Vorproduzierter Beitrag, nimmt auf aktuelle Ereignisse der letzten Tage keinen Bezug; Thema ist ohnehin was anderes, nämlich die hierzulande vorherrschende Berichterstattung über die Ukraine bzw. Russland bzw. die EU und die Nato und die USA. Möchte einsteigen mit zwei Kommentaren aus dem Sonntags-Kurier vom 6.2. dieses Jahres.
Wir basteln ein Feindbild – wie geht das?
Der eine Kommentar ist von Stefan Karner, Historiker, Kurier 6.2.2022
„Mühsam aufgebautes Vertrauen zwischen Ost und West ist verspielt. Daran ist nicht nur eine Seite schuldig. In dieser Situation geht es Moskau v.a. um Sicherheit in seinem europäischen Vorfeld. Als Joe Biden 2009 in Kiew erklärte, die Einflusszone der USA und der NATO könnte bis an die Grenze Russlands reichen, war für den Kreml sicherheitspolitisch und im historischen Selbstverständnis eine rote Linie überschritten. … Seit der Besetzung der Krim 2014 hat Kiew, auch mit westlicher Hilfe, stark aufgerüstet. Britische und US-Kampfverbände stehen im Land oder an der Grenze zur Ukraine. … Die Ignoranz des Westens gegenüber Putins früheren Signalen zur Kooperation ist lang. … Russland betreibt Großmachtpolitik im postsowjetischen Raum, wie wir sie von anderen Großmächten kennen. In den umstrittenen Gebieten Georgiens oder der Moldau leben überwiegend ethnische Russen, teils mit russisch Pässen, worauf sich Moskau beruft. Der Kalte Krieg wurde nicht heiß, weil man Einflusssphären beiderseitig akzeptierte. Die haben sich heute stark nach Osten, teilweise an die russische Grenze vorgeschoben. Modernste Waffensysteme stehen im Baltikum, in Tschechien. Sie erzeugen kein Vertrauen.“
Daschauher: Modernste Waffensysteme der NATO an der russischen Grenze erzeugen in Russland kein Vertrauen in die NATO. Das ist, verglichen mit dem Medien-Mainstream, fast schon russische Propaganda. Der Historiker konzediert Russland damit immerhin handfeste Gründe für Befürchtungen, wegen westlicher Waffen. Als Biden 2009 – damals als Vizepräsident –, so referiert Karner, die „Einflusszone der USA bis an die Grenze Russlands“ auszudehnen ankündigte, war für Moskau eine sog. „rote Linie“ überschritten. Auch da konzediert der Historiker also tatsächlich dem Kreml legitime Sicherheitsinteressen, und dementsprechende nicht verhandelbare Einwände gegen einen westlichen Vormarsch, der an ein Ende kommen muss. Damit steht der Historiker im Konzert der uniformen Meinungen inzwischen ziemlich allein auf weiter Flur; denn dass die legitimen Interessen Russlands sicher nicht in Moskau, sondern allein in Washington und in den europäischen Echokammern definiert werden, das ist mittlerweile öffentlicher Konsens. Wenn Karner daran erinnert, dass „der Kalte Krieg nicht heiß wurde, weil man Einflusssphären beiderseitig akzeptierte“, ist festzuhalten, dass die NATO das heute nicht mehr gelten lassen will im Glauben, das nicht mehr nötig zu haben. Und wenn der Schutz von Amerikanern im Ausland für manche Intervention und manchen Militäreinsatz gut genug war, so gilt das natürlich nicht für Russen, und als Schutzmacht für russische Minderheiten im benachbarten Ausland kommt Russland auch nicht in Frage – das wäre doch glatt ein Verstoß gegen die ukrainische, georgische etc. Souveränität … Wie gesagt, Karners Position ist hierzulande noch zu lesen, als eine eklatante Minderheitsmeinung. Sogar an ein von der westlichen Propaganda mittlerweile als Wunschdenken oder gleich als „Fake“ abgetanes „Versprechen“ erinnert sich der Historiker, und an ein von Ost und West unterschriebenes Prinzip der OSZE: „… es steht das mündliche Versprechen aus 1990/91 im Raum, es werde keine NATO-Osterweiterung über die DDR hinaus geben. Russland argumentiert mit der `ungeteilten Sicherheit´ als Prinzip der OSZE, die nicht zulasten anderer geht.“ So weit, so isoliert.
Der andere Kommentar ist von Hannes Swoboda, früher für die SPÖ im EU-Parlament, ebenfalls im Kurier 6.2.2022
„Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat der Westen versäumt, Ideen für eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur zu entwickeln. Die Versuchung, die Schwäche Russlands voll auszukosten war zu groß. Hinzu kommt, dass vor allem jene Staaten, die unter der sowjetischen Dominanz besonders gelitten haben … rasch eine Sicherheitsgarantie durch die NATO-Mitgliedschaft haben wollten. Russland hat unter Putin nicht gelernt, wie man politische Ziele durch Kooperation erreicht.“
Das ist putzig: Putin möge politische Ziele durch „Kooperation“ erreichen, und zwar gegenüber Staaten, die russische Schwächen „voll auskosten“, die also das genaue Gegenteil von Kooperation betreiben! Der hier erzählte Quatsch besteht darin, dem Westen ein Versäumnis vorzuwerfen: Keine Sicherheitsarchitektur hätte er entworfen! Dass für eine solche „gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur“ exklusiv der Westen zuständig ist, ist bei dieser Vermisstenanzeige ohnehin unterstellt! Aber: Der Westen hat gar nichts „versäumt“ – besagte Sicherheitsarchitektur bestand von Anfang an darin, unter Ausnutzung der Schwäche Russlands – und auch unter Ausnutzung der Schwächen der früheren Warschauer-Pakt-Staaten und der früheren Sowjetrepubliken – diese zu westlichen Satellitenstaaten und Hinterhöfen umzuformen, durch die Osterweiterung von EU und NATO. Nur deswegen wurden deren Bedürfnisse nach Bevormundung durch EU und NATO erhört. Weiter im Zitat:
„Russland hat auch als großer Staat kein Recht, seine Nachbarn unter Druck zu setzen. … Die – bedauerliche – Tatsache, dass auch andere Staaten, inklusive den USA, eine bedrohliche Nachbarschaftspolitik betreiben und für sich eine Einflusszone einfordern, rechtfertigt nicht das russische Verhalten. Unrecht bleibt Unrecht, von wem auch immer ausgeübt.“
Schön gesagt, und wo bleiben denn nun die Sanktionen gegen die USA, wg. „Unrecht“? Dann steht es halt schlecht um die Ordnung auf der Welt, wenn die USA genau wie Russland ein Unrechtsstaat sind?! Das „Unrecht bleibt Unrecht“ ist eine billige rhetorische Floskel; der Autor spricht sich so vom Vorwurf der Einseitigkeit und Einäugigkeit und Voreingenommenheit frei, um dann munter einseitig weiterzumachen, um nämlich einseitig gegen Russland pädagogisch tätig zu werden und nur von Russland zu verlangen, sich zu ändern, nämlich endlich durch Nachgiebigkeit wahre „Freunde“ zu gewinnen:
„Besonders Russland, das immer auf die nationale Souveränität pocht, sollte sie bei allen Staaten anerkennen. Aber jedenfalls im Fall der Ukraine und Georgiens verletzt Russland die eigenen Grundsätze. Russland ist sicherlich nicht das einzige Land, das in Teilen eine aggressive Außenpolitik betreibt. Aber gerade bezüglich der Ukraine, sowie gegenüber Georgien sehen wir eine mit Drohungen versehene Außenpolitik. Russland versteht nicht, dass man Freunde durch Angebote und nicht durch Drohungen und die Förderung von separatistischen Bewegungen gewinnt.“
Von den USA den Respekt vor fremder Souveränität zu fordern, kommt dem Autor offenbar selbst absurd vor, und was den delikaten Vorwurf der Verletzung eigener Grundsätze betrifft – nun, der Schutz russischer Minderheiten im nahen Ausland gehört auch zu diesen Grundsätzen. Ansonsten kommt wieder die rhetorische Floskel „Russland ist sicher nicht das einzige Land, das … “ zum Tragen – es ist Russland aber das einzige Land, das hier für „Drohungen“ kritisiert wird. Wie Karner hält auch Swoboda fest, dass Russland sich verhält wie eine Großmacht – und macht eben diese Gemeinsamkeit mit den USA sehr selektiv Russland zum Vorwurf. Swoboda kennt die „aggressive Außenpolitik“ als Realpolitik unter Staaten – „Realpolitik“ ist übrigens eine blöde Formulierung, denn es gibt Politik ohnehin nur einmal, nämlich als reale, als wirkliche. Und es gibt die Beschönigungen, die Idealisierungen und Beweihräucherungen dieser realen Politik. Selektiv unterstellt Swoboda den USA Realpolitik, und nur gegen Russland klagt er die Ideale ein – Außenpolitik wäre doch durch „Kooperation“ und „Angebote“ zu gestalten. Ansonsten hat der Mann offenbar einfach nicht kapiert, was inzwischen los ist; bemerkbar an folgendem Vorschlag: „Mit einem grundsätzlich kooperativen Russland wäre es machbar, dass auch die Ukraine – und Georgien – entscheiden, neutral zu bleiben. Vor allem dann, wenn sie von der NATO und (!) von Russland Sicherheitsgarantien bekommen.“ Erstens ist Russland vom westlichen Standpunkt ganz grundsätzlich unzuständig für Sicherheitsgarantien jedweder Art, auch für ethnische Russen in diesen Ländern, und zweitens ist das Kriterium für ein kooperatives Russland längst dessen Bereitschaft, den westlichen Vormarsch zu akzeptieren. (Nebenbei: Der Sache nach ist mittlerweile ziemlich irrelevant, ob die Ukraine formell NATO-Mitglied ist oder nicht. Das Land wird längst allein nach den Bedürfnissen der NATO benutzt und arbeitsteilig durch deren Mitglieder aufgerüstet.) Die argumentativen Bemühungen Swobodas sind allerdings geradezu spitzfindig, gegenüber anderen Auskünften. Es geht nämlich auch rustikaler:
„Das Vor-und-Zurück, das Dementieren, die `Lackierung der Wirklichkeit´, die man aus der UdSSR kennt, das hat in Moskau Methode. Rechtspopulisten werden querfinanziert, alternative Medien verbreiten Fake News, und westliche Politikeregos werden für russische Zwecke eingespannt …“ (Evelyn Peternel, Kurier 10.2.2022)
Der Einstieg referiert Geschichten aus dem stinknormalen Politikbetrieb, wie man sie aus dem demokratischen Alltag kennt. Ein politischer Vorstoß wird in Umlauf gebracht und wieder dementiert, die Wirklichkeit wird durch Sprachregelungen und Narrative von Spin-Doktoren passend „lackiert“ – das sollen Überbleibsel der UdSSR sein? Sogar der Kurier-Leser kennt dergleichen als „Message-Control“! Das Knüpfen von Kontakten zu auswärtigen Oppositionspolitikern, das Einspannen von ausländischen Ex-Politikern, das Verbreiten von Fake News, was ist das – demokratische Gepflogenheit oder exklusiv russische Schweinerei? So geht eben ein Feindbild: Dem Gegner wird das vorgeworfen, was die „eigene“ Seite ständig betreibt. Weiter m Text:
„Auch die aggressive Politik der letzten Jahre – Russland hat nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Syrien, Kasachstan, Libyen und neuerdings in Mali Konflikte angeheizt – war Warnsignal. … Zudem hat er (Putin) vorgesorgt, den Staat seit 2014 auf Wirtschaftskrieg eingestellt: Die russischen Goldreserven sind auf Höchststand, man hat Devisen in Milliardenhöhe gehortet und begonnen, die Wirtschaft vom Dollar zu entkoppeln.“
Dasselbe Prinzip der Einäugigkeit ist unter dem Stichwort „aggressive Politik“ zu bewundern: Dass Russland ausgerechnet in Syrien – seinem letzten Verbündeten in dieser Region – Konflikte anheizen sollte, ist nicht einmal mehr lächerlich, das gilt auch für Kasachstan; und dass der Westen durch die indirekte Unterstützung islamistischer Terroristen via Türkei, Saudi Arabien und die Golfstaaten das syrische Assad-Regime destabilisiert hat, das könnte vermutlich auch ein Suchbefehl im Kurier-Archiv zu Tage fördern. In Libyen wurde das Gaddafi-Regime durch einen NATO-Bombenkrieg entfernt, seither ringen dort hauptsächlich Frankreich, Italien, die Türkei und Russland um Einfluss, unterstützen diverse Warlords und Milizen und Stämme, und verhindern so immerhin den Erfolg einer dieser Parteien beim Fertigmachen der anderen. Aber klar, wenn Russland übliche Außenpolitik betreibt, mit den passenden Methoden, dann handelt es sich um unpassende „Aggression“. In Mali werden die französischen Truppen gerade rausgeschmissen – das dortige Militär ist offenbar unzufrieden mit deren Leistungen, und russische Söldner der sog. „Wagner“-Truppe sind aktiv: Diese Privatisierung von Kriegsdienstleistungen ist bekanntlich eine US-amerikanische Innovation, bewährt im Irak und in Afghanistan und wer weiß wo sonst noch, aber für Russland sind all diese außenpolitischen Aktivitäten offenbar unstatthaft. Zumindest für den Westen und seine Propagandaabteilungen. Weiter im Sündenregister: Putin stellt Russland glatt auf den schon längst laufenden Wirtschaftskrieg ein, mit dessen Eskalation ständig gedroht wird, und bunkert internationale Zahlungsfähigkeit in Gestalt von Gold und Devisen jenseits des Dollar! Unglaublich, müsste er denn nicht widerstandslos kapitulieren?! Oder wie oder was?
Der Höhepunkt der Hetze, gespeist aus Ahnungslosigkeit, ist allerdings der präventive Vorwurf, Putin würde sich nicht an das Minsker Abkommen halten: „Dass er (Putin) sich an Vereinbarungen hält – Stichwort Minsker Abkommen – sollte niemand erwarten.“ Dieses Abkommen ist oder besser war nämlich ein russischer Erfolg auf Basis der damaligen Schwäche der Ukraine. Ein wesentlicher Teil – neben dem Waffenstillstand, von der OSZE überwacht – war die ukrainische Verpflichtung zu einer Verfassungsänderung für einen Sonder-Autonomie-Status der Separatistengebiete im Donbass, als Voraussetzung einer im Abkommen durchaus enthaltenen Wiedereingliederung dieser Gebiete in das Staatsgebiet der Ukraine. Daraus ist nichts geworden, seither pocht Moskau auf die Umsetzung dieses Abkommens und antichambriert diesbezüglich erfolglos in Frankreich und Deutschland – den Mit-Unterzeichnern des Abkommens. Wer genaueres wissen will, und speziell als Nachhilfe für Kurier-Außenpolitiker, da empfiehlt sich etwa ein Beitrag in der NZZ vom 15. Februar. Aber durch einige Suchbefehle hätte sich die Redaktion das selber erarbeiten können. (Ich weiß, der Kurier-Text ist ausdrücklich als namentlicher Kommentar gezeichnet, aber für so ein Machwerk steht die komplette Radaktion in der Ziehung.) Vom Standpunkt der Ukraine war dieses Abkommen immer nur der Aufschub, das Einfrieren des fälligen Krieges gegen die Separatisten und damit gegen Russland, zu dem man damals militärisch nicht in der Lage war. Das hat sich gründlich geändert; inzwischen distanziert man sich dort offen und „lackiert“ das Abkommen nach der jahrelangen eigenen Aufrüstung quasi im Nachhinein zum „Fake“ – womöglich in typisch sowjetischer Manier?!
[„Ukraine’s security chief warned the West on Monday against forcing the country to fulfill a peace deal for eastern Ukraine brokered by France and Germany, charging that an attempt to implement it could trigger internal unrest that would benefit Moscow. … The fulfillment of the Minsk agreement means the country’s destruction, Danilov said. When they were signed under the Russian gun barrel – and the German and the French watched – it was already clear for all rational people that it’s impossible to implement those documents.”] Herr Oleksiy Danilov ist Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine: Er „warnt den Westen, sein Land zu zwingen, das Friedensabkommen für die östliche Ukraine zu erfüllen, das von Frankreich und Deutschland ausgehandelt wurde. … Die Erfüllung des Minsker Abkommens bedeutet die Zerstörung des Landes … Als sie unter russischen Gewehrläufen unterzeichnet wurden – und die Deutschen und die Franzosen zusahen – war es bereits für alle vernünftigen Menschen klar, dass es unmöglich ist, diese Dokumente umzusetzen.“ (U.S. News & World Report, 31. Januar 2022)
Inzwischen häufen sich die Meldungen, dass es an der Waffenstillstandslinie immer schwerere „Zwischenfälle“ und Gefechte gibt, die von der OSZE noch immer mitgeschrieben werden. Die USA allerdings haben ihre Beobachter im Rahmen dieser Mission abgezogen – auch eine Art, der Ukraine bis zu einem gewissen Grad einen Freibrief auszustellen, zumindest für einen kleinen Dauerkrieg aus wachsenden Scharmützeln. In den abgespaltenen Bezirken Donezk und Luhansk beginnen Evakuierungen und Einberufungen. Westliche Politiker aller Länder vereinigen sich in einer konzertierten publizistischen Aktion zur präventiven Klarstellung, dass jedwede Beschwerde der Separatisten bzw. Russlands über eine ukrainische Offensive jeder Grundlage entbehrt, Fake News sei, und bloß zur Rechtfertigung eigener Aktionen in Umlauf gebracht werde. Nein, die Streitkräfte der Ukraine unternehmen sicher nichts – zur Durchsetzung ihrer Verfassung, ihrer Staatsräson und ihrer Militärdoktrin. Die dortigen rechtsradikalen Milizen auch nicht! Und die westlichen Medien plappern verantwortungsbewusst die einschlägigen Sprachregelungen nach.
Apropos Medien! Karl Kraus hätte vermutlich seinen makaberen Spaß bei der Lektüre der heutigen Journaille, die jeden Vergleich mit den damaligen Kollegen – vor über hundert Jahren schon – aushält. Auch das gehört mittlerweile übrigens zu diesem Gewerbe: Über kurz oder lang, vielleicht auch über länger, werden kritische Außenseiter der Branche mit nachträglichen „Enthüllungen“ aufwarten, Enthüllungen über die gegenwärtigen westlichen Lügen und über die Bereitwilligkeit der Medien, diese Lügen zu schlucken und zu verbreiten.
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Möchte noch einmal auf den letzten Beitrag zurückkommen. Wenn man älter wird, hat das ja nicht nur für einen selber Nachteile, man kann jüngeren Leuten mit Geschichten von früher auf die Nerven gehen. Einige Jahrzehnte wurde man mit der Botschaft versorgt, dass das sowjetische System unvereinbar mit westlichen Werten und deswegen unerträglich sei. Dann trägt die UdSSR unter Gorbatschow auf ihre Weise dieser Kritik Rechnung, versucht sich an der Einführung des Kapitalismus, lässt wählen und löst ihre Bündnisse auf. Zehn Jahre eines beispiellosen Niedergangs eines Staatswesens mitten im Frieden beginnen, unter einem gewissen Jelzin zersetzen sich Ökonomie und Staatsmacht richtiggehend. Die NATO und die EU beginnen mit der Einverleibung des russischen Vorfelds. Nachfolger Putin revidiert diesen selbstzerstörerischen Kurs und versucht sich an einer Konsolidierung. Offenbar viel zu erfolgreich, die Feindschaft nimmt wieder Fahrt auf. Die ahnungslose Vorstellung Gorbatschows, nach dem Systemwechsel könnte auch Russland am Konzert der kapitalistischen Demokratien teilnehmen und auch Weltpolitik machen, die blamiert sich. So ein Block-Bündnis wie „der Westen“ ist gar nicht der Normalzustand kapitalistischer Demokratien, es war die Feindschaft gegenüber der Atomkriegsmacht Sowjetunion, die den Westen zusammengezwungen und zusammengehalten hat. Die NATO erodiert danach einige Jahre schleichend, und wird seit der Konsolidierung Russlands durch Putin und speziell seit dem Streit um die Ukraine wieder mit Leben erfüllt. Das abweichende System kann es also nicht gewesen sein – es war die Drohung mit der atomaren Vernichtung, die damals wie heute unerträglich ist. Das damalige Narrativ, so ein Gleichgewicht des Schreckens würde immerhin den Frieden sichern, das hört man allerdings schon lange nicht mehr.
Quellen:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/westlich-russischer-stellvertreterkrieg-ukraine
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ukraine-den-zeiten-corona#section15
Auszug: „Und da hat sich unter Trump offensichtlich die Einsicht durchgesetzt, dass ein zusätzlicher besonderer Aufwand zur Betreuung dieser Nation, wie der von Biden während der Obama-Regierungszeit, nur Verschwendung von Zeit und Geld ist. Ausgerechnet die Garantiemacht Amerika dementiert jetzt in Gestalt ihres Präsidenten die bisherige Lüge, dass Amerika voll und ganz hinter der nationalen Sache der Ukraine steht. Das war zwar die Rechtfertigung für den politischen und militärischen Zugriff Amerikas auf die Ukraine, und der wird auch unter Trump überhaupt nicht infrage gestellt; aber warum soll ein US-Präsident bei der Benutzung anderer Nationen im Namen amerikanischer Größe so tun, als ob ihn das Verständnis für deren Notlage dazu motivieren würde. Unter dem Strich eine extrem ungemütliche Position für einen komplett abhängigen Frontstaat.“
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/usa-treiben-entmachtung-ihres-russischen-rivalen-voran