Nikita Dhawan weist den oft erhobenen Vorwurf zurück, postkoloniale Theorie sei grundsätzlich antiaufklärerisch. Im Gegenteil: Für sie steht die postkoloniale Theorie in der Tradition der Aufklärung, indem sie deren Versprechen ernst nimmt und kritisch weiterentwickelt.
Als zentrales Beispiel nennt sie Immanuel Kant, den sie trotz seiner Widersprüche als eine der bedeutendsten Figuren der Aufklärung würdigt. Kants berühmte Definition von Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ ist für sie nach wie vor wegweisend. Seine Aussage, dass alle Menschen unabhängig von Hautfarbe, Religion oder Geschlecht gleiche Würde besitzen, sei historisch revolutionär gewesen.
Gleichzeitig betont Dhawan, dass Kant rassistische, sexistische und antisemitische Ansichten vertrat – eine Ambivalenz, die für viele aufklärerische Denker:innen typisch sei. Sie plädiert daher für eine Auseinandersetzung mit der Aufklärung, die sowohl ihre emanzipatorischen als auch ihre gewaltvollen Seiten anerkennt. Die Kritik an Kant bedeute für sie nicht eine Ablehnung, sondern eine ernsthafte Beschäftigung mit seinen Ideen und eine notwendige Revitalisierung der Aufklärung.
Der Titel ihres Buches „Die Aufklärung vor Europa retten“ verweist genau auf diesen Widerspruch: Die Aufklärung wird zwar mit europäischen Denkern assoziiert, doch deren eigene Prinzipien – etwa das Weltbürgerrecht und die Gastfreundschaft, wie Kant sie formulierte – wurden schon im Kolonialismus systematisch verletzt. Kant selbst habe sogar gewarnt, dass Europa sich durch die Versklavung anderer entmenschliche. Dennoch rechtfertigte er unter bestimmten Bedingungen auch Gewalt gegen sogenannte „ungerechte Feinde“, was eine widersprüchliche Argumentation offenlegt.
Für Dhawan liegt genau hier das „giftige Erbe der Aufklärung“: Einerseits habe sie bedeutende Emanzipationsbewegungen inspiriert – etwa die Französische und Haitianische Revolution, den Marxismus, Sozialismus und Feminismus. Andererseits sei sie auch zur Rechtfertigung von Sklaverei, Kolonialismus und Umweltzerstörung herangezogen worden.
Die Veranstaltung mit Nikita Dhawan vom VIDC ist hier nachzusehen: https://www.youtube.com/watch?v=J2trUX2QajQ&feature=youtu.be











