht gar nicht, das war nämlich nutzlos; und das alles hat mit Politik nichts zu tun! – verinnerlicht und ausgebaut. Demzufolge will ich mit zwei Beispielen für Bedenken gegen die übliche „Vergangenheitsbewältigung“ beginnen, und nach den folgenden Beiträgen, die das Thema wohl brauchen wird, darauf zurückkommen.

Moishe Postone mit Bezug auf eine Fernsehserie namens „Holocaust“ Ende der 70er Jahre:

Die Betonung des Antisemitismus diente dazu, den angeblich totalen Bruch zwischen dem Dritten Reich und der BRD zu unterstreichen. Eine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen und strukturellen Wirklichkeit des Nationalsozialismus, die 1945 nicht plötzlich verschwunden war, wurde so vermieden. Es ist bezeichnend, daß die westdeutsche Regierung an Juden ‘Wiedergutmachungszahlungen’ leistet, jedoch nicht an Kommunisten und andere verfolgte, radikale Gegner der Nazis. Mit anderen Worten, was den Juden geschah ist instrumentalisiert und in eine Ideologie zur Legitimation des gegenwärtigen Systems verwandelt worden.“ (Moishe Postone, Antisemitismus und Nationalsozialismus, aus: Deutschland, die Linke und der Nationalsozialismus. Politische Interventionen, ca ira 2005)

Postone bemüht hier den Vorwurf der Unglaubwürdigkeit bei der Darstellung eines „totalen Bruchs“, aber ohne „Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus“; er drückt sich ein wenig um die schlichte Einsicht, dass so eine „Auseinandersetzung“ für den Wiederaufbau der BRD gar nicht gebraucht wurde – alles Wichtige wurde durch das Diktat der Sieger fixiert; und das war er, der totale Bruch! In der Tat, es war nicht so, dass nach einer ausführlichen „Auseinandersetzung“ dann Konsequenzen für den Aufbau von Staat und Gesellschaft gezogen worden wären, nein, sondern: Anschließend war Legitimation war angesagt, wie Postone festhält; also das so tun, als ob der Wiederaufbau einem antifaschistischen Auftrag und einem diesbezüglichen Grundkonsens gefolgt wäre. Die Studentenbewegung nach 1968 hat sich auch daran empört: Viele schon im Nationalsozialismus bewährte Fachkräfte konnten in höheren Positionen ihre Karrieren nahtlos oder nach kleinen Karriereknicken fortsetzen, was die Vorstellung eines totalen Bruchs mit der Vergangenheit etwas blamiert; den Schluss, das es offenbar viele Überschneidungen und Gemeinsamkeiten von Demokratie und Faschismus gibt, wollte allerdings kaum jemand ziehen. Postone hält aber daran fest, damals sei etwas versäumt worden, und er meint, das konnte nicht ohne Folgen für die Psyche der Deutschen bleiben:

Ein antinazistischer Umschwung der Massen stand jedoch nicht auf der Tagesordnung. Das Ziel war … eine Normalität, die ohne Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erreicht werden sollte. Die starke Identifikation mit jener Vergangenheit wurde nicht überwunden, sondern einfach unter Unmengen von Volkswagen begraben. Das Ergebnis war psychische Selbstverleugnung und Verdrängung. … Die Mehrheit der Bevölkerung ging schlafwandelnd durch den Kalten Krieg, durch das ‘Wirtschaftswunder’ und durch das Wiederauftauchen von Politik während der Studentenbewegung.“ (ebd.)

Wieder: Dann wird es den „antinazistischen Umschwung“ halt nicht gebraucht haben, und dann war die „starke Identifikation mit der Vergangenheit“ bei der täglichen Benutzung der Leute kein Problem. Die Bevölkerung war keineswegs bei getrübtem Bewusstsein, sondern voll konzentriert mit Kaltem Krieg und Wirtschaftswunder beschäftigt; und nachdem Postone schon den Kalten Krieg erwähnt: Das war die eigentliche, die „materielle“, die imperialistisch produktive praktische Rehabilitierung Deutschlands und der Deutschen, die Rückkehr in den Kreis der zivilisierten Völker. Nicht die Verrenkungen der Umerziehung und Vergangenheitsbewältigung, das Aufwachsen als Frontstaat gegen das Reich des Bösen im Osten, abgerundet durch die „Wiedergutmachung“ an Israel – das hat Deutschland moralisch auf die Seite des Guten gestellt und damit das deutsche Nationalbewusstsein wieder aufgemöbelt. Die Deutschen wurden gebraucht, und die deutsch-alliierte Kooperation bei der Abwicklung der Schuldfrage – durch den Sündenbock Hitler und ein paar Schauprozesse gegen handverlesene Kriegsverbrecher –, das hat die Deutschen juristisch und moralisch rehabilitiert. „Befreit“ worden waren sie ja obendrein.

Im Großen und Ganzen zumindest; daneben gab es als Ausreißer ein paar deutsche Gewissenswürmer, die wie Postone der Meinung waren, eigentlich wäre da wesentlich mehr an „Auseinandersetzung“ fällig gewesen, in der – leicht naiven – Ansicht, eigentlich hätte das deutsche Nationalbewusstsein moralisch erschüttert, durch Schuldgefühle angeknackst sein müssen, ein selbst-anklägerischer Ruck der Bestürzung wäre angebracht gewesen, eine „Trauer“ über die eigenen „Verbrechen“ oder so. Dass dergleichen sehr selten zu sehen war, bewältigt Postone mit der Vorstellung der „Selbstverleugnung und Verdrängung“. Stattdessen wäre zu registrieren, dass Patrioten über Vernichtungsaktionen, Blutbäder und Schlächtereien, sofern vom eigenen Staat angeordnet, in der Regel einfach kein schlechtes Gewissen ausbilden und ein solches daher auch nicht zu bewältigen oder zu verleugnen oder zu verdrängen haben. Deswegen war das deutsche nationale „wir“ sehr verwundert, geradezu irritiert, was ihm da nachträglich – in Gestalt dieser TV-Serie „Holocaust“ – nachgesagt wurde! Man war längst sicher: So sind wir nicht!

Die zweite kritische Anmerkung zur Vergangenheitsbewältigung bestätigt auf ihre Weise die Behauptung über das alleweil gute Gewissen von Patrioten. Sie datiert aus dem Jahr 1996, gemeint ist das Erscheinen des Buches „Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust“ von Daniel Goldhagen. Vor allem die deutsche Faschismusforschung hatte auf Basis des nationalistischen Dogmas – „So sind wir nicht!“ – ihre falsche Fragestellung elaboriert, nämlich: „Wie war das möglich, dass die Deutschen dabei waren und mitgemacht haben, wo sie doch eigentlich dagegen oder wenigstens nicht dafür waren?“ Diese Sorte Forschung hat also herausgefunden, dass der von Postone vermisste „antinazistische Umschwung der Massen“ und die „Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus“ überflüssig war, weil die Massen ohnehin nicht dabei waren, zumindest nicht mit dem Herzen dabei waren, die starke „Identifikation mit jener Vergangenheit“ gar nicht gegeben war, weil die Deutschen bloß als „Mitmacher wider Willen“ dabei waren, wie Huisken das charakterisiert. (Download kostenlos:)
https://www.vsa-verlag.de/uploads/media/VSA_Gutte_Huisken_Alles_Bewaeltigt_nichts_begriffen.pdf

Goldhagen wirft dem etablierten Stand der deutschen Forschung völlig zurecht das Dogma vor,

dass die Täter ihren Handlungen zumindest neutral, wenn nicht sogar ablehnend gegenüberstanden. Die Deutungen laufen also auf die Frage hinaus, wie man Menschen dazu bringen kann, Taten zu begehen, denen sie innerlich nicht zustimmen und die sie nicht für notwendig oder gerecht halten. Dabei ignorieren, leugnen oder verkleinern diese Interpretationen die nationalsozialistische oder andere von den Tätern vertretene Ideologien, die Bedeutung ihrer moralischen Werte oder die Vorstellungen über die Opfer als Quelle für die Mordbereitschaft der Täter.“ (Daniel Jonah Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker – Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Pantheon Verlag 2012, S. 27) Das – die Bedeutung ihrer moralischen Werte oder die Vorstellungen über die Opfer als Quelle für die Mordbereitschaft der Täter – ist auch die kommende Aufgabe.

Zusammenfassung nach wikipedia: „Die Deutschen wurden nicht gezwungen, Juden zu töten; sie taten es freiwillig, sie waren willige Vollstrecker. Die Ansichten, Hitlers negative Meinung über die Juden könne von den Deutschen unmöglich geteilt worden sein, und die Verfolgung und Vernichtung der Juden könne von den Deutschen unmöglich gutgeheißen worden sein, sieht Goldhagen als Irrtum an. Er kommt zu dem Ergebnis, dass das scheinbar Undenkbare in Wahrheit das einzig Naheliegende ist …“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Goldhagen#cite_note-4)

Das „scheinbar Undenkbare“ ist eben nur dann undenkbar, wenn das Dogma – „so sind wir nicht und so waren wir nicht“ – die Forschung beherrscht; das Ergebnis ist sicher kein Irrtum, sondern eine Folge der Fragestellung. Tatsächlich haben die guten Deutschen mitgemacht, weil sie dafür waren. An das erinnert Goldhagen durch das schiere Ausgraben von allgemein zugänglichem historischem Material, massenhaft, und deswegen wurde er damals angefeindet. Die naheliegende Wahrheit besteht eben darin, dass die damaligen Deutschen überwiegend dabei waren, weil sie Hitlers Ziele teilten. Das schließt ein, dass ihnen nicht nur die „Verfolgung und Vernichtung der Juden“ eingeleuchtet hat, sondern ebenso die Liquidierung aller anderen, die dem deutschen Programm des nationalen Wiederaufstiegs im Weg waren.

Die herrschenden Erklärungen gingen und gehen schlicht und primitiv von der moralischen Verurteilung des Völkermordes aus, die erst nach dem Krieg und durch die Niederlage und das Verdikt der Sieger gültig wurde. Sie projizieren diese heutige Stellung in die Vergangenheit und fingieren, die habe auch im nationalsozialistischen Deutschland eigentlich schon gegolten oder hätte wenigstens gelten müssen – ein klarer Erfolg der Gehirnwäsche namens „Umerziehung“ –, und stellen dann die blöde Frage, wie das, was niemand gebilligt haben kann, dennoch gemacht und mitgemacht wurde. Demgegenüber nochmal Goldhagen: Das Jüdische galt als schädlich und verderblich, wenn nicht gar als lebensbedrohend für alles Deutsche“. Warum? Das ist zu klären.

Kleiner Zwischenschritt zur Erinnerung: Wofür waren sie denn nun, die Deutschen? Hitlers und seiner Anhänger entscheidendes Ziel war schon Deutschland, Deutschlands Größe, Deutschlands Wiederaufstieg, zusammengefasst in kraftvollen Losungen wie „Deutschland, erwache!“ oder „Make Deutschland great again“ oder „Deutschland über alles“ oder „Deutschland first“ oder „Alles für Deutschland!“ – mithin lauter Botschaften, die für Patrioten international unwiderstehlich sind. Aus diesem nationalen Drang heraus, aus diesem „pro“, aus diesem eindeutig gefassten „dafür“ sind u.a. Juden als Hindernis ins Visier geraten, wieder plakativ zusammengefasst: „Die Juden sind unser“ – der Deutschen – „Unglück!“ Gefolgt von der Therapie „Juda, verrecke!“ Warum? Darum soll es gehen.

Die andere Konsequenz – neben der Weißwaschung der Deutschen als diese „Mitmacher wider Willen“ – ist sehr folgerichtig die Eliminierung eben des politischen Programms des Nationalsozialismus. Nach dem Befund, die Deutschen hätten unmöglich mitgemacht, eigentlich, ist auch das Programm, bei dem sie – im Grunde genommen eben nicht – mitgemacht haben, in ein einziges großes Rätsel verfabelt worden. Nochmal Postone:

Andere Gesichtspunkte, die für den Nazismus zentral waren, sind dabei vernachlässigt worden. … Mit anderen Worten, was den Juden geschah ist instrumentalisiert und in eine Ideologie zur Legitimation des gegenwärtigen Systems verwandelt worden. Diese Instrumentalisierung [hat] die innere Beziehung zwischen Antisemitismus und anderen Aspekten des Nationalsozialismus verdeckt.“ (Postone ebd.) Wieder: Diese „innere Beziehung“ zu klären, das ist die Aufgabe.

Die passende Anekdote zur „Instrumentalisierung“ stammt aus Österreich, aus dem Jahr 1987

Im Zuge der sogenannten Waldheim-Affäre wurde dem damaligen Bundespräsidenten vorgeworfen, er habe in seiner Biographie seine Tätigkeit als Offizier der Wehrmacht am Balkan und in Griechenland vernachlässigt. Der damalige Generalsekretär der ÖVP, Michael Graff, hat ihn mit folgender Stellungnahme verteidigt; in einem Interview mit einem französischen Journalisten:

So lange nicht bewiesen ist, daß er [Waldheim] eigenhändig sechs Juden erwürgt hat, gibt es kein Problem.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Graff)

Das war dann sogar für damalige österreichische Verhältnisse zu vulgär, Graff musst zurücktreten – aber warum? Er hat offen, geradezu triumphierend die Funktion dieses unappetitlichen Nachkriegs-Philosemitismus ausgesprochen: Eben die Instrumentalisierung von Juden für die Legitimation der Gegenwart. Lebende Juden sind wandelnde Persilscheine; aber das in unverschämter Offenheit und fordernd auszusprechen, sich auf eine durchgesetzte Heuchelei so zu berufen, dass sie offengelegt wird, das geht nicht. Wer keine Juden umbringt, ist ein feiner Max? Ja, schon, aber so darf man das nicht formulieren!

Apropos Instrumentalisierung: Neulich gab es wieder hässliche Töne, als ein hoher Repräsentant der Republik Österreich ebendiese Republik bzw. deren höhere Ehre und damit sich selbst im Wege des Erinnern und Gedenken repräsentieren wollte, und ein paar jüdische Statisten die für sie vorgesehenen Plätze verweigert haben, weswegen der Nationalratspräsident seither beleidigt ist, weil er davon ausgegangen ist, dass so eine Feierlichkeit seine und nur seine Show ist. Das muss man sich mal vorstellen – statt dankbar zu sein, weil sich des „jüdische Leben“ nicht vor ihm „fürchten“ muss, wie der hohe Herr höchstpersönlich versichert –, stattdessen haben da einige Statisten die Inszenierung geschmissen …

Zur Rolle des deutschen Volkes beim Völkermord noch eine Klarstellung, wieder nach Goldhagen:

Wir zögern ja auch nicht, die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, die in Vietnam kämpften, um die Ziele ihrer Regierung durchzusetzen, als ‘Amerikaner’ zu bezeichnen – und dies aus gutem Grund. Dasselbe gilt für den Holocaust. Die Täter waren in diesem Fall Deutsche, so wie die Soldaten in Vietnam Amerikaner waren, auch wenn nicht alle Staatsbürger die Bemühungen ihres Staates unterstützten.“ (Goldhagen ebd. S. 19)

Wenn „die Amis“ in Vietnam waren, dann waren auch „die Deutschen“ in Auschwitz. Das ist der normale Sprachgebrauch, wenn National-Kollektive als Subjekte genannt werden, die „hinter“ den Handlungen dieser Staaten in Krieg und Frieden stehen. Was stimmt, ohne die Bereitschaft der Bürger, sich als ausführende Organe zur Verfügung zu stellen, würden die Staaten ihre innen- und außenpolitischen Glanzleistungen nie und nimmer auf die Reihe kriegen. Bei allen Berichten über „die Amerikaner in Vietnam“ etc. ist unterstellt, dass nicht alle in Vietnam waren; dass nicht wenige US-Bürger heftige Einwände gegen die US-Politik zum Ausdruck brachten, ist auch bekannt. So wie auch nicht jeder Deutsche „eigenhändig“ Juden umgebracht hat – das war auch nicht verlangt. Es lebt die politische Herrschaft davon, dass „jeder an seinem Platz seine Pflicht tut“, und dadurch für die nationale Sache tätig ist. Dass die USA in Vietnam Krieg führen, das konnte kein Amerikaner übersehen, aber ausgerechnet der ausführlichst propagierte deutsche Krieg gegen das jüdische Volk, der soll an den Zeitgenossen völlig vorbei gelaufen sein? Das wollte Goldhagen blamieren, das ist ihm nicht wirklich gelungen. Ein offizielles Geschichtsbild hängt eben nicht an schnöden Fakten. Die Deutschen blieben diese „Mitmacher wider Willen.“

Schreibe einen Kommentar