Um den Berliner Stadtbezirk Neukölln entspannt sich ein weitreichender Problemdiskurs. Ängste vor der Herausbildung einer unkontrollierbaren „Parallelgesellschaft“, vor einem Anwachsen der Gewalt auf den Straßen, vor Gruppen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund als „heranwachsendes Problem“ werden in Zeitungsartikeln und Sachbüchern an die Wand gemalt. Die dahinterliegenden Zuschreibungen, aber auch die Lebensrealitäten und die migrationsbedingten Prozesse der Aus- und Eingrenzung sind freilich viel komplexer und weitreichender, als auf den ersten Blick erkennbar.
Über mehrere Jahre beschäftigte sich Lee Hielscher im Rahmen seiner Masterarbeit mit diesem Stadtbezirk. Auf Basis der Untersuchung der Lebenswirklichkeiten von Roma und Romnja aus Rumänien und Bulgarien erforscht er dabei die Verwobenheit von struktureller und diskursiver Ausgrenzung. Denn als formell mehr oder weniger gleichgestellte EU-Bürger ist ihre Situation sehr speziell: eine potentielle Ausweisung ist als Disziplinierungswerkzeug steht etwa nicht im Raum, dennoch sind sie mit Exklusionsmechanismen auf vielen Ebenen konfrontiert. In diesem Sinne versteht Hielscher seinen Ansatz als kritische Analyse des europäischen Grenzregimes, welches sich nicht nur an den EU-Außengrenzen, sondern eben auch in den Straßen von Berlin Neukölln manifestiert.
Berlin Neukölln und das Leben der Rom_nja. Mit Lee Hielscher. Kulturanthropologische Gespräche # 39.
Das wilde Denken. Kulturanthropologische Gespräche. Mit Robin Klengel und Ruth Eggel auf Radio Helsinki, 92,6 Graz.