Gutachterliche Diagnosen und die Verwaltung des Falles in der Fürsorgeerziehung.
Patrick Müller (Kassel)
Die Einweisung von Kindern und Jugendlichen in Erziehungsheime im Kontext der Fürsorgeerziehung der 1950er bis 1970er Jahre in Deutschland, erfolgte im Zusammenspiel der Konstruktion des sozialen Problems der Verwahrlosung und eines sich ausbildenden Wohlfahrtsstaates. „Gefährdete“ und „gefährliche“ Kinder und Jugendliche wurden dabei in teilweise geschlossenen Heimen einer außerfamiliären Erziehung zugeführt. Spätestens mit der institutionellen Unterbringung in einem Heim beginnt das Erstellen und fortlaufende Führen einer Fallakte im Rahmen einer totalen Institution (Goffman 1973). In vielen Fallakten sind psychologische und psychiatrische Gutachten zentrale Dokumente, in denen Diagnosen und Handlungsempfehlungen zum Umgang mit einer untergebrachten Person formuliert werden. Auf Grundlage der empirischen Daten aus dem laufenden DFG-Projekt „Die Verwaltung des Falles. Die Rekonstruktion von institutionellen Handlungsvollzügen“ an der Universität Kassel (Leitung: Mechthild Bereswill) wendet sich der geplante Vortrag diesen Gutachten und ihrer Wirkung bei Entscheidungen über die Erziehung und Ausbildung einer Person in einem Heim zu. Anhand ausgewählter Fälle sollen in einer vergleichenden Perspektive Handlungsmuster dargestellt werden, die den Umgang der Verwaltungsakteur*innen mit den Diagnosen der Gutachten im Fallverlauf zeigen.