Rassismus bzw. Antirassismus: Die „Macht der Sprache“ (II)

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  • Rassismus und Antirassismus, Schafft Sprache Wirklichkeit?
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Kann Sprache Wirklichkeit schaffen? (Deutschlandfunk)

Debatten um die deutsche Sprache werden mit großen Emotionen geführt. Das gilt auch für das Gendern. Heftig umstritten ist dabei die These, dass Sprache Wirklichkeit schafft. Stimmt das? Schafft Sprache tatsächlich Wirklichkeit – oder ist das nur eine ebenso griffige wie leere Floskel?

Bei „performativen Äußerungen“ ist das Aussprechen zugleich eine Handlung. Das Ja-Wort bei einer Trauung zum Beispiel macht zwei Ledige zu Eheleuten.
Auf den ersten Blick ist die Sache einfach. Natürlich schafft Sprache Wirklichkeit. Ein Beispiel: „Wollen Sie, Frau X, mit dem hier anwesenden Herrn Y die Ehe eingehen?“ – fragen etwa Standesbeamte während der Trauung – „dann antworten Sie bitte mit ‚Ja‘.“ Die gleiche Frage stellen sie natürlich auch Herrn Y; und wenn gleichgeschlechtliche Paare vor ihnen sitzen, antworten eben zwei Männer oder zwei Frauen.
Lautet die Antworten „Ja“, dann hat das weitreichende Konsequenzen, von denen die Paare üblicherweise aber nichts mitbekommen, weil sie auf einer rosaroten Wolke schweben. Sie sind gegenseitig erbberechtigt, das Sorgerecht gemeinsamer Kinder unterliegt anderen Regeln, Eheleute müssen imstande sein, sich bei Meinungsverschiedenheiten selbst zu einigen – der Gesetzgeber hat an alles gedacht. Nur das Aussprechen des Wortes „Ja“ reicht, und das Paar findet sich in einer neuen Wirklichkeit wieder.

Das ist – natürlich, möchte man sagen – blanker Unsinn. Dass es nicht „nur das Aussprechen des Wortes „Ja“ ist, das ist dieser Darstellung selbst noch in den entscheidenden Einzelheiten zu entnehmen. Zuerst müssen die beiden auf dem Standesamt erscheinen, das ist eine staatliche Behörde, dann müssen sie überhaupt berechtigt sein, eine Ehe einzugehen, auch das ist nicht selbstverständlich, geistige Gesundheit und ein entsprechendes Alter ist vorausgesetzt; dann muss – zumindest hierzulande – nicht irgendwer, sondern der Standesbeamte muss eine Prozedur nach festen Regeln durchführen, zu denen auch das Ja-Wort zählt. Wenn ein beliebiger Herr X zu einer beliebigen Frau Y bei einer beliebigen Gelegenheit „Ja“ sagt, bedeutet das gar nichts bzw. ist es möglicherweise die Antwort auf eine Frage der Frau – oder auch nicht, je nachdem, was Herr X damit meint. Die weitreichenden Konsequenzen, die da erwähnt sind – Erbrecht, Sorge- und Unterhaltspflichten –, die sind auch nicht der Sprache oder dem Wort „ja“ geschuldet, sondern dem Eherecht, auf das sich die beiden verpflichten, wenn sie „ja“ sagen. Wenn schon, dann schafft der Wille der Beteiligten eine neue Wirklichkeit – sie verpflichten sich eben, ihre Beziehung zukünftig als ein Ensemble von Rechten und Pflichten, wie sie im Recht festgelegt sind, zu entwickeln. Im Falle einer Trennung schafft auch nicht die Sprache schon wieder eine neue Wirklichkeit, sondern die beiden wollen – oder wenigstens ein Teil der beiden will – nicht mehr weitermachen; und wenn sie das nicht einvernehmlich hinkriegen, dann entscheidet wieder nicht die Macht der Sprache, sondern die Macht des Rechtsstaates über die Folgen, die eine Trennung für die Beteiligten, ev. auch die Kinder hat.

(Dass die beiden auf einer rosaroten Wolke schweben und nicht mitkriegen, worauf sie sich da einlassen, in Sachen Rechte und Pflichten, ist übrigens ebenfalls Quatsch. Genau das wollen sie ja, dafür entscheiden sie sich. Wer kirchlich heiraten will, muss üblicherweise eine Art Vorbereitungskurs absolvieren, damit da nicht leichtfertig geheiratet wird. Auch da wird viel gesprochen, aber die neue Wirklichkeit schaffen schon die Eheleute in ihrem Tun oder Lassen …) Ein anderes Beispiel aus dem erwähnten Text:

Womit wir uns mitten in der Genderdebatte befinden. Wenn weibliche Sprachformen wegen des generischen Maskulinums im Deutschen seltener vorkommen, sind Frauen gesellschaftlich unterrepräsentiert. Und dass sie sprachlich seltener in Erscheinung treten, steht außer Frage. Ein Beispiel: Der Satz „Nächste Woche streiken alle Grundschullehrer“ schließt nach den Regeln des generischen Maskulinums auch Lehrerinnen ein – was allerdings schon deshalb pikant ist, weil an Grundschulen rund 90 Prozent Frauen arbeiten. Hier wäre ein generisches Femininum angebracht.

Nun ja, wenn ohnehin alle Beteiligten wissen, dass es viele weibliche Lehrkräfte gibt, dann ist im zitierten Satz: „Nächste Woche streiken alle Grundschullehrer“ – die wesentliche Information enthalten. Es kennt sich jeder aus. Dass Frauen durch das generische Maskulinum gesellschaftlich unterrepräsentiert sind, ist gerade in dem Fall schwer zu glauben – wenn 90 Prozent der Grundschullehrerinnen Frauen sind, dann sind sie in den Grundschulen eher überrepräsentiert. Informationsproblem liegt also keines vor – und die Sprache als solche erzeugt natürlich auch nichts, jedenfalls nicht die Wirklichkeit eines Streiks. Der Text aus dem Deutschlandfunk belässt es dabei, daher möchte ich es auch dabei belassen. Was weiterführende Überlegungen betrifft – ob das mangelnde Gendern in der Sprache zu niedrigeren Durchschnittseinkommen oder sogar zu häuslicher Gewalt führt –, so teile ich diese Ansichten nicht, nach meinem Dafürhalten wird da die Sprache für Sachen verantwortlich gemacht, für die sie nichts kann. Habe mich dazu auch in anderen Beiträgen auf „Kein Kommentar“ geäußert – nichtsdestotrotz werden Einwände und Beschwerden gern entgegengenommen. Zu den gängigen Argumenten zählt hingegen die Sache mit dem Einfluss der Sprache auf die Wirklichkeit:

Sprache (hat) aber auch einen prägenden Einfluss auf die soziale Wirklichkeit. … „Wir prägen durch die Art und Weise, wie wir sprachlich Bezug nehmen auf die Wirklichkeit eben diese Wirklichkeit. Es ist ein Unterschied, ob ich von Flüchtlingstsunami oder von Flüchtlingszuwanderung spreche.“

Ohne Zweifel besteht da ein Unterschied, wer vom Tsunami redet, möchte durch das Bild einer Flutwelle eine Bedrohung vorstellig machen. Aber die Bezeichnung als „Tsunami“ prägt nichts. Weder bringt sie die Wirklichkeit einer Flüchtlingsbewegung hervor, noch prägt sie die Meinung dessen, der das hört: Jeder kann – und muss übrigens – sich schon selber entscheiden, ob er sich der Vorstellung von der Bedrohung anschließt oder nicht. Man kann mittels der Sprache bekanntlich auch gegen das Tsunami-Bild protestieren. Klar, die jeweilige Bezeichnung transportiert eine moralische Bewertung, aber sie bestimmt die Wirklichkeit nicht. Das ist ein analoges Beispiel zur Frage Terroristen und / oder Freiheitskämpfer von voriger Woche. Dazu gibt es übrigens ein geografisch näherliegendes Vorkommnis als die alten Geschichten in Afghanistan. In Südtirol organisierte sich in den 60er Jahren ein sogenannter „Befreiungsausschuss“, der die Unabhängigkeit Südtirols von Rom forderte. Zu diesem Behuf wurden einige Strommasten gesprengt, die Protagonisten wurden damals „Bumser“ genannt – Bumser nicht im Sinn von Geschlechtsverkehr, sondern von Krach, Bums, Explosion. Aus der Sicht des italienischen Staates waren das Terroristen, die mit allen Mitteln bekämpft wurden, die erwischten freiheitskämpfenden Terroristen wurden gefoltert nach allen Regeln der Terrorbekämpfung mitten in Europa nicht nur von der CIA in entfernten Gegenden. Im Zuge dessen wurden im Salzkammergut als italienische Antwort ebenfalls einige Bomben gezündet. Die Lage in Südtirol wurde im Grunde genommen durch das sog. Autonomie-Paket entschärft, durch das dem Land etliche Kompetenzen innerhalb Italiens übertragen wurden. Seither streitet man sich manchmal, ob diese Einigung trotz oder wegen der Attentate der „Bumser“ zustande kam. – Ja, und natürlich hat auch damals die Sprache gar nichts „geprägt“ oder „geschaffen“, und schon gar keine Wirklichkeit. Für die Anhänger der Bewegung „Los von Rom“ waren die Terroristen eben Freiheitskämpfer, und umgekehrt.

Soziale Wirklichkeit, wie Menschen sie wahrnehmen, ist abhängig von sprachlicher Bewertung. Wirklich ist das, was wir sprachlich als wirklich definieren. An dieser Stelle bewegt sich die Debatte teilweise weg von rein sozialen Phänomenen hin zu umstrittenen naturwissenschaftlichen Fragen. … „Kleines Beispiel: Der Klimawandel ist menschengemacht; der Klimawandel ist nicht menschengemacht. Im Diskurs dominiert, der Klimawandel ist menschengemacht. Es gibt genügend Expertise, es gibt genügend Studien, die das nachweisen, aber wir wissen, es gibt auch Menschen, die den Klimawandel leugnen und sagen, er ist nicht menschengemacht. In unserer Gesellschaft dominant ist die Vorstellung, er ist menschengemacht.“ … Was sich allerdings auch ändern könnte. Entscheidend ist, wie viele Anhänger Klimaleugner mobilisieren.

Noch einmal die Betonung: Ja, die Wirklichkeit wird durch Sprache bewertet – aber dass man durch die Sprache die Wirklichkeit definieren, also bestimmen kann, wirklich wäre dann das, was wir dazu ernennen – das wird durch die folgenden Bemerkungen wieder konterkariert: Eben, der Klimawandel, der sog. Treibhauseffekt ist umstritten, aber das ist in der Tat eine naturwissenschaftliche Frage. Ebenso gibt es Leute, die die Seuche Covid-19 anzweifeln oder gleich bestreiten – aber lässt sich die Seuche denn nun her- oder wegdefinieren? Siehe oben: Wirklich ist das, was wir sprachlich als wirklich definieren. Das sind halt gesundheitliche, naturwissenschaftliche oder politische Streitfragen, in deren Austragung sich alle Seiten der Sprache bedienen – vielleicht sogar ihre Sicht als gültige Sprachregelungen durchsetzen möchten. Wie viele Anhänger können Klimaleugner mobilisieren? Das entscheidet nicht die Sprache, die Sprache als solche bewirkt und definiert nichts. Sie wird benutzt.

*

Habe im Frühjahr mit einer längeren Serie (auch) zum Thema häusliche Gewalt begonnen. Bin darüber noch immer einigermaßen sensibilisiert, und da fällt einem halt einiges auf, die laufende Berichterstattung betreffend. Daher gibt es heute einen Nachschlag; der einige aktuelle Weiterungen betrifft, sozusagen ein Update. Einstieg ist ein Inserat des Innenministeriums, für das zwei Sportler (Polizeisportler) ihre guten Namen hergeben:

„Gewalt ist ein Problem, keine Lösung. ‘Unsere Emotionen lassen wir am Platz aus, nicht an unseren Frauen.’“ (Inserat des Innenministeriums, Namen und Sportart werden hier diskret verschwiegen.) Denn das reizt natürlich, sich Vorurteile über Sportler und die Folgen der einseitigen Belastung durch ständiges Training zu bestätigen. Aber wir nehmen halt an, dass da eine Werbeagentur zugeschlagen hat, und dass die beiden halt nicht mitgedacht haben.

Furchtbar nett, nicht, dass die ihre Emotionen nicht an ihren Frauen auslassen, sondern am Sportplatz! Erstens werden da Emotionen mit Aggressionen gleichgesetzt – ja, unsere Sportler und manche Werbefritzen sind halt mit sprachlichen Feinheiten nicht so auf du und du! Daher erst mal der Hinweis, dass es viele und sehr verschiedene Emotionen gibt, und einige davon kann man sogar mit anderen Menschen ausleben. Da staunt der Sportler! Zweitens sind Aggressionen – wenn es denn um diese gehen soll – auch nicht einfach da, irgendwie gott- oder natur- oder kulturgegeben oder sonst wie vorhanden, und wenn sie nun mal da sind, dann müssen sie irgendwie raus – und da empfehlen die Sportskanonen freundlicherweise den Platz, gemeint ist das Spielfeld, und nicht die Frau. Aha! Nun, liebe Kinder, Aggressionen sind aber nicht einfach irgendwie und als emotionale Grundstimmung immer vorhanden, sondern die sind das Resultat eigener Vorhaben, Ansprüche und Interessen, vielleicht eigener Berechtigungen – bzw. das Resultat von Hindernissen, Widerständen und Enttäuschungen, wenn die eigenen Vorhaben nicht aufgehen. Gerade Sportler könnten das schon wissen, denn ihre Aggressionen gegen die Gegner, die sie am Platz rauslassen dürfen, die kommen nicht von ungefähr, sondern aus dem eigenen Siegeswillen, und daraus, dass die jeweiligen Gegner auch gewinnen wollen, und deswegen ihr Bestes geben, um das Spiel der anderen zu stören und zu zerstören … Genauso verhält es sich mit den allfälligen Aggressionen gegen – im Werbetext: „unsere Frauen“ –, die stammen auch nicht von irgendwoher, aus der Evolution oder vom Testosteron, sondern aus den Erwartungen und Enttäuschungen in Sachen Familie und Beziehung, die sich im allgemein anerkannten Streben nach Glück und den unvermeidlichen diesbezüglichen Widrigkeiten so aufbauen. Verweise diesbezüglich finden sich in der Sendereihe: Podcast „Kein Kommentar“ auf cba.media – Stichworte Erwartungen und Enttäuschungen; Streben nach Glück.

Da würde man doch gern wissen bzw. wenigstens fragen: Gibt es dazu empirische Belege? Wurde da wenigstens ordentlich Sozialforschung betrieben? Neigen Sportler tatsächlich weniger zu häuslicher Gewalt als sog. Couch-Potatoes? Gilt das nur für Profi-Sportler oder eher für Amateure oder für beide Abteilungen? Dass dem Sport wohltuende Wirkungen zugeschrieben werden, das geht manchmal nach hinten los. Es gab früher mal den schönen Slogan „Sport statt Drogen!“ – Aber jedem, der Sportberichte konsumiert, ist geläufig, dass der Sport auf allen Ebenen – vom Amateur zum Profi – ein Drogen-Hotspot ist. Da gibt es die Schwerathleten von der Anabolika-Fraktion, und die Ausdauersportler mit dem Blutdoping, vielleicht ist das auch schon überholt. Bezogen auf die aktuelle Kampagne: Wie ist das mit den Emotionen = Aggressionen nach einer Niederlage? Konnten sich auch die Verlierer ordentlich abreagieren, oder hat sich da noch mehr Frust aufgebaut? Fragen über Fragen …

Der andere Punkt, an dem unsere Sportler in ein schweres Debakel gelaufen sind, auch wenn das niemandem auffällt, das ist der schöne Satz: „Gewalt ist ein Problem, keine Lösung.“ Au weia. Alle Welt, alle zivilisierte Welt sieht das mit der Gewalt als Lösung nämlich ganz anders, allerdings unter einer speziellen Prämisse: Es muss sich schon um die hoheitliche Gewalt des Staates handeln, damit Gewalt als Lösung der verschiedensten Probleme gilt. Etwa als Mittel gegen häusliche Gewalt! Die verbotene Privatgewalt ist als Lösung verpönt, wovon auch immer – die staatliche Gewalt ist demgegenüber als Antwort auf alles erdenkliche Problemwesen anerkannt, höchstens an der jeweiligen Durchführung wird manchmal herumkritisiert – also manchmal zu viel Gewalt, manchmal zu wenig gegen Asylwerber oder prügelnde Ehemänner, zu ungeschickt –, nicht aber an der Notwendigkeit von viel Gewalt und eines flächendeckenden Polizeiapparates und Justizwesens wird gezweifelt, als moderne Errungenschaften.

Das hat insofern etwas mit häuslicher Gewalt zu tun, als das Recht des Staates und seine gewalttätige Exekution nicht selten von individuellen Vorstellungen in Sachen Recht und Unrecht gehörig abweichen, weswegen der eine oder andere sog. „Wutbürger“ dann zur Selbstjustiz greift, und sich dafür rächt, dass „seine“ Frau „alles“ kaputtmacht, wenn sie abhaut, weil sie dadurch „die Familie zerstört“ – die doch „das Wichtigste“ im Leben ist. Gründliche Ausführungen im erwähnten Podcast „Kein Kommentar“ auf cba.media – die Stichworte wären etwa „Amoklauf“ und „Recht, Pflicht, Unrecht und Gewalt im Liebesleben“.

 

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