Bei der letzten Nationalratssitzung am 19.09.2019 brachte die SPÖ im Nationalrat im Spiel der freien Kräfte einen Antrag ein, dass bei Vorliegen von 45 echten Arbeitsjahren mit Erreichung von 62 Lebensjahren, der bisherige Abschlag beim Antritt einer Pension völlig wegfällt. FPÖ und Liste Jetzt stimmten mit und damit war die Mehrheit gegeben. Und auch den Bundesrat passierte die Neuregelung. Das ist Gerechtigkeit wurde postuliert … endlich haben die braven Arbeitnehmer damit die Anerkennung, die sie verdienen. Für mich hat die SPÖ damit einer Kurzsichtigkeit an den Tag gelegt, der seinesgleichen sucht, denn da wurde die Komplexität und Vernetzung dieses Thematik völlig negiert. Bei diesen echten 45 Arbeitsjahren wurde auf die Zeit des Präsenz- und Zivildienstes vergessen – und gleichfalls – was aktuell bedingt durch das reguläre Pensionsalter der Frauen mit derzeit noch 60 Jahren noch nicht schlagend ist, aber spätestens bei der Anpassung des Pensionsalters der Frauen an jenes der Männer dann sehr wohl Auswirkungen hat – auf die Zeiten des Mutterschutzes, wo bei den Müttern ja ein Arbeitsverbot besteht.
Aber nicht nur das: Die Jahrgänge 1954 – 1957, die ja zum Teil ihre Pension mit entsprechenden Abschlägen schon angetreten haben, fühlen sich natürlich durch die Neuregelung benachteiligt – das ist nachvollziehbar. Wer bis zum 62. Lebensjahr das Pech hatte arbeitslos zu werden oder Krankengeld bezogen hat, bekommt diese Zeiten auf die 45 Jahre nicht angerechnet. Nachgekaufte Versicherungszeiten finden gleichfalls keine Berücksichtigung. So kann es also durchaus sein, dass jemand, der mit 15 Jahren zu arbeiten begonnen hat zwar 47 Versicherungsjahre zusammen bringt, aber mit 62 Jahren bei der sogenannten Korridorpension Abschläge von 15,3 % hinnehmen muss. Nur so zum fiktiven Vergleich: Nachdem ein Unternehmen insolvent geworden ist, kann jemand über eine Stiftung einen neuen Beruf erlernen. Dabei ist er 2 Jahre beim AMS versichert. Diese zwei Jahre sind sehr intensiv, es geht darum, neben der Praxis auch Unterricht zu absolvieren. Nachdem der Betreff ende auch 8 Monate Präsenzdienst absolviert hat, hat er mit 62 Jahren zwar 47 Versicherungsjahre und auch immer gearbeitet, kann aber nur 44 Jahre und 4 Monate echte Arbeitszeit nachweisen. Er bekommt aber 15,3 % von seinen bisherigen Pensionszahlungen abgezogen. Ein anderer Arbeitnehmer ist für den Präsenzdienst untauglich. Mit 58 Jahren beschließt er, in Altersteilzeit zu gehen und wählt die geblockte Form, d. h. Er arbeitet durchgehend zwei Jahre voll und konsumiert dann durchgehend zwei Jahre Zeitausgleich. Laut der neuen Regelung hat er mit 62 Jahren 47 Jahre echte Arbeitszeit obwohl er zwei Jahre gar nicht gearbeitet hat. Die niedrigen Pensionsbeiträge während der Präsenzdienstzeit hat er sich erspart, weil er mit 19 Jahren schon gut verdient hat. Er hat keine Abschläge, wenn er mit 62 Jahren in die Pension geht.
Bei der aktuellen Hacklerregelung benötigte man auch 45 echte Arbeitsjahre, da war aber der Präsenzdienst und der Zivildienst miteingerechnet. Mit 12,6 % Abschlägen konnte man dann nach diesen 45 Jahren in Pension gehen. Diese 12,6 % Abschläge sind nun auch obsolet wenn man nach der Neuregelung mit 45 echten Arbeitsjahren (+ Präsenz- oder Zivildienst) mit 62 Jahren in die Korridorpension geht. Alle anderen die mit zumindest 40 Versicherungsjahren mit 62 Jahren in die Korridorpension gehen, haben nach wie vor 15,3 % Abschläge – und auch dann, wenn sie wie in meinem Beispiel 47 Versicherungsjahre haben. Soziale Gerechtigkeit nennt das die SPÖ und lässt sich von ihrem Kurs nicht abbringen. Soziale Ausgewogenheit sieht für mich anders aus. Es gibt Lebenskrisen wie Arbeitslosigkeit und Krankheit. Es gibt berufliche Neuorientierung. Als wir die Wirtschaftskrise im Jahr 2008 hatten, gab es Unternehmen, die ihre Mitarbeiter in Bildungskarenz schickten, um sie nicht kündigen zu müssen. Bildungskarenz ist AMS-Zeit und zählt daher bei der Neuregelung nicht als echte Arbeitszeit – auch dann nicht, wenn man sich mit gehörigem zeitlichen Aufwand Zusatzausbildungen aneignete, Prüfungen abzulegen hatte etc. Nur jene, die einen einwandfreien, unproblematischen und krisenfreien Arbeitsverlauf in ihrem Leben hatten und die sich damit Widrigkeiten und Herausforderungen erspart haben, werden belohnt – Leistungsgesellschaft pur! So wird das nichts mit der Neuorientierung der SPÖ.
Wäre es nicht sinnvoller und zweckmäßiger gewesen, bei allen, die 45 Versicherungsjahre zusammenbringen, die Abschläge etwas zu verringern? Das hätte wohl mehr «Treffsicherheit» gebracht … Laut PVA gingen im Jahr 2017 im Schnitt die Männer mit 39 Versicherungsjahren und die Frauen mit 35 Versicherungsjahren in Pension. Also: Im Schnitt ist man von 45 Versicherungsjahren ein gutes Stück entfernt!
Christian Aichmayr