Die berühmten „westlichen Werte“:
im „Faktencheck“ und in der „Realpolitik“
Die westlichen Werte sind bekanntlich das, was den freien Westen – nach Eigenauskunft seiner Machthaber und seiner Sprachrohre – so wohltuend von anderen, öfter angefeindeten Staaten und deren „Autokraten“ unterscheidet. Diese Werte erheben den Westen so turmhoch über alle anderen, dass sie ihn ganz fundamental zur permanenten Aufsicht über die Staatenwelt und zum regelmäßigen Eingreifen verpflichten, Kriege natürlich inklusive. Immer dann, wenn die aktuellen „Bösen“ die nach westlichen Regeln „regelbasierte Ordnung der Welt“ gefährden, und damit den „Frieden“ riskieren, den der Westen dann nicht mehr geben kann.
Das erste entscheidende Moment dieser Werte ist – unabhängig vom je bestimmten „Wert“ und dessen lobpreisender Ausgestaltung –, die Stellung der politischen Gewalt zu ihm: In der Berufung auf Werte beansprucht die Staatsmacht eine dienende Stellung; zumindest in diesem „Narrativ“ sind – zumindest formell – ausnahmsweise nicht die „nationalen Interessen“ die Leitlinie der Politik, nicht der nationale „sacro egoismo“, mit dem der damalige italienische Ministerpräsident den Kriegseintritt Italiens im Ersten Weltkrieg begründete. Geheiligt durch die Werte ist die Nation natürlich schon, aber nicht schnörkellos, unverblümt und selbstbezüglich, sondern über diesen kleinen – sagen wir mal – Umweg, eben als Dienst der Nation an höheren, größeren, erhabeneren moralischen Ungetümen. Indem sich der oder die Werte halt nur durch Gewalt die gebührende Geltung verschaffen können, heiligt sich auf diese Weise unter dem Strich doch wieder die Gewalt, und nichts als die Gewalt der Nation, wenn sie den diversen Werten dient. Historische Beispiele, zur Erläuterung von Identität und Differenz:
„Für Gott, Kaiser und Vaterland!“ Und gegen die Russen! Das waren seinerzeit, solange die Kaiserreiche intakt waren, erstklassige und gültige Werte, für die die damaligen Untertanen eingespannt wurden. Der unmittelbare Zusammenschluss von Gott – dem der Kaiser dient, wenn er das Vaterland kommandiert –, und Nation sollte damals die Betroffenen schwer beeindrucken, und es hat funktioniert! Mit „Ein Volk! Ein Reich! Ein Führer!“ – und gegen die Russen! – konnte der Nationalsozialismus dann anschließen, unter Einsparung des lieben Gottes zugunsten der Würdigung des Volkes, und es hat funktioniert! In diesen Varianten wurde ganz unmittelbar die Nation zum allerhöchsten Höchstwert erhoben, dem alles geopfert werden muss, auch das Leben der Untertanen bzw. Volksgenossen. Heute hingegen geht das mit den Werten ganz, ganz anders, nämlich so:
Der Werte-Anspruch …
„Für Demokratie und Menschenrecht!“ Und gegen die Russen! Der heutige Höchstwert wird also nicht in Gestalt eines oder mehrerer Staaten von diesen selbst verehrt, es handelt sich vielmehr um eine Staatsform und die dazugehörigen Herrschaftsprinzipien; um die Rechte, für die „Demokratie“ steht. Diesen Werten will „der Westen“, vulgo die NATO und die EU, dienen, wenn sich die verbündeten Staaten nach außen wenden und den Rest der Welt begutachten. Diese Herrschaftsprinzipien sind nach Überzeugung der westlichen Machthaber nämlich keineswegs eine exklusive Errungenschaft ihrer damit beglückten Völker, sondern – im Prinzip zumindest – ein Besitzstand aller Menschen auf der großen weiten Welt, der aber nicht wenigen vorenthalten wird. In einer zeitgenössischen Fassung von Präsident Biden:
„Ich habe ihm (Putin) auch gesagt, dass die Amerikanerinnen und Amerikaner einem Präsidenten der Vereinigten Staaten auf Dauer kein Vertrauen schenken werden, wenn er sich nicht für die Verteidigung ihrer demokratischen Werte einsetzt und für die universellen Rechte und Grundfreiheiten eintritt, die unseres Erachtens alle Männer und Frauen haben. … Es geht nicht nur darum, Russland anzugreifen, wenn dort Menschenrechte verletzt werden … Wie könnte ich Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein und mich nicht gegen die Verletzung der Menschenrechte aussprechen?“ (Biden, Pressekonferenz 16.06.2021)
Die weltweite Agenda der USA besteht nicht darin, in Konkurrenz zu anderen Nationen Interessen zu verfolgen und anderen Nationen die ihren zu bestreiten. Im Namen aller Menschen muss der Präsident auf der ganzen Welt für die demokratischen Werte und für die universellen Rechte eintreten, die alle Männer und Frauen haben. Wenn die USA dem Rest der Welt diese Prinzipien aufdrängen, ist das also keinem Interesse geschuldet, über das sich im Rahmen eines „deals“ verhandeln ließe – sondern das ist einfach so, eine Art gottgewollter oder Naturzustand. Die USA sind zur Zwangsbeglückung der ganzen Menschheit mit Demokratie und Menschenrecht berufen, sie können nicht anders, denn als Aufseher, Richter und Exekutor einer im amerikanischen Wesen begründeten Welthegemonie zu fungieren. Die USA führen ihre Kriege nicht gegen fremde Völker, sondern für fremde Völker, wenn sie diese Völker bombardieren, um sie von ihren falschen Regierungen zu befreien.
Es ist bezeichnend, welche Kritik daran ab und an zustande kommt, in den USA, an der weltweiten Ami-Mission. Präsident a. D. Trump hat bekanntlich mit dem Vorwurf aufhorchen lassen, durch den übereifrigen Dienst der USA am Rest der Welt sei eine Vernachlässigung des amerikanischen Homelands eingerissen, seien die Interessen der hard working american people von volksfremden „Eliten“ ignoriert worden, weswegen endlich wieder der US-amerikanische sacro egoismo den ihm zustehenden Stellenwert erlangen müsse, also „america first“!
… und die Praxis
Gegen eine allzu simple Auffassung der amerikanischen Mission – oder auch gegen eine weitverbreitete Gedächtnisschwäche speziell unter Meinungsbildnern, die US-Außenpolitik würde am Globus darauf achten, dass andere Staaten ihre Bürger anständig behandeln –, dagegen eine kleine Erinnerung, die schon mal kurz Thema war:
„Ob Roosevelt diese Worte tatsächlich in den Mund genommen hat, ist dabei umstritten. Gemünzt waren sie auf den ab den 1930ern von den USA gestützten Diktator von Nicaragua, Anastasio Somoza García … ‘Er mag ein Hurensohn sein, aber er ist unser Hurensohn’. Ungeachtet der Diskussion über seine Authentizität, wurde das selbstkritische Bekenntnis zum festen Terminus in der Politikwissenschaft: Bis heute spricht man von der ‘Hurensohnpolitik’ der USA.“ – Wieso soll dieses Bekenntnis selbstkritisch sein? Selbstbewusst wäre die passende Bezeichnung! – „Der Begriff bezieht sich auf fragwürdige Verbündete der USA, Diktatoren und sogar Menschenrechtsverbrecher, die für die US-Politik dennoch ihren Nutzen hatten und deshalb von ihnen geduldet wurden.“ – Wieso „fragwürdige Verbündete“, wieso „dennoch“ und „geduldet“? Besagte Diktatoren brachten nicht dennoch ihren Nutzen für die USA, sondern durch ihre „Menschenrechtsverbrechen“! Und sie wurden auch nicht bloß geduldet, sondern unterstützt. – „Bis heute ist dieser Opportunismus ein Wesensmerkmal der US-Außenpolitik, denn nach wie vor unterstützen die USA ihnen nützliche Regimes.“ – Wieso Opportunismus? Was denn jetzt – Opportunismus oder „Wesen“? Wieso die Floskel „nach wie vor“, als hätte längst Schluss sein müssen? – „Trump selbst bekannte sich zu dieser Linie, als er unumwunden zugab, dass man auch dann am saudischen Kronprinzen Bin Salman festhalten würde, wenn er des Mordes an Jamal Khashoggi überführt wäre.“ (Tobias Huch, Journalist, Yahoo Nachrichten Deutschland 15.01.2020)
Ein gängiger journalistischer Topos zur Bewältigung der „Hurensohnpolitik“ ist der „Vorwurf“ der Unglaubwürdigkeit. – Glaubwürdigkeit ist bekanntlich die Tugend der Lügner; und dieser „Vorwurf“ der „Unglaubwürdigkeit“ hält eben beides fest: Den guten Auftrag an die USA, auch deren gute Absicht, und die etwas anders geartete Praxis. Man beachte auch hier den Unterschied: Wenn Putin lügt, dann ist damit alles gesagt, dann ist der Mann unten durch, bei der hiesigen Verantwortungspresse – wenn der Ami-Präsident lügt, wir erinnern uns an die „Massenvernichtungswaffen“ im Irak, dann wird das abgenickt. Oder womöglich mehr „Glaubwürdigkeit“ angemahnt: Lügen sie das nächste mal besser, Mr. President! Für die Verantwortungspresse gehört sich wider besseres Wissen eines: Wenn die USA die schlechte Behandlung von Untertanen im angefeindeten Ausland hochspielen und skandalisieren, um ein missliebiges Regime zu delegitimieren, dann ist hemmungsloses Moralisieren angesagt – und dann muss man ganz fest daran glauben, ein allfälliger Krieg gegen so ein Regime diene der „Befreiung“ und Besserstellung der jeweiligen leidenden Menschen, die nun zusätzlich unter US-Bomben leiden. Die afghanische, auch die Frau im Iran darf jederzeit, sobald es passt, für ein Feindbild herhalten, die Frau in Saudi-Arabien nicht so dringend – wie es Frauen in Afghanistan nach einem US-Angriffskrieg und nach zwanzig Jahren US-Besatzung geht, ist ohnehin bekannt. Die Popularität von Uiguren im Westen liegt daran, die sind perspektivisch ein Hebel gegen China – und das kennt auch jeder, oder doch nicht? Und so führen die USA pausenlos ihre Kriege bzw. Militäreinsätze, ohne dass ihnen die Verantwortungspresse mit dem Imperativ kommt, „wir“ müssten sie endlich „stoppen“, weil die USA sonst immer weiter und weiter machen … Der Maler Helnwein hat im „profil“ 12/2022 daran erinnert:
„… seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist Amerika im permanenten Kriegszustand. In diesen Kriegen starben nach verschiedenen Schätzungen bisher 30 bis 50 Millionen Menschen. Zig Millionen wurden verletzt und verstümmelt, ganze Nationen wurden in die Steinzeit und ins Chaos zurückgebombt. Der Friedenspreisträger Obama ließ Zehntausende Bomben in sieben Länder abwerfen. Er überbombte damit sogar Bush. Laut offiziellen Statistiken werfen die USA jeden Tag im Schnitt 46 Bomben ab. … Laut CIA-Dokumenten waren 89 Prozent der Getöteten unschuldige Zivilisten, viele davon Kinder. Haben sie je gehört, dass irgendjemand deshalb Sanktionen gegen Amerika verlangt hat? … Orwell hat gesagt, die mächtigste Lüge sei die Auslassung … So funktioniert Propaganda am effektivsten.“ Und von Noam Chomsky stammt das Bonmot, „alle Präsidenten der Vereinigten Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg gehörten gehängt, ginge es nach den Gesetzen der Nürnberger Prozesse“, nach denen seinerzeit die Nazi-Führung abgeurteilt wurde.
Das eigentliche heutige Thema ist nun die Frage, lassen sich jenseits apologetischer Verrenkungen tatsächliche Prinzipien und Richtlinien der US-Kriege ermitteln!? Worum geht es bei der Globalisierung amerikanischer Gewalt wirklich? Ganz materialistisch und ohne moralische Verrenkungen! Wofür kämpfen die USA tatsächlich? Die Antwort, schnörkellos:
Es geht um den globalen Kapitalismus …
Nach 1945, auf Grundlage des gewonnenen Weltkriegs, haben die USA eine „Weltordnung“, eine Ordnung der ganzen Welt entworfen, und den dadurch Vereinten Nationen ein Angebot gemacht, das diese aus Sicht der USA einfach nicht ablehnen konnten: Die USA sind bereit, nationale Grenzen, also andere Staaten, zu respektieren – unter der Bedingung, dass innerhalb dieser jeweiligen Grenzen Privateigentümer mit ihrem Geldvermögen wirtschaften, um es wachsen zu lassen, und in Folge diese anerkannten Grenzen auch durchlässig sein müssen, für Waren, Geld, Kapital, Kredit. Dieses – nennen wir es mal – Menschenrecht aller Männer und Frauen auf Eigentum und Kapitalismus wurde durch die passenden weltumspannenden, internationalen Durchführungsbestimmungen konkretisiert: Mit dem GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) bzw. der Nachfolgeorganisation WTO (World Trade Organisation) der Welthandel; mit dem IWF (International Monetary Fund) die gemeinschaftliche Weiterfinanzierung der Staaten, die durch Handel und Investitionen ruiniert werden; mit der Weltbank (World Bank) die Finanzierung von infrastrukturellen Voraussetzungen für Kapitalismus hauptsächlich in „unterentwickelten“ Ländern. Und last, but not least, stellten die USA mit ihrem Dollar als Leitwährung den Stoff, damals noch an die Goldmaterie geknüpft, den es nun auf der ganzen Welt zu verdienen galt; das (auf marxistisch:) „Weltgeld“. Auch der Marshall-Plan (European Recovery Program) war an dieses Angebot geknüpft, und mit der Weigerung der damaligen Sowjetunion, Ostblock eingeschlossen, sich darauf einzulassen, war der Gegensatz der Systeme schon auf Schiene und die NATO (North Atlantic Treaty Organization) als das passende westliche Bündnis ebenfalls: Es verteidigt die Territorien der Partner und verfolgt darüber hinaus das „Ziel weltweiter politischer Sicherheit und Stabilität“.
Sehr folgerichtig dienten die US-Gewaltorgien der ersten Jahrzehnte nach dem letzten Weltkrieg dem Ziel, die „Globalisierung“ des Kapitals erst herzustellen, immerhin hatten die in die Unabhängigkeit entlassenen Ex-Kolonien die Alternative eines Beitritts zum „Sozialistischen Lager“. Als exemplarisch für die Bestrafung eines derartigen Fluchtversuchs darf der Vietnamkrieg gelten, das damalige „Zurückbomben in die Steinzeit“ wg. kommunistischer Umtriebe. Gegenüber den portugiesischen Ex-Kolonien Angola und Mosambik konnte das südafrikanische Apartheidregime quasi als Sub-Imperialist die Dreckarbeit erledigen. Weniger bekannt wurde eine Säuberung Indonesiens in den 60er Jahren durch das eigene Militär mit US-Unterstützung; das hat eine Million Tote (lt. Amnesty International) produziert, der Vorwurf auch hier: Kommunismus. Die amerikanischen Ansprüche an einen globalen Kapitalismus waren und sind gerade in der „eigenen“ Hemisphäre hoch, der demokratisch gewählte chilenische Sozialdemokrat Allende hat den Einspruch des Militärs gegen seine menschenrechtswidrigen Sozialprojekte nicht überlebt; die Sandinisten in Nicaragua hatten zwar ihren Zeitgenossen Somoza – einen Nachkommen des legendären „Hurensohn“ – vertrieben, wurden aber durch Terroristen („Contras“) im Dienst der USA und durch ökonomische Sanktionen bekämpft, bis vom ursprünglichen Programm nichts mehr übrig war; und in Venezuela zog sich der General Chavez bzw. sein Nachfolger einen ökonomischen Boykott zu, wegen des Unterfangens, die dortige Wirtschaft nicht nur auf den Ölexport, sondern auch auf ein arbeitsames Volk zu gründen – und dieses mit sozialstaatlicher Fürsorge und durch die Zweckentfremdung von Öl-Einnahmen erst mal Instand zu setzen. Die amerikanische Unterstützung der jeweiligen Militärdiktaturen in Brasilien und Argentinien versteht sich ohnehin von selbst. (Die Liste ist nicht vollständig.)
… unter einem Gewaltregime des Veranstalters
Nach der Resignation des sowjetischen Kommunismus nach den klassischen „Stellvertreterkriegen“ und durch die von den Betreibern als „Totrüsten“ gefeierte Überwindung des „atomaren Patt“ war die Welt aber noch lange nicht in Ordnung. Die USA stellen sich mit ihren Verbündeten nun der Herausforderung jedes Nationalismus, genauer, jedes nicht autorisierten militanten Nationalismus. Das heute tatsächlich alternativlose Angebot, sich auf eigene Rechnung und zum eigenen Vorteil in den globalen Kapitalismus einklinken zu müssen, und mit den Resultaten zurecht zu kommen, das erzeugt nicht nur Millionen Flüchtlinge auf dem Weg nach Norden, sondern vor allem eine ganze Palette notorisch unzufriedener Nationen, von den „failed states“ bis zu den „Schwellenländern“, die alle über ein „letztes Mittel“, eine ultima ratio verfügen – ein Militär eben. Der Gehalt der von US-Präsident Bush sr. verkündeten „Neuen Weltordnung“, exekutiert sofort nach Überwindung der „bipolaren“ Weltordnung durch einen Krieg gegen den Irak, der besteht in einem Gewaltverzichtsgebot an alle unzufriedenen Souveräne, bzw. umgekehrt: Gewalt darf nur das Mittel der USA und ihrer Verbündeten sein, bei der Aufsicht über die Weltordnung. Dieser Anspruch auf ein quasi-Monopol auf Gewalt trifft unterschiedliche Staaten, die sich in keiner Weise aus dem Weltkapitalismus verabschieden wollten: Der erwähnte Irak wollte nach einem jahrelangen Krieg gegen den von den USA angefeindeten Iran eine Art „Belohnung“ in Form von Kuwait kassieren; Serbien wollte gegen eindeutige Direktiven des Westens seine „territoriale Integrität“ mit Gewalt verteidigen; der Irakkrieg 2.0 war fällig, weil Amerika nach dem „11. September“ einfach sich einen Krieg schuldig war, mehr war nicht; in Libyen hat Gaddafi zwar einen Rückzug nach dem anderen abgeliefert, aber nur genötigt und widerwillig … Fortsetzungen unvermeidlich.
Was hat das mit Russland zu tun?
Nun, Russland passt wirklich nicht in diese Welt und ihre westliche Ordnung. Weil dieser Staat von der Sowjetunion nicht nur ein beachtliches Waffenarsenal geerbt hat, das eindeutig unter den Tatbestand der „Massenvernichtungswaffen“ fällt, ein Arsenal also, das nach Meinung der USA nur ihnen zusteht. Auf Basis dieser Gewaltmittel – und Gewalt ist nun mal die bevorzugte Sprache der Staaten – stellt dieser Staat glatt Ansprüche, und zwar vor allem den Anspruch, seine Ansprüche und die zugehörigen sog. „roten Linien“ selber als seine Rechte zu definieren, und nicht von der US-Hegemonie zugestanden oder verweigert zu bekommen. Aktuell besteht der russische Anspruch darin, keinen feindlich aufgerüsteten Frontstaat an der eigenen Grenze zu dulden. Insofern ist der „Angriffskrieg“ wirklich ein Angriffskrieg: Es ist ein Angriff auf das vom Westen beanspruchte Recht auf Kontrolle der Staatenwelt, auf Kontrolle des globalen Gewalthaushalts. Der Westen hat diesen Angriff auf die Ukraine übrigens sofort genau so und damit völlig richtig verstanden. (A propos Angriff und Verteidigung: Die Frage, was wird denn von wem angegriffen oder verteidigt und warum und wie, die kann man sich ruhig mal stellen.)
Der Frieden der regelbasierten Weltwirtschaftsordnung ist angesichts dessen hinfällig, die Weltwirtschaft bewährt sich als ökonomische Waffe der Veranstalter gegen den russischen Staat – durch den Ausschluss vom Dollar generell und vom Energiemarkt speziell. Als Waffe gegen einen Staat, der sich in den Weltkapitalismus längst konstruktiv einsortiert hat und weiter darin bewegen will, aber ohne sich vom Veranstalter seine Räson diktieren zu lassen.
Nachhören und nachlesen wie immer auf cba.media, Podcast « Kein Kommentar ».
Was die US-Kriege der letzten 30 Jahre betrifft, sind die im GegenStandpunkt veröffentlichten Beiträge inzwischen ein Kompendium zur Zeitgeschichte:
https://de.gegenstandpunkt.com
Speziell zur Instrumentalisierung von Demokratie und Menschenrecht der noch immer aktuelle Beitrag:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/demokratie-den-nahen-osten