Anna Kim lebt in Wien
Anna Kim, 1977 in Südkorea geboren, ist zweisprachig aufgewachsen. Ab 1979 lebt sie in Braunschweig und anschließend in Wien. Für mich ist sie – spätestens seit ihrem letzten Buch Die gefrorene Zeit – eine ganz herausragende Erscheinung in der deutschsprachigen Literatur. Und das hat nun gar nichts mit ihrer multikulturellen Biographie zu tun, sondern damit, dass wir hier eine junge Autorin vor uns haben, die heftigste Themen, die uns bewegen, auch weil wir sie nicht verstehen, angeht. Wie zum Beispiel den Krieg und die Gräueltaten in Ex-Jugoslawien, und in erschreckend erfahrener Weise findet Anna Kim Motiv, Motivation und – und das vor allem – eine Sprache dafür.
Es ist ein harter Roman, den sie uns da zumutet. Es geht um das Aushalten von Schmerz, um Trauerrituale, um das Verheilen von Wunden in einer bitterkalten Zeit. Nach einem Massaker bleibt die Zeit für Generationen eingefroren, die Leichname werden exhumiert und in Kühlhäusern aufbewahrt, die Gesichtszüge der Verschollenen sind auf Suchbildern eingefroren.
Auslöser, sich dieses Themas anzunehmen, war für Anna Kim das Buch der Gegenstände, ein Katalog mit Fotografien von Gegenständen aus Massengräbern. Dinge, die beim Identifizieren der Leichenreste helfen. Stille Zeugen von unvorstellbaren Wahrheiten. Anna Kim schafft es auf beeindruckende Weise, schonungslos behutsam als eine Art Sprach-Anthropologin, Dinge zum Sprechen zu bringen. Fachsprache, Mythos, Detailreichtum, Recherche, Reflexion und Poesie sind hier in hochkonzentrierter Form vereint. (robert renk)
Lesung im Rahmen von Sprachsalz 2009.