Die „Political Correctness“,
die „Macht der Sprache“,
und was das mit Rassismus bzw. Antirassismus (nicht) zu tun hat
Zur Macht der Sprache
Möchte einleitend gleich klar Stellung beziehen, und das dann erläutern: Ich halte die These von der „Macht der Sprache“ für Unsinn, und demzufolge auch die Versuche, durch politisch korrekte Sprachreglementierung, durch das Verbieten oder Verbieten-wollen von möglicherweise problematischen Wörtern oder Ausdrücken die Welt ein bisschen besser zu machen, für eine Themenverfehlung. Ein Beispiel dafür aus einer Zeitung:
„Sprache, sagt Posselt, sei nie neutral. ‘Indem wir sprechen, vollziehen wir eine Handlung und schaffen damit soziale Tatsachen. Etwa, indem wir ein Versprechen abgeben oder einem Vertrag zustimmen.’ Mit der Verwendung bestimmter Ausdrücke gehe immer eine bestimmte Wahrnehmung der Welt einher. ‘Ich kann ein und dieselbe Sache als Terrorismus oder als Freiheitskampf bezeichnen.’“ (Kurier 7.3.2021)
Es fällt auf, dass diese zwei Angebote den intendierten Beweis gar nicht hergeben. Die Gleichsetzung von „Sprechen“, also etwas – irgendetwas – sagen, mit einer Handlung, das ist eine kleine Logelei: Klar, wer etwas sagt, der tut schon etwas, er sagt eben was. Damit schafft er noch lange keine soziale Tatsache im unterstellten Sinn, also eine irgendwie andere Leute betreffende Tatsache: Wer ein Versprechen abgibt, verpflichtet sich auf etwas, auf irgendetwas, worauf genau, das hängt eben davon ab … Ob derjenige sein Versprechen dann auch einhält und dann darüber – vielleicht – eine Tatsache schafft, ist eine andere Frage, und die Sprache, in der er sein Versprechen abgibt, hat diesbezüglich nicht die geringste Macht. Wenn so ein jemand auch einem Vertrag zustimmt, der klarerweise in einer, in irgendeiner Sprache abgefasst ist, dann verpflichtet die Sprache den Unterzeichner zu gar nichts, sie hat keine Macht über ihn; wenn der Vertrag nicht eingehalten wird, dann verpflichtet – je nachdem, worum es sich handelt –, die Macht des Rechtsstaates den Vertragspartner oder bestraft ihn. Die Sprache nötig den Betreffenden weder zum Versprechen noch zur Unterschrift noch zur Einhaltung des Vertrags – es handelt sich hier um mehr oder weniger verbindliche Bekundungen des Willens, die sich der Sprache bedienen, die Sprache benutzen, das ist alles.
Ebenso deutlich der Unsinn bei der anderen Variante: Mit der Verwendung bestimmter Ausdrücke gehe immer eine bestimmte Wahrnehmung der Welt einher. ‘Ich kann ein und dieselbe Sache als Terrorismus oder als Freiheitskampf bezeichnen.’ Einerseits richtig – ich kann ein und dieselbe Sache so oder anders bezeichnen, die Sprache liefert für beide Varianten die Mittel. Aber die Verwendung eines dieser Ausdrücke beeinflusst nicht die Wahrnehmung, diese geht keineswegs mit der Bezeichnung einher oder konform: Die Wahrnehmung selbst, die ist identisch, es geht halt, nehmen wir mal an, irgendwo eine Bombe hoch. Das nehmen alle wahr und zur Kenntnis. Wer das, aus welchen Gründen auch immer für gerechtfertigt hält und befürwortet, der nennt es „Freiheitskampf“, wer dagegen ist, für den ist dieselbe Sache Terrorismus, also illegitime Gewalt. Beides lässt sich sprachlich formulieren, aber die Sprache determiniert nicht die Wahrnehmung und das Urteil. Auch nicht die Wahrnehmung anderer Leute – jeder Zuhörer, der „Freiheitskampf“ oder „Terrorismus“ hört, kann sich dem anschließen oder die legitimierende Bezeichnung ablehnen. Die Anspielung ist ja bekannt: Als islamische Terroristen gegen die sowjetische Besatzung in Afghanistan kämpften, da waren sie Freiheitskämpfer; als diese Freiheitskämpfer gegen die USA weitermachten, wurden aus ihnen flugs Terroristen. (Inzwischen gibt es eine dritte Variante: Islamische Terroristen, die in Syrien gegen das Assad-Regime freiheitskämpfen, die haben sich hierzulande die Bezeichnung „Rebellen“ verdient. Das alles von einer freien Öffentlichkeit ohne Propagandaministerium oder Zensur, und sicher nicht von der deutschen Sprache angeleitet.)
Eine aktuelle Polemik gegen die Sprachverbesserung der Welt …
… stammt von Sahra Wagenknecht, aus ihrem neuen Buch. Ich lese mal vor:
„Doch, die gesellschaftliche Linke kann noch siegen. Sie kann Multis wie den niederländisch-britischen Konsumgüterkonzern Unilever, zu dem die Marke Knorr gehört, in die Knie zwingen. Aufgrund der Rassismusdebatte in den sozialen Netzwerken, teilte das Unternehmen im August 2020 mit, werde der Knorr-Klassiker Zigeunersauce ab sofort unter neuem Namen, nämlich als Paprikasauce Ungarische Art in den Supermarktregalen zu finden sein… Freilich, der verschlechterte Tarifvertrag, den Unilever fast zeitgleich zum heroischen Abschied von der Zigeunersauce den 550 verbliebenen Mitarbeitern im Knorr-Stammwerk Heilbronn mit der Drohung aufgezwungen hatte, den Betrieb andernfalls ganz zu schließen, besteht unverändert. Er bedeutet für die Knorr-Beschäftigten Personalabbau, niedrigere Einstiegsgehälter, geringere Lohnsteigerungen und Samstagsarbeit. Anders als die Zigeunersauce hatte all das allerdings nie für bundesweite Schlagzeilen oder gar für einen Shitstorm der sich links fühlenden Twitter-Gemeinde gesorgt.“ (Sahra Wagenknecht: „Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm für Gemeinsinn und Zusammenhalt“, Frankfurt 2021 S. 21.)
Ganz schön giftig, die Frau Wagenknecht, nicht?! Solche Gegenüberstellungen sind leicht zu haben: Die Versuche, die „diskriminierende“ Sprache zu säubern, die finden überall reichlich Material und haben auch Erfolge – in Wien gibt es zwar immer noch eine Mohrengasse, eine große und eine kleine, aber eine Mohrenapotheke oder -brauerei hat sich angeblich schon umbenannt. Unschöne Neuigkeiten aus der Welt der Lohnarbeit wie Lohndrückerei und Verschlechterungen in Sachen Arbeitszeit gibt es nicht nur bei Knorr bzw. Unilever. Aber warum sollte man die Bemühungen um Sprachhygiene und materielle Schlechterstellungen von Lohnarbeitern überhaupt in Beziehung setzen? Klar, der Erfolg bei der Zigeunersauce hat keinen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen in den Werken, die sie herstellen – aber darum geht es Sprachaktivisten offenkundig auch nicht. Der Vorwurf, dass die Bemühungen um Sprachbereinigung sich nicht dem widmen, was Frau Wagenknecht für nötig hält, der tut so, als müssten die Aktivisten der political correctness eigentlich etwas anderes machen, als das, was sie nun einmal vorhaben. Und das ist nicht stichhaltig – es ist auch wenig sinnvoll, Leuten, die ein Straßenbauprojekt verhindern wollen, vorzuwerfen, dass das nichts bringt für die Situation von Alleinerzieherinnen. Normalerweise kommen sich solche Bewegungen einfach nicht in die Quere – die Schärfe, um die sich Frau Wagenknecht bemüht, rührt aber daher, dass sie das Firmenschild „links“ ziemlich exklusiv für ihre sozialen Anliegen reservieren möchte, und die Sprachhygieniker an der linken Ehre packen und für sich vereinnahmen will, aber ohne sie zu kritisieren – sondern nur über ihren Versuch, sie mit dem Hinweis ins Unrecht zu setzen, es gäbe doch wichtigeres als die Reform von Speisekarten bzw. Packerlsaucen, nämlich ihre Anliegen.
An dem Punkt möchte ich weiterdenken, aber eben darüber, warum solche Umbenennungsaktionen für nötig gehalten werden, soziale Probleme hin oder her – und warum sie den Betroffenen nichts nützen, auch wenn sie erfolgreich sind; es werden eben nun nicht mehr Zigeuner, sondern Roma diskriminiert, woran man etwa erinnert wird, wenn der Papst in der Slowakei vorbeikommt und das dortige große Ghetto besichtigt, oder wenn der frühere italienische Innenminister nicht mehr Zigeuner, sondern Roma registrieren möchte, und und und … Die antirassistische Bewegung hat es nun einmal mit beidem zu tun: Einerseits ist Rassismus offiziell allenthalben geächtet, kaum wer bekennt sich dazu, und andererseits ist das Phänomen weit verbreitet. „Alle sind gegen Rassismus, aber wenn du ihn erlebst, ist niemand da?“ – Das steht so auf einem Plakat; das trifft ja was. Die Frage ist also, woher das kommt, auch wenn sich Rassismus nicht gehört, und ob Sprache gegebenenfalls etwas damit zu tun hat, oder auch nicht. Die Sprache bietet in der Tat viele Möglichkeiten, Hass und Verachtung zum Ausdruck zu bringen – aber die Sprache ist dafür das Mittel, und die Sprache zwingt keinem Sprecher eine bestimmte Stellung zu Individuen oder Kollektiven auf. Möchte nun auf einem kleinen Umweg weitermachen, also die Begründungen, die von den Anhängern der political correctness formuliert werden, ein wenig zurückstellen, und mit dem richtigen Leben beginnen, in dem Fall mit dem richtigen „Zigeunerleben“:
Aus dem „Zigeunerleben“
„Ein besonders deutliches Beispiel ist die Vertreibung der Roma aus dem Kosovo. Diese repräsentierten zuvor eine verhältnismäßig gut integrierte Mittelschicht, häufig mit Immobilienbesitz. Nach der Vertreibung durch nationalistische albanische Gruppen leben viele Kosovo-Roma auf der Flucht, häufig in Arbeitslosigkeit und Armut. Zahlreiche von ihnen sind seit der Staatsgründung des Kosovo staatenlos. Damit entsprechen sie nun dem Cliché-Bild. So hat sich die Mehrheitsgesellschaft ihre ‚Zigeuner‘ nicht nur in ihren Vorstellungen, sondern auch ganz real selbst gebastelt.“ (Der Antiziganismus-Forscher Markus End erläutert im Gespräch mit dem Pester Lloyd aktuelle Gründe und historische Hintergründe des Hasses auf Roma und wie sich die Mehrheitsgesellschaft „ihre Zigeuner“ selbst gebastelt hat.)
Also die Mehrheitsgesellschaft hat sich ihre „Zigeuner“ gebastelt – das ist offensichtlich. Aber die Frage wie und warum, die findet keine nähere Befassung, der Forscher gibt sich damit zufrieden, dass es nicht an den Roma liegt, wenn sie angefeindet werden. Dabei ist die Darstellung durchaus aufschlussreich – es wird gerade ein neuer Staat gegründet. Im Zuge dessen sind von den Gründern zwei elementare Fragen zu beantworten, die nach dem Volk und die nach dem Raum. Die Frage nach dem Raum, die hat die NATO und die EU damals gleich selber geklärt: Die Grenzen des neuen Kosovo sind die Grenzen der früheren Region Kosovo im ehemaligen Jugoslawien bzw. Serbien. Das war das Diktat, das etwa eine Wieder-Vereinigung mit Albanien, sofern überhaupt beabsichtigt, unterbunden hat. Die Frage nach dem Volk wurde den neuen Machthabern überlassen, und die sind gleich ans Werk gegangen. Seit der Staatsgründung sind zahlreiche Roma staatenlos, erfährt man: Die Staatsgründer haben also in einem ersten Schritt ein albanisches Staatsvolk definiert, als die ethnischen Träger des Staates – und damit waren etliche andere Anwesende gleich als staatenlos diskriminiert, und staatenlos läuft im Endeffekt auf rechtlos hinaus! Das Subjekt dieser Unterscheidung ist eindeutig die neue höchste Gewalt, und nicht irgendwelche „nationalistischen Gruppen“, die dann womöglich initiativ werden und noch weiter zur Drangsalierung und Vertreibung fortschreiten. Das frühere Jugoslawien hat sich als Vielvölkerstaat verstanden und war auch so verfasst – damit war nach den neuen Staatsgründungen Schluss. Das war durchaus folgerichtig, immerhin war die Behandlung der Kosovo-Albaner durch Serbien der Vorwand für die damalige NATO-Intervention im Namen von deren „Selbstbestimmungsrecht“; der tatsächliche Grund war der serbische Widerstand gegen die Diktate der EU und der NATO. Die spezielle Lage der Roma, wenn denen die Staatsbürgerschaft verweigert wird, wenn sie quasi zu Ausländern gemacht werden, besteht dann darin, dass es keinen Staat gibt, dessen Bürger sie ebenso naturwüchsig werden könnten wie die serbische Minderheit im Norden des Kosovo, sie haben auch keine entsprechende Schutzmacht außerhalb, die sich für sie einsetzen könnte. Eine ähnliche Beobachtung eines anderen Forschers:
„Markus End und andere Forscher gehen davon aus, dass die meisten Menschen, die Sinti und Roma ablehnen, keine Mitglieder der Bevölkerungsgruppe kennen, gegen die sich ihre Feindseligkeit richtet. Das ist typisch für sogenannten Antiziganismus. Diese Form des Rassismus beruhe nicht auf Erfahrungen, sondern auf Projektionen der Mehrheitsgesellschaft, sagt Markus End: ‘Es ist möglich, antiziganistisch eingestellt zu sein, ohne dass man jemals konkreten Kontakt gehabt hat zu Menschen, die man als ‚Zigeuner‘ wahrnimmt’. Die Ablehnung speise sich aus einer jahrhundertelangen Überlieferung von Klischees wie Heimatlosigkeit, Faulheit oder Kriminalität, die auch in den Medien das Bild von Sinti und Roma prägen. Das belegen die Forschungen des Literaturwissenschaftlers Klaus-Michael Bogdal. Für sein Buch „Europa erfindet die Zigeuner – Eine Geschichte von Faszination und Verachtung“ hat er Quellenberichte und literarische Zeugnisse seit der Ankunft von Roma-Gruppen in Europa vor 600 Jahren ausgewertet. Er zeigt, wie in der Zeit, als sich Nationalstaaten bildeten, Angehörige der Minderheit als Zugewanderte und Fremde ausgegrenzt und verfolgt wurden. Man vertrieb oder ermordete sie. … Auch vorgeblich positive Bilder wie das angeblich so freie und ‘lustige Zigeunerleben’, sexuelle Freizügigkeit oder temperamentvolles Tanzen und Singen markierten Menschen als abweichend von den Normen der Mehrheitsgesellschaft.“ (https://www.dw.com/de/antiziganismus-uralte-vorurteile-und-gefährliche-feindseligkeit/a-15842146 – Website Deutsche Welle)
Der Rassismus beruht nicht auf schlechten Erfahrungen, sondern auf Projektionen – das ist ja wieder richtig. (Gilt übrigens auch umgekehrt: Es haben sich 2015 etwa Leute für Flüchtlinge eingesetzt, ohne welche persönlich zu kennen bzw. bevor sie welche kennenlernten, auch deren Sympathie beruhte nicht auf persönlichen Erfahrungen, sondern auf politischen Urteilen über die Leute; ebenso halten es die Antiziganisten.) Aber welche Projektionen sind denn das nun? Auch hier wird immerhin die Bildung von Nationalstaaten erwähnt, wodurch andere als „Zugewanderte und Fremde ausgegrenzt und verfolgt wurden“, aber dass es sich um eine Projektion des „eigenen Volkes“ handelt, um die überbordende Begeisterung für dieses „eigene“ Staatsvolk, die von Staats wegen Diskriminierung, Terror, Vertreibung anderer nach sich zieht – das soll dann doch nicht der Grund für Diskriminierung und Rassismus sein? Solche Befunde geben sich damit zufrieden, dass es nicht an den Roma liegt, wenn sie diskriminiert werden, und auch nicht auf Erfahrungen beruht – aber mit den Nationalstaaten, die da gegründet werden – mit denen will man sich nicht so recht anlegen?! Noch ein ähnlicher Bericht aus der jüngeren Vergangenheit, diesmal über Ungarn:
„Mit der Wende waren sie (die Roma, d.V.) die Ersten, die ihre Arbeit verloren. In zehn Jahren verschwanden 300 000 Jobs. Die restliche Bevölkerung verließ die benachteiligten Regionen, die Roma übernahmen ihre billigen Siedlungen. Im Nordosten Ungarns finden sich Städte mit 100 Prozent Roma-Anteil. Es gibt keine Schule dort, keine Post, keine Polizeistation. ‘Die Roma zogen ein, der Staat zog aus’, bringt es Balog auf den Punkt. Was blieb, nennt der Staatssekretär, der evangelischer Pfarrer war, ‘Überlebenskriminalität’. Auch in Miskolc, mit 170 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Ungarns, regierten Armut und Gewalt.“ (Die Presse, 6.12.2010)
Auch in Ungarn war nämlich die Wende zur Marktwirtschaft und der Beitritt zur Europäischen Union keineswegs eine rein ökonomische Umstellung, auch wenn das die Arbeitslosigkeit befeuert hat – Ungarn ist bekanntlich ein Auswanderungsland. Auch in Ungarn waren Volk und Führung – übrigens schon vor den Regierungen Orban – der festen Meinung, dass Volk und Raum nicht gut zusammenpassen würden: Erstens hat man einige Millionen Ungarn außerhalb der Staatsgrenzen identifiziert und begonnen, ungarische Pässe an Bürger Rumäniens, der Ukraine und anderer Nachbarn zu verteilen; und zweitens hat man innerhalb der ungarischen Grenzen Leute entdeckt, die der Staat nicht zu seinem Staatsvolk zählen wollte und will – also Minderheiten, die das Pech haben, auch da zu sein, ohne dass es sich um echt Magyaren handelt. Das hat sich folgendermaßen ausgewirkt:
„In Ungarn sind 80-85 % der erwachsenen Zigeuner arbeitslos. Dass dies nicht an ihnen liegt, wird dadurch bewiesen, dass Mitte der achtziger Jahre, in der Endzeit der sozialistischen Staats- und Kollektivwirtschaft, 85 % der erwachsenen Roma in Arbeit standen, davon rund 70 % in der Bauindustrie.“ (FAZ 9.3.2011)
Die Neusortierung der Ökonomie nach 1990 hat in Ungarn ganz zwanglos das „Roma-Problem“ angeheizt. Roma waren auch im Realsozialismus als solche kenntlich, aber in der früheren Ökonomie auch beschäftigt, in der eine Roma-Quote in den Betrieben zu berücksichtigen war. Seit der „Wende“ ist der normale Rom arbeitslos und „lebt“ samt Anhang vom Sozialstaat und von der „Überlebenskriminalität“; die durchschnittliche Roma-Familie ist seither vom Arbeitsmarkt abgeschnitten; und das alles ohne dezidierte Rassengesetze, die eine Berufsausübung an das einzig wahre ungarische Volkstum knüpfen würden, nur durch Marktwirtschaft und Demokratie und völkische Abneigungen.
Zwischenbilanz: Der moderne Antirassismus hat es mit beidem zu tun – mit der offiziellen Ablehnung jeder Diskriminierung aus Gründen der Herkunft, der Hautfarbe, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung usw.; und mit einer häufigen gegenläufigen Praxis. Zusammengefasst in dem Plakattext „Alle sind gegen Rassismus, aber wenn du ihn erlebst, ist niemand da?“ Ein Ausflug in die Empirie des sog. „Antiziganismus“ ergibt, dass Staatsgründungen und ein völkisches Staatsverständnis von einem herausgehobenen Staatsvolk und anderen, die dadurch zu „Minderheiten“ werden, zumindest hervorragend dazu passen. Auch wenn sich dieselben Staaten offiziell gegen Rassismus und Diskriminierung aussprechen.
Da sind ja einige Fragen offen: So hat Andre Heller vor vielen Jahren in einem Lied behauptet, dass er ein Zigeuner sein möchte: „A Zigeina – a Zigeina mecht i sein“ – wörtlich. Wie konnte es dazu kommen, bzw. was hat er sich nur dabei gedacht? Ebenso: Wenn das Umbenennen der people formerly known as „Zigeuner“ dem Antiziganismus das Wasser abgraben können soll – wäre dann auch die Ersetzung des Wortes „Jude“ ein Mittel im Kampf gegen den Antisemitismus?! Wird Juden da ein wertvolles Mittel gegen Antisemitismus bisher vorenthalten, oder werden Roma quasi mit Umbenennungs-Glasperlen abgespeist?? Was ist da los? Und die ehemalige Zigeunersauce ausgerechnet in „Paprikasauce Ungarische Art“ umzutaufen – das hat auch was, angesichts der Behandlung der nunmehrigen Roma in Ungarn … Zufall?
Also mir deucht, daß zwischen der Zigeunersoßenumbenennung und der Lohndrückerei im Knorrwerk sehr wohl ein Zusammenhang besteht, sogar ein ganz exemplarischer, der das Kernproblem der „political correctness“ in toto enthüllt. Die ist nämlich überhaupt nicht links, sondern vielmehr klassische bürgerliche Ideologie (um mal diesen altertümlichen Begriff zu verwenden), weil sie das Verhältnis von Sein und Bewußtsein auf den Kopf stellt und glaubt, man müsse nur ein bißchen am Überbau (Sprache) rumschrauben, und schon komme alles in Ordnung., ohne daß man an den Eigentumsverhältnissen was ändern müsse. Und genau indem solche bürgerliche Ideologie fälschlich als links gelabelt wird, wie man sagt, wird das falsche Bewußtsein zementiert. Damit entspricht die ganze Sprachkosmetik den Interessen der herrschenden Klasse, weil der pseudo-emanzipatorische Gestus mit seiner Fixierung auf Scheingegensätze (Frauen-Männer, Weiße-Bunte, Inländer-Ausländer, „Queere“-„Binäre“ etc.) eben just dazu dient, vom entscheidenden Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit abzulenken, ja ihn zu verschleiern und quasi aus dem Bewußtsein zu tilgen. So ist es nur folgerichtig, daß da, wo Zigeunersoße das Problem ist, Ausbeutung kein Problem mehr ist. Insofern scheint mir Frau Wagenknecht sehr genau ein Strategem im Klassenkampf von oben decouvriert zu haben
Hallo Sir!
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