Janusz Korczak im Spannungsfeld von Pädiatrie und Pädagogik
Kristina Schierbaum (Frankfurt)
Pädiatrie und Pädagogik teilen mehr Gemeinsamkeiten, als gemeinhin gesehen wird, z. B. eine lange Vorgeschichte. Beide Wissensfelder entstanden ungefähr zur gleichen Zeit. Neben der eigenwilligen Rezeptionspraxis lässt sich rückblickend konstatieren, dass die jeweiligen zeitgenössischen Fachtheorien immer auch konklusive Ideen zum Kern der anderen Disziplin enthielten. Gibt es zu Beginn des 20. Jh. noch zahlreiche Beispiele der intensiven Auseinandersetzung, so hat die Betonung der Unterschiede im Laufe des 20. Jahrhunderts die Oberhand gewonnen. Die Vorgeschichte dieser Entwicklung liegt in der Aufklärungszeit, in der sich die Kinderärzte als sog. Aufklärungspädiatrie konstituierten, sich als ausschließlich für Kinder zuständig erklärten und die »Pädiatrie« noch als umfassende „soziale Wissenschaft vom Kind“ verstanden, die sowohl praktisch wie theoretisch agierte und soziale wie biologische Einflussfaktoren zusammendachte (vgl. Peter 2014). Der Umgang mit kranken Kindern aber hat nicht nur in der Pädiatrie, sondern auch in der Fürsorge bzw. »Sozialen Arbeit« eine lange Tradition, denn die Sorge um uneheliche Kinder, Waisen und arme Kinder schloss auch die Kranken unter ihnen nicht aus. Ein Akteur auf dem Gebiet der Kindergesundheit ist Janusz Korczak (1878/79-1942), der polnische Mediziner, Pädagoge und Schriftsteller. Während seines Medizinstudiums an der Kaiserlichen Universität zu Warschau und seiner Studienreisen in die Metropolen Europas (Berlin, Paris und London) hatte er sich auf die Kinderheilkunde spezialisiert und war sieben Jahre als Pädiater im Berson-Bauman-Spital in Warschau tätig. Im Anschluss führte er über 30 Jahre das jüdische Waisenhaus „Dom Sierot“. Die Leitung war eine schwierige erzieherische Aufgabe, denn sie umfasste die komplette Betreuung einer größeren Zahl von Halb-, Voll- und Sozialwaisen. Es ging Janusz Korczak dabei aber nicht allein um die Bekämpfung oder Vermeidung ansteckender Krankheiten, sondern auch um die grundsätzliche Verbesserung des Gesundheitszustandes und gedeihliche Bedingungen des Aufwachsens. Seine »Erziehungsklinik« ist ein Sinn-bild für die »Medikalisierung des sozialen Sektors« (vgl. Hering 2006: 67), auch wenn sein Enga-gement über die medikale Sorge um die Kinder hinausging: Im „Dom Sierot“ lernte Janusz Korczak das Kind auch in seiner stabilen Entwicklung kennen, um „zu wissen, was es zum nor-malen Aufwachsen braucht, was ihm [dem Kind] fehlt, wenn es in seiner (physischen, intellek-tuellen, moralischen) Entwicklung gestört wurde, um dann die Mängel, nach Möglichkeit rechtzeitig beheben zu können“ (SW Bd. 9: 201). Im Fall „Janusz Korczak“ geht es in Bezug auf „medikalisierte Kindheiten“ nicht nur um einen Akteur, sondern auch um eine Institution mit spe-ziellem Konzept, ein Programm, einen Wirkungsbereich und einen Ort. An ihm lässt sich zeigen, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch eine „Zweiheit von Medizin und Pädagogik“ bestand – und die Sozialmedizin als Brückenschlag von der Medizin (Pädiatrie) zur Sozialen Arbeit (Fürsorgeerziehung) gedeutet werden kann, denn in seinem Handeln zeigt sich medizinisches Können mit sozialem Engagement in „Personalunion“.
Moderation: Alfred Weiss, Salzburg