Derzeit stirbt auch die Wahrheit über den Krieg!

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Derzeit stirbt auch die Wahrheit über den Krieg!
In dem Sinn nämlich, dass momentan allen Ernstes der Krieg schöngeredet, verniedlicht und verharmlost, geradezu idyllisiert wird, um der russischen Seite dann überschießende, unangemessene, sinn- und zwecklose Gewalt vorzuwerfen. Exemplarisch ein polnischer Politiker mit der Behauptung: „Das ist kein Krieg, das ist Terror!“ – Nun ja, Krieg ist Terror; das ist identisch. Im Krieg wird alles der Selbstbehauptung des Staates unterworfen, die Menschen sind Menschenmaterial, und alle materiellen Ausstattungen im Land sind Hilfsmittel dieser Durchsetzung – weil umgekehrt: Der Feind nimmt all das gemäß seinen Kalkulationen ins Visier, um alle Mittel des Gegners zu zerstören. In der Ukraine insofern besonders sinnfällig, als unter dem Kriegsrecht der wehrfähige männliche Teil der Bevölkerung bis 60 Jahre zwangsrekrutiert wird, und der Präsident in verschiedenen Varianten seiner Wortmeldungen den Unterschied zwischen der Zivilbevölkerung und den regulären Kombattanten ausdrücklich aufgehoben hat – um sich dann über betroffene Zivilisten zu beklagen. Die ukrainische Führung lehnt bekanntlich auch dezidiert „Fluchtkorridore“ für Zivilisten ab, sobald die in die verkehrte Richtung führen, nämlich nach Russland oder Weißrussland. Da ist der ukrainische „Besitz“ an diesen ihren Zivilisten allemal wichtiger als deren Leben und Sicherheit. [Auch Berichte von Flüchtlingen werden kolportiert, nach denen die ukrainischen Streitkräfte Bevölkerungsteile an der Flucht hindern – das sind die berühmten menschlichen Schutzschilde. Die Sorte von Berichten gibt es allerdings kaum in den westlichen Medien.] Wikipedia:

Als Krieg wird ein organisierter und unter Einsatz erheblicher Mittel mit Waffen und Gewalt ausgetragener Konflikt bezeichnet, an dem planmäßig vorgehende Kollektive beteiligt sind. Ziel der beteiligten Kollektive ist es, ihre Interessen durchzusetzen. Der Konflikt soll durch Kampf und Erreichen einer Überlegenheit gelöst werden. Die dazu stattfindenden Gewalthandlungen greifen gezielt die körperliche Unversehrtheit gegnerischer Individuen an und führen so zu Tod und Verletzung. Neben Schäden an am Krieg aktiv Beteiligten entstehen auch immer Schäden, die entweder nicht direkt beabsichtigt sind oder Kriegstaktik („Verbrannte Erde“) sein können. Erstere werden heute euphemistisch als Kollateralschäden bzw. Begleitschäden bezeichnet. Krieg beschädigt oder zerstört sogar(?) Infrastruktur und die Lebensgrundlagen der Kollektive.“ „Verbrannte Erde bezeichnet eine Kriegstaktik, bei der eine Armee alles zerstört, was dem Gegner in irgendeiner Weise nützen könnte, also Gleise, Straßen, Brücken, liegengebliebene Fahrzeuge, Lebensmittelvorräte, Fabriken, Wohnhäuser und manchmal bis hin zur kompletten Zerstörung von Städten und Dörfern.“

Auch der Hinweis oder der Vorwurf auf „Völkermord“ trifft auf den Krieg zu, in dem Sinn nämlich, als im Krieg die bloße Zugehörigkeit eines Individuums zu einem Volk, das zum Feind erklärt wurde, ausreicht, um zur Zielscheibe zu werden, natürlich völlig unabhängig davon, ob sich so ein Individuum überhaupt mit „seinem“ geliebten Vaterland identifiziert oder sich aktiv an Kampfhandlungen beteiligt, also „Volk“ im Krieg sein will. Dazu kommt die gezielte Verrohung, die so eine Rücksichtslosigkeit zuerst gegen sich und dann gegen den Feind erfordert, und zu der die Soldaten auch erst mal gedrillt werden müssen, weil sie allem widerspricht, was im zivilen Leben erlaubt bzw. verboten ist. Der blanke Hass auf den Gegner stellt sich dann spätestens im Zug der Kampfhandlungen sein. Das ist einerseits allgemein bekannt, aber dem Publikum wird allen Ernstes die Perspektive des gemäßigten, des sauberen, des geradezu weichgespülten Krieges angeboten, um die russische Kriegsführung als einen einzigen Verstoß dagegen zu brandmarken. Warum eigentlich? Ach so, die Stunde der Kriegsbegeisterung ist gekommen, man schreit ja selber in den Redaktionen nach Krieg – und will es sich offenbar nicht nehmen lassen, ausgerechnet in der Durchführung der Schlächtereien die quasi zurückhaltende, die fast schon menschliche, jede „Netiquette“ respektierende Kriegführung für die „eigene“, die ukrainische Seite zu reservieren. Zugleich bekennt man sich im journalistischen Mainstream längst zur eigenen Propagandatätigkeit durch die gezielt eingesetzte „Macht der Bilder“ und den Auftrag, Putin dürfe den Kampf um die „Macht der Bilder“ nicht gewinnen – man ist ja Kriegspartei. Im Prinzip ist da schon alles auf Schiene und der moralische Kompass ordentlich justiert: Ukrainische Gräueltaten – die es eigentlich nicht geben kann, es sind schließlich „unsere“ blitzsauberen Helden am Werk – die wären kleinzureden als Ausnahmen von der Regel, wenn auch völlig verständliche, durch die unentschuldbaren Gräuel des Feindes; während die Gräueltaten des Feindes natürlich die Regel sind, und noch einmal bekräftigen, wie sich da das Gute und das Böse verteilen.

Apropos „Macht der Bilder“: Was es damit auf sich hat, kann man auch von den Propagandaversuchen des „islamischen Staates“ lernen – gemeint ist nicht Saudi-Arabien, sondern das inzwischen eliminierte „Kalifat“ im Irak und in Syrien. Das Kalifat hat auch versucht, mit echten Bildern US-amerikanischer Gräueltaten Propaganda zu machen. Da handelt es sich natürlich um ekelhafte Versuche, echte – oder gleich erfundene – Tragödien zu instrumentalisieren, die längst als „Kollateralschäden“ moralisch abgebucht sind oder auch als bedauerliche Einzelfälle einer „entmenschten Soldateska“ – nein, falsch, einiger aus dem Ruder gelaufener Individuen, die dem Ernst der Lage nicht gewachsen waren … Jedenfalls, was „uns“ die Bilder zu sagen haben, das steht jenseits der Fotos fest und liegt nicht an ihnen. Wer in diesem Sinn die verkehrten echten Fotos via Handy verbreitet, macht sich u.U. strafbar, weil er den islamischen Terrorismus legitimiert.

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Flüchtlinge und / oder Vertriebene?
Der aktuelle Flüchtlingsrassismus ist nicht nur eine Tatsache, sondern auch ein Thema. Sowohl Antirassisten als auch Rassisten habe dazu ihre Interpretationen, und die sind nicht selten auch rassistisch, und insofern falsch. Eine polemische Frage in der „Zeit“:

„Noch vor Kurzem erfroren Menschen in polnischen Wäldern. Haben weiße Europäer:innen endlich Geflüchtete gefunden, die ihnen genehm sind – weiße Ukrainer:innen?“ (Emran Feroz in Zeit online 4. März 2022) (Eine Erinnerung an die militärische Verteidigung der polnischen Grenze gegen Flüchtlinge aus Weißrussland, neulich.) Andere Varianten billigen den deutlich anderen Umgang mit ukrainischen Flüchtlingen durch Hinweise wie „christlich, europäisch, mehr Frauen und Kinder als Männer“, sogar von „blond und blauäugig“ hab’ ich wo gehört oder gelesen, als einen Beitrag britischer Ukraine-Versteher. Etwas sachlicher:

„Eine alte Debatte hat unerwartet neuen Schwung bekommen: Wenn Menschen vor Krieg und Verfolgung in ihrer Heimat nach Österreich fliehen – sollen sie hier auch arbeiten dürfen? Die Gesetzgebung ist hier eindeutig: Wer keinen Aufenthaltstitel bekommt (und nicht aus der EU stammt), ist auf den Sozialstaat angewiesen. Die Ukrainer sind Europa politisch wie emotional näher als etwa Syrer.“ (Kurier 6.3.) „Judith Kohlenberger: Bis kurz vor der Ukrainekrise war der Diskurs in Österreich noch sehr migrationsskeptisch. Der Innenminister war zuletzt noch in Litauen und hat dort den Grenzzaun, der gebaut wird, begutachtet und für gutgeheißen. Jetzt erleben wir plötzlich eine 180-Grad-Drehung. Die Stimmung ist sehr aufnahmebereit.“ (Kurier 10.3.)

Ob man den Rassismus jetzt plausibel findet, also billigt, oder als Rassismus ablehnt – die Vorstellung, es läge an den Eigenschaften der Geflüchteten, die ist nach wie vor krumm. Es liegt schon am positiven oder negativen Interesse an den Flüchtlingen. Dazu noch ein aktuelles drastisches Beispiel: Boris Johnson möchte Asylwerber gern nach Ruanda schicken und dort aufbewahren lassen, bis am St.-Nimmerleins-Tag über ihren Asylantrag entschieden wurde. Derselbe Premier hat vor einigen Monaten angekündigt, ein paar zehntausend britische Spezialpässe an Hongkong-Chinesen verteilen zu wollen, und die sind in der Regel weder weiß noch christlich noch blond noch blauäugig, und von Geschlechterprivilegien war auch nichts zu vernehmen. Auch ein paar Ukrainer dürfen inzwischen nach Großbritannien. Was kann man dem entnehmen? Wieder mal die alte Weisheit, dass „unsere“ Interessen an den Opfern aus näherer oder fernerer Umgebung der entscheidende Gesichtspunkt ihrer Behandlung sind. Wenn „uns“ die „Ukrainer politisch wie emotional näher als etwa Syrer“ sind, dann liegt das nicht an der Geographie oder der Kultur, sondern am europäischen Anspruch der Osterweiterung. Die Ukraine gehört zu Europa, sie gehört „uns“, insofern ist der russische Angriff ein Angriff auf uns, denn Ukrainer gehören inzwischen zum europäischen „Wir“. Insofern betreuen „wir“ mit den Flüchtlingen ein Stück Hinterland einer Front, an der „wir“ ideell längst stehen sind. Das ist der Sachverhalt – dass die Hautfarbe traditionellen Rassisten diese Flüchtlinge leichter verdaulich macht, ist ein Kollateralnutzen. Syrer oder Flüchtlinge aus Afrika sind demgegenüber die Opfer – oder gleich „illegale“ Wirtschaftsflüchtlinge – aus sicher ungemütlichen Gegenden; aber um die syrische Führung als Unrechtsregime zu delegitimieren, genügen ein paar Exemplare; und Flüchtlinge aus Afrika werfen höchstens ein abträgliches Licht auf „unseren“ Hinterhof und die trostlosen Lebensbedingungen im Reich der Globalisierung des Kapitals, und weniger auf einen eindeutigen Feind.

Da sind einige Adaptionen fällig. Unter der vorherigen türkis-blauen Regierung des Schließers der Balkanroute ist das Asylwesen erklärtermaßen auf Abschreckung ausgelegt worden: Flüchtlinge durften nicht arbeiten und sollten es ungemütlich haben, in eher entlegenen Quartieren ohne jede Perspektive oder Chance. Also wird momentan reformiert bzw. der Rechtsstatus der Ukrainer an die neuen österreichischen Bedürfnisse angepasst. Sogar die „Macht der Sprache“ – Vorsicht! Ironie! – darf sich austoben. Die offizielle Umbenennung dieser Flüchtlinge in „Vertriebene“ soll sie erst mal von der bisherigen Anti-Flüchtlings-Hetze absetzen, und die Erinnerung an die früheren sudetendeutschen Vertriebenen gibt durchaus etwas her, für die politisch-moralische Einordnung: Diese Vertriebenen verkörpern wieder „unsere“ Ansprüche gegen den Feind.

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Die „jüdische Großmutter“ von Selenskij
Zumindest in manchen Medien wurde mit gewisser Penetranz auf die jüdische Herkunft des ukrainischen Präsidenten verwiesen. Das solltet etwas beweisen – was eigentlich? Die geschichtsbewußte russische Propaganda operiert bekanntlich mit der Erinnerung an den Großen Vaterländischen Zweiten Weltkrieg und behauptet, gegen „Nazis“ kämpfen zu müssen. Dass in der Ukraine wie im Rest Osteuropas ein traditioneller Antisemitismus daheim ist, ist bekannt; auch, dass die Wehrmacht während des Krieges bei ihren diversen Vernichtungsaktionen ohne Probleme einheimische Hilfskräfte rekrutieren konnte. Eine bekannte ukrainische Figur jener Epoche heißt Stepan Bandera, über den Wikipedia berichtet:

„1934 wurde Bandera wegen der ihm vorgeworfenen Ermordung des polnischen Innenministers Bronisław Pieracki verurteilt, kam jedoch nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges frei. Er arbeitete mit der deutschen Wehrmacht zusammen und die Milizen unter ihm übernahmen nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Lemberg teilweise die Polizeigewalt. Sie bereiteten unter anderem Verhaftungen und Massenerschießungen vor. Nachdem andere Mitglieder der OUN einen unabhängigen Staat ausgerufen hatten, wurde Bandera von der Gestapo im KZ Sachsenhausen in Haft gehalten, bei einer Behandlung als Ehrenhäftling mit besseren Haftbedingungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg floh Bandera zurück nach Deutschland und wurde in der Sowjetunion in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Er wurde 1959 in München von einem KGB-Agenten ermordet. … [Zitat aus einer Biographie:] „Vor dem Krieg machte er (Bandera) kein Geheimnis daraus, dass ‚nicht nur Hunderte, sondern Tausende Menschenleben geopfert werden müssen‘, damit die OUN ihre Ziele realisieren und ein ukrainischer Staat entstehen könne. Die Massengewalt beziehungsweise die ‚Säuberung‘ der Ukraine von Juden, Polen, Russen und anderen ‚Feinden‘ der Organisation war ein zentraler Bestandteil seiner Ziele.“ … Vor allem im Westen der Ukraine wird Bandera heute von breiteren Bevölkerungsschichten als Nationalheld verehrt, dort gibt es auch Hunderte nach ihm benannte Straßen, viele lebensgroße Statuen und Büsten, einige monumentale Denkmäler sowie mehrere Museen zu seinen Ehren. … In der Ostukraine, aber auch in Polen, Russland und Israel gilt Bandera hingegen überwiegend als Verbrecher und NS-Kollaborateur. Der schwedisch-US-amerikanische Historiker Per Anders Rudling bezeichnet Bandera als Faschisten. Am 22. Januar 2010 verlieh der damalige ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko Bandera postum den Ehrentitel Held der Ukraine. … Die polnische und russische Regierung sowie einige andere Institutionen protestierten gegen diese Ehrung. Das Europäische Parlament äußerte die Hoffnung, dass der neue Präsident der Ukraine diesen Präsidialerlass revidiere. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum verurteilte die Ehrung und wies darauf hin, dass Bandera Mitschuld am Tod von Tausenden Juden trage. … Von russischer Seite wird seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine der Bandera-Kult staatlicher ukrainischer Stellen dazu genutzt, die durch die Revolution 2014 an die Macht gekommenen demokratischen Parteien und Politiker pauschal als „Faschisten“ zu verunglimpfen. … Unter dem 2019 ins Amt gewählten Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist der Versuch eines Wandels in der Geschichtspolitik festzustellen, sie hat sich jedoch nicht völlig verändert, da der neue Kulturminister politisch ähnlich denkt wie sein Vorgänger. Dies bedeutet auch, dass die nach Bandera und Schuchewytsch benannten Straßen in Kiew ihren Namen behalten. Die Heroisierung der OUN spielt in der offiziellen Erinnerung eine weniger große Rolle; stattdessen werden Persönlichkeiten in den Vordergrund gerückt, mit denen sich alle Ukrainer unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit und politischer Ausrichtung identifizieren können.“ (wikipedia 24.4.2022)

Welche Persönlichkeiten das sein sollen, mit denen sich in einer politisch und ethnisch derart gespaltenen Ukraine alle identifizieren können sollen, steht leider nicht da – aber wie dem auch sei, angesichts alles dessen ist der Hinweis auf die jüdische Großmutter des Präsidenten doch ein wenig matt. Zur Vermeidung von Missverständnissen: Die russische Erinnerung an Typen wie Bandera ist nicht der Grund für den Krieg – der Grund ist der militärische Einspruch gegen die NATO-Osterweiterung. Auch die russische Seite versteht sich eben in der Kunst der Feindbildmalerei. Gemeint ist, wer Faschisten und Kriegsverbrecher wie Bandera als Nationalhelden verehrt, verbündet sich auch mit dem Westen gegen Russland, in alter, im letzten Weltkrieg bewährter Tradition.

Eine andere Variante des Bezugs auf ebendiese Vergangenheit findet sich im „profil“ Nr. 16 vom 15. April:

„Je tiefer man in der Geschichte des Landes und seinen kollektiven Erfahrungen gräbt, desto verständlicher wird die Haltung des Widerstands. Die Bewohner des heutigen Staatsgebiets der Ukraine waren in den vergangenen 200 Jahren wechselnden Nationen und Eliten unterworfen, mehrheitlich arme Bauern, die sich in verzweifelten, oft blutigen Aufständen wehrten, nur um neue Herrscher zu bekommen. In Sowjetzeiten starben sie millionenfach den Hungertod, weil man ihnen Ernte und Saat wegnahm, und viele kämpften ein Jahrzehnt in den Reihen der SS und ermordeten jüdische Frauen, Kinder und Rotarmisten. Der historische ukrainische Nationalismus war antisemitisch und antibolschewistisch.“

Soweit also eine Antisemitismus-Versteherin im „profil“. Auch das eine journalistische Technik des Umgangs mit anrüchiger ukrainischer Tradition: Sie wird erwähnt und gleich als „historisch“, also als überholt abgetan, um eine andere „eigentliche ukrainische Identität“ zu postulieren, die in einem „Dazwischen“ entstanden sein soll, mit folgendem Ergebnis: „Heute ist das anders. Korruption, Machtmissbrauch und Russlands Politik, in die Entscheidungen der Ukraine hineinzupfuschen, werden in ihrer Ablehnung in eins gesetzt.“ (ebd.) Es fragt sich bloß, warum respektable Teile dieser neuen und „eigentlichen“ Identität sich in die ruhmreiche Tradition des damaligen ukrainischen Fremdenhasses stellen und deren Exponenten Bandera zum Nationalhelden hochjubeln, mit Denkmälern etc. usw. Die Antwort ist einfach: Diese neue und die alte „Identität“ widersprechen sich gar nicht. Wenn die Devise lautet „Ukraine first“, „to make Ukraine great again“, dann ergeben sich daraus sehr folgerichtig die Feindschaften. Das, was Ukraine-Adoranten gern als liebenswürdige, multikulturelle Vielvölkeridentität dieses netten Staates preisen, stellt sich für Hardcore-Nationalisten genau umgekehrt dar. Im Kurier vom 24. April:

`Die Ukraine den Ukrainern, Ehre der Nation! Tod den Feinden, tötet die Ungarn!´ Drohungen wie diese erhielten zahlreiche in der Ukraine lebenden Ungarn zu Beginn des Krieges.“ Ungarn hat die ungarische Minderheit ähnlich wie Russland im Osten mit eigenen Pässen ausgestattet, und als Hebel eigener Einflussnahme benutzt oder es versucht. „Ungarn stellt sich gegen Öl- und Gas-Sanktionen gegen Russland, weigert sich, Waffenlieferungen durch das Land zu lassen. … Ungarns Beziehung zur Ukraine ist eine angespannte – nicht erst seit des russischen Angriffskrieges … `Der Konflikt ist so alt wie der Nationalismus selbst´, erklärt Erin K. Jenne von der Central European University (CEU).“ (ebd.) Von den 130000 Ungarn in der Westukraine sind angeblich seit Kriegsbeginn etwa 30000 geflüchtet, auch Männer, um der Einberufung zu entkommen. Ungarn „unterstützt die Auslandsungarn finanziell und sichert sich dadurch Einfluss, lautet der Vorwurf von Kiew. `Die ungarische Minderheit wird deswegen als feindlicher, illoyaler Teil der Bevölkerung gesehen´, so die Forscherin. Die Fronten verhärteten sich, als die Ukraine 2017 ein Gesetz verabschiedete, das Ungarisch als Unterrichtssprache ab der fünften Klasse verbot. Ungarn sah das als Angriff auf die eigene Nationalität …“ (ebd.) Wie im Osten die russische, ist im Westen die ungarische Minderheit ein Ärgernis – für den neuen eigentlichen und eigentlich sympathischen Ukraine-Nationalismus. Aber wahrscheinlich sind an dem ohnehin die Russen schuld.

 

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