Mindestens 53 Menschen sind hier ermordet worden: im „Lager V“ in Graz Liebenau, einem Arbeitslager der Nationalsozialisten, 1945 – am Ende des Zweiten Weltkrieges.
Der Todesmarsch der ungarischen Jüdinnen und Juden
Erschöpft waren sie, die ungarischen Jüdinnnen und Juden vom „Todesmarsch“: In den letzten Kriegstagen gaben die Nazis die Ostfront in Ungarn auf. Dort hatten Jüdinnen und Juden Zwangsarbeit geleistet. Jetzt trieben die Nazis sie nach Mauthausen, ins Konzentrationslager, quer durch die Steiermark, in die Vernichtung. In Graz machten die Peiniger Halt, in einem Arbeitslager in Liebenau. Die Erschöpften, die Kranken wurden ermordet. Wieviele Menschen hier tatsächlich zu Tode kamen ist unbekannt. 53 Leichen wurden entdeckt. Nach weiteren wurde nicht gesucht. Gefunden wurden zwei Skelette beim Bau des Kindergartens: 1992 war das. Aber selbst diese Funde lösten keine weiteren Untersuchungen aus.
Aufarbeitung einer verdrängten Geschichte
Es waren zwei Ärzte, die sich der dunklen Geschichte annahmen. Rainer Possert und Gustav Mittelbach sind die Leiter des Sozialmedizinischen Zentrums in Liebenau. Als Psychotherapeuten hören sie viele Geschichten: auch historisch interessiert, beschäftigen sie sich mit der Beziehung des Nationalsozialismus und der Medizin. Von Patienten bekamen sie zu hören, dass die eigene Praxis in Liebenau auf dem Boden eines ehemaligen Arbeitslagers liegt. Nun wollten Rainer Possert und Gustav Mittelbach mehr darüber wissen und fragten nach. An der Gerichtsmedizin der Universität Graz, bei Historikern und beim Grundstücksamt der Stadt Graz. Rasch wurde den Medizinern klar, dass die Geschichte des Lagers V bewusst verdrängt worden war und die Geschichte der Opfer noch nicht geschrieben war.
Heute stehen hier Wohnhäuser, ein Fussballstadion ist ganz in der Nähe, es gibt einen Kindergarten und Schulen – nichts erinnert mehr an die Verbrechen. Keine Gedenktafel steht hier am Tatort, siebzig Jahre danach. Einzelnen Tätern wurde von den Allierten der Prozess gemacht, aber schon nach 1947 waren jene Kräfte stärken, die verschweigen und vergessen wollten.
Auswertungen der Luftbilder von Liebenau
Das Sozialmedizinische Zentrum Liebenau (SMZ) hat sich der verdrängten Geschichte angenommen.
Im September 2013 gab das SMZ die Auswertung von Luftbildern des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers am Grünanger in Auftrag. Das Gutachten beschreibt den Umfang, den Standort der Baracken, heute noch erhaltene Strassen und Wege, sowie zugeschüttete Bombentrichter und Gruben, in denen möglicherweise noch Opfer des Holocaust begraben sein könnten – noch 1992 wurden beim Bau des neuen Kindergartens zwei Opfer geborgen.
Die Sendung: Geschichte der Lager in Liebenau und Auswertung des neuen Gutachtens
Sie hören in der heutigen Sendung Rainer Possert mit der ersten Auswertung der Luftbilder zum Lager V in Liebenau. Aufgezeichnet am 10. Februar im Pfarrsaal St. Paul, in Liebenau.
Die ersten 30 Minuten: Zur Geschichte des Todesmarsches der ungarischen Jüdinnen und Juden, den Arbeitslagern, den Liebenauer Prozessen und den Milieus des Vergessen-Wollens hören sie:
Die Historiker Barbara Stelzl Marx, Heimo Halbrainer, Eleonore Lappin-Eppel. Weiters Szabolcs Szita, den Direktor des Holocaust-Memorial-Centers Budapest und Heinz Anderwald von der Israelitischen Kultusgemeinde Graz.
Von 00:30 bis 01:15h: Der Vortrag von Rainer Possert. Waren bisher nur Einzelheiten der Luftbildanalyse bekannt, stellt das Sozialmedizinische Zentrum das gesamte Gutachten vor! Darüber hinaus werden neue Luftbilder vorgestellt: sichtbar werden das sogenannte „Russenlager“ in den Murauen, sowie die Lager Neudorf, Murfeld I und II.
Gedenkveranstaltung am 16. April 2015: 70 Jahre Holocaust In Liebenau.
Am 16. April wird das Sozialmedizinische Zentrum wieder ein Gedenken veranstalten: « 70 Jahre Holocaust in Liebenau – 70 Jahre Befreiung von Ausschwitz ».Besucht werden auch der Kindergarten am Grünanger, da wo noch beim Bau 1992, die sterblichen Überreste zweier Opfer gefunden wurden. Ausklingen wird die Gedenkfeier beim Stadtteilzentrum in der Andersengasse 34. Das Gebäude, dass wahrscheinliche die ehemalige Kommandantur des Lagers war und das einzige erhaltene Gebäude des Lagers V in Liebenau ist.
Treffpunkt am 16. April ist die Neue Mittelschule Dr. Karl Renner ab Fünf Uhr am Nachmittag. Weitere Informationen zur Gedenkfeier finden sie auf der Homepage des Sozialmedizinischen Zentrums – www.smz.at.
Die Personen:
- Rainer Possert und Gustav Mittelbach: Leiter des Sozialmedizinischen Zentrums Graz Liebenau. Ärzte und Psychotherapeuten.
- Barbara Stelzl Marx, Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung.
- Heimo Halbrainer, Universität Graz und historischer Verein „Clio“
- Eleonore Lappin-Eppel von der Akademie der Wissenschaften.
- Szabolcs Szita, Direktor des Holocaust-Memorial-Centers Budapest
- Heinz Anderwald, Israelitische Kultusgemeinde Graz.
Nachlesen:
Eleonore Lappin-Eppel: Todesmarch der ungarischen Jüdinnen und Juden
SMZ-Liebenau: Das Lager Liebenau
Barbara Stelzl-Marx: Das Lager Liebenau in der NS Zeit