Qualitätskontrolle: „Professor landet YouTube-Hit mit Fakten zu Russland und Ukraine“

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Historiker erklärt die „Fakten“ über Russland und die NATO:
Eine Qualitätskontrolle

„Professor landet YouTube-Hit mit Fakten zu Russland und Ukraine“ (https://www.t-online.de/region/stuttgart/id_100144110/tuebinger-professor-begeistert-bei-youtube-fakten-zu-russland-und-ukraine.html)

Prof. Gestwa stellt sich im Video vor, als staatlich zertifizierter Gelehrter „für osteuropäische Geschichte und Landeskunde der Universität Tübingen“; er forscht seit über 30 Jahren zu Osteuropa und ist bzw. war seither in Russland und in der Ukraine unterwegs. Er hat bemerkt, dass sich „in der deutschen Öffentlichkeit sehr meinungsstarke, aber auch oftmals ahnungslose Stimmen laut zu Wort melden“, mit Auskünften, „die wissenschaftlich sich nicht belegen lassen“, daher ist es ihm ein „Anliegen, diese Falschannahmen zu thematisieren und einen klaren Blick auf die Entwicklung im östlichen Europa zu werfen.“ Es geht in den folgenden Bemerkungen speziell um die beanspruchte wissenschaftlich fundierte Deutungshoheit, anhand der ersten von acht Thesen. (Alle Zitate aus dem Transkript auf YouTube, der link zum Video : https://www.youtube.com/watch?v=6GqWDhHzRdo)

Vorweg und zur Erinnerung: Die NATO-Osterweiterung – 1999 Polen, Tschechien, Ungarn; 2004 Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien; 2009 Albanien, Kroatien; 2017 Montenegro; 2020 Nordmazedonien – diese Osterweiterung hat kontinuierlich die Vorbehalte Russlands dagegen gefördert: „Noch im Jahr 2004 gratulierte Präsident Putin den baltischen Staaten zum Beitritt. Er sagte am 2. April 2004 ‘Hinsichtlich der Nato-Erweiterung haben wir keine Sorgen mit Blick auf die Sicherheit der Russischen Föderation.’ Mit Unterzeichnung durch denselben Präsidenten Putin trat am 31. Dezember 2015“ – nach dem Regimewechsel in Kiew und der Annexion der Krim – „eine neue Militärdoktrin in Kraft, welche erstmals die USA sowie deren Alliierte, die NATO und die EU als Bedrohung für Russland und seine Nachbarn benannte.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Osterweiterung#Erste_NATO-Osterweiterung_1999) Darum geht es.

[Zusatz: „Von einigen westlichen Politikern und Wissenschaftlern wird die Erweiterung als Reaktion auf den Wandel der russischen Außenpolitik, vor allem unter den Präsidenten Boris Jelzin und Wladimir Putin interpretiert. Ursprünglich sei neben und oberhalb der NATO eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands beabsichtigt worden. Die wachsende Unsicherheit und Bedrohungslage durch Russland habe aber mehr und mehr Staaten dazu veranlasst, sich dem westlichen Militärbündnis anschließen zu wollen. Diese Aufnahmewünsche seien ab 1997 angenommen worden. Vertreter des Realismus in internationalen Beziehungen, besonders John Mearsheimer, interpretieren die russische Ablehnung der Erweiterung der NATO als allgemeines rationales und erwartbares Verhalten zur Sicherung der Interessensphäre eines Landes.“ (wikipedie ebd.)]

These: Die Nato hat Russland bedroht – Putin musste sich verteidigen

Die Bedrohung Russlands:
Übertreibung durch Missverständnise einer gescheiterten gemeinsamen antirussischen Sicherheitsarchitektur

Diese These ist schlichtweg Unfug. Leider ist es nach 1991 nicht gelungen, eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen, in die Russland eingebunden und mit seinen imperialen Ambitionen auch eingehegt ist, dazu haben unterschiedliche wechselseitige Missverständnisse beigetragen, aber daraus ein Bedrohungsszenario Russlands durch die NATO abzuleiten, ist ziemlich übertrieben.“

Korrekt wird von Prof. Gestwa darauf Bezug genommen, dass die „nicht gelungene gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur“ ein eindeutiges Subjekt hat. „Es“ ist – dem Westen – in der Tat am Ende des Tages doch nicht gelungen, Russland nach seinen Vorgaben einzubinden und einzuhegen, also friedlich zurückzudrängen. Von Seiten der westlichen Akteure wie von Historiker Gestwa ist als selbstverständlich unterstellt, dass von einem gleichberechtigten Verhältnis sozusagen „auf Augenhöhe“ nie die Rede sein konnte, sondern vom Versuch, sozusagen als Platzanweiser die Oststaaten und ebenso Russland in die westlich definierte „Sicherheitsarchitektur“ einzusortieren. Um dadurch die als unstatthaft, als illegitim definierten russischen Interessen – Gestwa: „imperiale Ambitionen“ – wirksam zu hintertreiben. Der kontinuierliche Marsch der NATO nach Osten, gegen die wachsenden russischen Einwände, der hat natürlich nichts mit westlichen „imperialen Ambitionen“ zu tun, sondern der ist die „Sicherheitsarchitektur“, in deren Rahmen Russland seiner Einkreisung auch noch hätte zustimmen sollen, was 2014 ein Ende fand. Aber wenn die russischen Ambitionen schon „imperial“ sind – wie sollen die denn eingehegt werden, wenn nicht durch abschreckende Bedrohung? (Die Aufklärung der von Gestwa erwähnten „wechselseitigen Missverständnisse“ findet übrigens nicht statt.)

Weiter geht es mit einem ganz anders akzentuierter Hinweis – denn nicht um „Missverständnisse“ bzw. eine „Übertreibung“ handelt es sich bei der „Bedrohung“ Russlands, sondern gleich um eine reine Erfindung:

Die Bedrohung Russlands: Russischer Offizier entlarvt Erfindung

Ich möchte hier in dieser Stelle nur die ‘Allrussische Offiziersversammlung’ zitieren, die am Tag der russischen Großinvasion in die Ukraine, am 24 Februar 2022 verkündet hat, dass die Gefahr aus dem Ausland herbeiphantasiert worden ist, um die kriegerische Provokation eines Angriffs auf das Nachbarland zu kaschieren.“

Entgegen anderslautender Gerüchte gibt es auch in Russland einen politischen Pluralismus, da wird heftig diskutiert; und der Verfasser des Aufrufs der „Allrussischen Offiziersversammlung“ – ein Veteranenverband –, ein gewisser Generaloberst Iwaschow, der gehört zu den nationalistischen Kritikern Putins; der Generaloberst leidet anders an der Lage seiner Nation, er glaubt, Russland habe andere Probleme und daher andere Prioritäten. Sein wesentliches Argument als Offizier lautet übrigens, dieser Krieg müsse wohl in den großen Krieg gegen die NATO münden und könnte schlecht ausgehen …
[Link: „Das Iwaschow Dokument“, ganz interessante Lektüre, viel Unsinn, aber darin durchaus informativ:
(https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2022-2010/html?lang=de)]

Was macht Prof. Gestwa aus dieser Stellungnahme? Er bläst diesen Beitrag im russischen Pluralismus zur maßgeblichen Quelle schlechthin auf, erschlichen durch ein kleines „nur“ – ich möchte hier in dieser Stelle nur die ‘Allrussische Offiziersversammlung’ zitieren“ – so als gäbe es diese Position in Russland, daher besonders glaubwürdig, gleich in vielfacher Ausführung, und zur Straffung der Darstellung begnüge er sich mit nur einer Variante. Die vielen gegenläufigen Positionen zur Bedrohung Russlands durch die NATO, keineswegs nur in Russland, sondern gerade unter den US-amerikanischen politologischen „Realisten“, die taugen aber nichts für den Beweiszweck des Historikers, und sind als Quellen daher unerheblich. Weiter mit dem nächsten Argument:

Die Bedrohung Russlands: Gerechtfertigt wegen baltischer Ängste

Wenn wir uns die Chronologie genauer anschauen, werden wir feststellen, dass in den 90er Jahren die ehemaligen und auch die baltischen Staaten, die ja Teil des Sowjetimperiums gewesen sind, gute Gründe gehabt haben der NATO beizutreten; die Initiative zu dieser Erweiterungsrunde ging von diesen Staaten aus, weil Mitte der 90er Jahre waren in Russland wieder neoimperiale Stimmen zu vernehmen, die eben in den ostmitteleuropäischen Staaten und im Baltikum große politische Ängste ausgelöst haben, und deshalb dort die Regierungen dazu veranlasst haben, über einen NATO-Beitritt nachzudenken.“

Da müsste man sich halt mal entscheiden: Wenn u.a. die baltischen Staaten „gute Gründe“ hatten, der NATO beizutreten, weil „in Russland wieder neoimperiale Stimmen“ laut wurden – wenn also die Balten „gute Gründe“ für „Ängste“ hatten, dann hilft dagegen wohl nur eine glaubwürdige Bedrohung Russlands durch die NATO, und damit wäre diese Bedrohung Russlands kein Missverständnis und sicher kein Phantasieprodukt, sondern logischerweise eine Bedrohung, und zwar eine durch „Ängste“ gerechtfertigte. Oder zählen diese „Ängste“ zu den erwähnten „Missverständnissen“? Prof. Gestwa hat kein Problem mit Widersprüchen, er fährt fort:

Die Bedrohung Russlands: Ein (von Gestwa entworfenes) Zerrbild

In der westlichen Politik ist der NATO-Beitritt dieser Staaten lange Zeit kontrovers diskutiert worden, weil man auch im Blick hatte, dass sich Russland dadurch vielleicht etwas echauffieren würde, deshalb hat man auch versucht die Sicherheitsinteressen Russlands zu berücksichtigen, und hat sie in der NATO-Russland-Grundakte von 1997 schriftlich fixiert, und diese Grundakte ist dann 2002 zum NATO-Russland-Rat institutionalisiert worden. Und was steht drin in dieser Grundakte – in dieser Grundakte verpflichtet sich die NATO dazu, östlich der Elbe keine Militärstützpunkte zu unterhalten und auch nicht mehr als 5.000 Nato-Soldaten in den der NATO beitretenden ostmitteleuropäischen Staaten zu stationieren, das bedeutet, dass wir es hier nur mit einer politischen, aber eben nicht mit einer militärischen Erweiterung der NATO zu tun haben. Dieses Zerrbild, das immer in den Medien verbreitet wird, dass rund um Russland herum NATO-Stützpunkte aufgebaut worden wären, das entspricht eigentlich nicht der Realität, und selbst nach 2014, nach der Annexion der Krim war es so, dass niemals mehr als 8.000 NATO-Soldaten auf dem Gebiet der neuen Beitrittsländer stationiert gewesen sind, das heißt also, dass die NATO sehr darauf geachtet hat dass die russischen Sicherheitsinteressen Beachtung finden.“

Der Westen hat also versucht, die „Sicherheitsinteressen Russlands zu berücksichtigen“, wie schön. Wieder eine klare Erinnerung daran, wer aus westlicher und professoraler Sicht für die Sicherheitsinteressen Russlands zuständig ist, die NATO nämlich, Russland ist es jedenfalls nicht. – Wie wurden denn nun diese russischen Interessen berücksichtigt? Von der von Gestwa erwähnten Verpflichtung, keine „Militärstützpunkte östlich der Elbe“ einzurichten, ist in der zitierten „Grundakte“ nicht die Rede, der Terminus Militärstützpunkt kommt in dem Dokument gar nicht vor. Was in der Grundakte enthalten ist: Die Mitgliedstaaten der NATO wiederholen, dass sie nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlass haben, nukleare Waffen im Hoheitsgebiet neuer Mitglieder zu stationieren“ – vielleicht verwechselt Gestwa das mit „Militärstützpunkten“. Die Absage an Nuklearwaffen ist übrigens durchaus bedingt: „Kein Anlass“, derzeit. (Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags- Organisation und der Russischen Föderation (1), in: https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/grundakte-ueber-gegenseitige-beziehungen-zusammenarbeit-und-sicherheit-zwischen-der-nordatlantikvertrags-organisation-und-der-russischen-foederation-1–803640)

Was ebenfalls in der „Grundakte“ steht:

Die NATO wiederholt, dass das Bündnis in dem gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld seine kollektive Verteidigung und andere Aufgaben eher dadurch wahrnimmt, dass es die erforderliche Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung gewährleistet, als dass es zusätzlich substantielle Kampftruppen dauerhaft stationiert. Das Bündnis wird sich dementsprechend auf eine angemessene, den genannten Aufgaben gerecht werdende Infrastruktur stützen müssen.“

Was heißt das? Die „kollektive Verteidigung“ nach der Osterweiterung war nicht darauf ausgelegt, dass Truppen aus den westlichen NATO-Staaten in die Beitrittsländer einrücken und das dortige Militär ersetzen – dieses Zerrbild entwirft Gestwa, um es dementieren zu können, mit Hinweis auf ohnehin nur „8.000 NATO-Soldaten“. Statt dessen ging und geht es bei der Osterweiterung darum, das Militär der Beitrittsländer in die NATO-Streitkräfte zu integrieren – diese sollten darauf vorbereitet werden, sich nützlich zu machen, durch „Interoperabilität“ samt „Infrastruktur“ für allfällige „Verstärkungen“. Die NATO war nicht darauf aus, westliche Kampftruppen für die Bedürfnisse der Beitrittsländer abzustellen, sondern umgekehrt, deren Truppen in die NATO-Strategie einzubeziehen, sie nach NATO-Standards umzurüsten und gegebenenfalls kämpfen zu lassen! Wie das geht, ist derzeit in der Ukraine zu besichtigen, ganz ohne formelle NATO-Mitgliedschaft. Was das Faible von Prof. Gestwa für nicht vorhandene Militärstützpunkte betrifft: Wenn die Balten, wenn Polen und Rumänien nun Mitglieder der NATO sind, dann sind deren Streitkräfte integriert, und damit ist jede Kaserne dort ein NATO-Stützpunkt mit NATO-Soldaten, und damit sind um Russland herum NATOStützpunkte eingerichtet. Oder besteht für Gestwa die polnische Armee aus NATO-Soldaten zweiter Klasse?!

[Zusatz: Der wissenschaftlichen Genauigkeit und der Vollständigkeit halber: Was ebenfalls in der „Grundakte“ enthalten ist, das sind die Positionen, auf die sich Russland beruft, nämlich u.a. auf das „naturgegebene Recht“, über die Gewährleistung seiner Sicherheit selbst zu entscheiden:

Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit aller Staaten sowie ihres naturgegebenen Rechtes, die Mittel zur Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit sowie der Unverletzlichkeit von Grenzen und des Selbstbestimmungsrechts der Völker, wie es in der Schlussakte von Helsinki und anderen OSZE-Dokumenten verankert ist, selbst zu wählen.“

Die in der Grundakte vorgesehenen Konsultationen, auf die Russland vergeblich versucht hat, sich zu berufen, die sollten dazu dienen, die Sicherheit der jeweils anderen Seite und die aller Staaten im euro-atlantischen Raum zu verbessern, ohne die Sicherheit eines Staates zu beeinträchtigen“. Prof. Gestwa hält es da ganz so einäugig wie die westliche Politik, ein Verfahren, das Russland ständig kritisiert hat: Ein Beispiel:

2010 in Astana und davor 1999 in Istanbul haben alle Präsidenten und Premierminister der OSZE-Länder ein Paket unterzeichnet, das miteinander verknüpfte Prinzipien zur Gewährleistung der Unteilbarkeit der Sicherheit enthält. Der Westen hat nur einen Slogan aus diesem Paket ‘herausgerissen’: Jedes Land hat das Recht, seine Verbündeten und Militärbündnisse selbst zu wählen. Aber in diesem Paket ist dieses Recht mit einer Bedingung und einer Verpflichtung für jedes Land verbunden, die der Westen unterschrieben hat: die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer zu stärken …“ (Außenminister Lawrow u.a. am 28.01.2022) Zusatz Ende]

Die Bedrohung Russlands: Schon von Nord Stream 2 widerlegt

Geradezu kindlich mutet ein weiteres Argument“ von Gestwa an, nämlich

dass in der ganzen Zeit die wirtschaftlichen Verbindungen vor allen Dingen von Deutschland aus mit Russland immer wieder ausgebaut worden sind, all das spricht doch dafür, dass die Interessen Russlands in der westlichen Politik doch sehr starke Beachtung gefunden haben.“

Alles was recht ist, aber wie weltfremd darf ein deutscher Gelehrter denn sein? Seit wann sind denn wirtschaftliche Beziehungen, das ökonomische Ausnutzen anderer Länder, ein Garant dafür, den sonstigen Interessen der Ausgenutzten positiv zu begegnen? Wenn man es denn schon dem westlichen Wirtschaftskrieg gegen Russland nicht entnehmen will, wo die „wirtschaftlichen Verbindungen“ als Waffe eingesetzt werden, und wenn der Historiker bei seinen Geschichtsstudien nicht viel mitgekriegt hat – ein Blick in gegenwärtige Nachrichten könnte einen darüber informieren, dass die ökonomischen Beziehungen der USA zu China mit schwersten politischen Differenzen koexistieren, weil sich ökonomische Beziehungen generell nur unter politischem Vorbehalt und unter Einschränkungen gestalten – statt umgekehrt naturwüchsig für gute Beziehungen zu sorgen! Bemerkenswert auch der Subjektwechsel: Die wirtschaftlichen Verbindungen speziell mit Deutschland – Die schon lang von den USA kritisiert wurden! Nord Stream 2! –, die sollen belegen, dass russische Interessen „in der westlichen Politik“ insgesamt „Beachtung“ gefunden hätten? Du meine Güte!

Die Bedrohung Russlands: Wegen realer Bedrohung aufgeschoben

Auch die immer wieder erwähnte Gefahr, die ausgegangen sei durch einen möglichen NATO-Beitritt der Ukraine, auch diese Gefahr ist mehr herbeiphantasiert als Realität. Es hat unter der Bush-Administration 2007/2008 die Idee gegeben, dass Georgien und auch die Ukraine der NATO in einer weiteren Erweiterungsrunde beitreten könnten. Allerdings haben dann Deutschland und Frankreich auf dem NATO-Gipfel im April 2008 das Veto gegen diesen Beitritt eingelegt, und die Kompromissformel, die gefunden wurde, war, dass die Ukraine und Georgien sich später mit ihrem Wunsch noch einmal an die NATO wenden können, um dort aufgenommen zu werden, aber faktisch war damit der Beitritt der Ukraine und auch Georgiens eigentlich von der politischen Agenda in Europa verschwunden. Da brauchen wir uns kein (sic!) vormachen, das ist etwas, was unmittelbar vor dem Kriegsausbruch am 24. Februar 2022 Scholz, Macron und auch Biden immer wieder versucht haben, Putin zu vermitteln. Meines Erachtens ist die herbei phantasierte Bedrohung durch die NATO von Seiten des Kreml nur ein propagandistisches Zerrbild, um den eigenen Angriffskrieg so als Präventivkrieg erscheinen zu lassen, und damit von den tatsächlichen Gründen des Kriegsausbruches abzulenken.“

Der Beitritt der Ukraine wurde also aufgeschoben, wegen interner NATO-Differenzen; weil zumindest den europäischen Bedenkenträgern völlig klar war, welche Bedrohung Russland damit zugemutet wird. Das erwähnte „Veto“ unterstellt genau die von Gestwa nirgends gesichtete Bedrohung Russlands! Nicht aufgeschoben hingegen wurde die massive und kontinuierliche Aufrüstung, die ganz ohne offizielle Mitgliedschaft ab 2014 vor allem von den USA, Großbritannien und Frankreich betrieben wurde; die dem entspricht, was in der in der NATO-Russland-Grundakte für die Neo-Mitgliedsländer vorgesehen ist: „Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung“, samt der dafür nötigen „Infrastruktur“. An der Aufrüstung dieses NATO-Landes ohne Mitgliedschaft ist das ursprüngliche russische Kriegsziel gescheitert, nur deswegen kann die Ukraine standhalten. Auch Ex-Kanzlerin Merkel deutet inzwischen an, die damaligen Abkommen von Minsk wären nie ernst gemeint gewesen, sondern hätten den Zweck gehabt, der Ukraine und der NATO Zeit zur Aufrüstung zu verschaffen.

Material:

Das Gestwa-Video:

Die NATO-Russland-Grundakte:
https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/grundakte-ueber-gegenseitige-beziehungen-zusammenarbeit-und-sicherheit-zwischen-der-nordatlantikvertrags-organisation-und-der-russischen-foederation-1–803640

Das „Iwaschow Dokument“ der „Allrussischen Offiziersversammlung“:
(https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2022-2010/html?lang=de)]

Zwei Fundstücke:
https://www.welt.de/politik/ausland/article236986765/Nato-Osterweiterung-Archivfund-bestaetigt-Sicht-der-Russen.html
https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/gab-es-zusagen-an-moskau-die-nato-nicht-nach-osten-zu-erweitern-100.html

Eine ausführliche Gegendarstellung:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ukraine-russland-nato

 

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