Gast in dieser Ausgabe von seitwärts: [poetologische ortungen] ist der Autor Bernd Schuchter. Schuchter stellt sein 2016 im Braumüller Verlag erschienenes Buch «Jacques Callot und die Erfindung des Individuums» vor und liest Textpassagen daraus.
Diese Sendung wurde In situ aufgezeichnet am 21.8.2018 an atmosphärisch geeigneten [historischen] Orten in der Stadt Salzburg sowie im Rahmen einer Pferdekutschenfahrt [Herrn Philipp ein Danke!]. Das Resultat ist eine literarische Intervention, die akustisch in Resonanz mit jener Zeit, in der Jacques Callot lebte, also dem frühen 17. Jahrhundert, zu gehen versucht.
Gastautor: Bernd Schuchter
Konzeptidee, Aufnahme & Sendungsgestaltung: Wally Rettenbacher
Musik:
Jordi Savall – Folia de Espana
Roque Baños & Orquestra Filarmonia coro Zyriab alatriste 2006. suite 2/2
Roque Baños – Alatriste, Battle of Rocroi
Clement cogitore – Les Indes Galantes
Evelyn Glennie & Fred Frith – A Little Prayer
Gianmaria Testa – Le traiettorie delle mongolfiere
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Inhalt:
Bilderreich und lebendig wie ein Abenteuerroman präsentiert sich Bernd Schuchters biografische Studie über Jacques Callot, den lothringischen Kupferstecher und Radierer des frühen 17. Jahrhunderts. Zu einer Zeit, in der das Leben des Einzelnen nicht viel gilt, in der Hinrichtungen eine Volksbelustigung sind und in Europa ein Krieg tobt, in dessen Verlauf ganze Landstriche zugrunde gehen, reist Callot in die niederländische Stadt Breda, um deren Belagerung und Einnahme durch spanische Truppen zu radieren.
Es ist ein Auftrag Isabellas von Spanien, der Statthalterin der habsburgischen Niederlande, an den für seine Fantasie wie für seine technische Perfektion europaweit berühmten Künstler. Callot kennt auch die lichte Seite Europas: Er hat als junger Mann in Rom gelebt und in Florenz, wo er für Cosimo II. de’ Medici tätig war. Er ist dort Künstlern und Wissenschaftlern wie Galileo Galilei begegnet und wird sich sein Leben lang zurücksehnen.
Wieder zurück in seiner Heimatstadt Nancy, macht er sich an die Arbeit: Sechs großformatige Radierungen entstehen, ein Panorama der Stadt Breda und ihrer Umgebung, in der die Truppen aufmarschieren. Callot hat Erfolg mit der Belagerung von Breda. Auf den Auftrag Isabellas folgen Aufträge des französischen Königs Ludwig XIII. für weitere Schlachtenbilder.
Die Beschäftigung mit diesen Kriegssujets und eigene Erlebnisse, wie die bald folgende Verwüstung lothringischer Dörfer und Städte durch französische Truppen, führen Callot schließlich zur Schöpfung der bis heute bekannten Radierzyklen über die Schrecken des Krieges. Es sind nüchtern-realistische, gleichzeitig kunstvolle Abbildungen – aber was für Szenen darunter: Plünderungen, Zerstörungen, Vergewaltigungen, Morde und qualvolle Hinrichtungen. Sie begründen eine Tradition der Gewaltdarstellung, die über Goya bis hin zu heutigen Fernsehbildern reicht.
Über Callots Intentionen lässt sich nur mutmaßen. Schwingt da Kritik an den Herrschenden mit? Auch die Schrecken des Krieges sind mit dem Privileg Ludwigs XIII. (dem Schutz gegen Raubdrucke) erschienen. Es sei ein klarer, kalter Blick auf die menschlichen Schwächen, den Callot zeige, so Schuchter. Nicht wertend, nur beschreibend.
Wie Callot Individuen schafft und selbst in Massenszenen jede Figur gestaltet, fasziniert bis heute. Und er wird einem während der Lektüre sympathisch, dieser Künstler, der sein Leben lang wie besessen gearbeitet hat, um all das, was ihn erfüllte, zu Papier zu bringen.
Stefanie Wolff
Bernd Schuchter’s biographical study of Jacques Callot, the Lorraine engraver and etcher of the early 17th century, is rich in images and lively as an adventure novel. At a time when the life of the individual is not worth much, when executions are the people’s amusement, and a war is raging in Europe and entire regions are ruined, Callot travels to the Dutch city of Breda to etch the siege and capture by Spanish troops.
It is a mission from Isabella of Spain, the governor of the Habsburg Netherlands, to the artist renowned throughout Europe for his imagination and his technical perfection. Callot also knows the bright side of Europe: he lived as a young man in Rome and in Florence, where he worked for Cosimo II de‘ Medici. He met artists and scientists like Galileo Galilei there and will yearn for them all his life.
Back in his hometown of Nancy, he sets to work: six large-format etchings are created, a panorama of the city of Breda and its surroundings in which the troops march. Callot succeeds with the Siege of Breda. The order of Isabella is followed by orders of the French King Louis XIII for more battle pictures.
The occupation with these war themes and personal experiences, such as the devastation of Lorraine villages and towns by French troops, finally led Callot to the creation of the etching cycles known to this day about the horrors of war. They are sober-realistic, at the same time artful illustrations – but what scenes: lootings, destructions, rapes, murders and torturous executions. They establish a tradition of the depiction of violence ranging from Goya to today’s television images.
About Callot’s intentions we can only speculate. Is there any criticism of the rulers? Even the horrors of war are with the privilege of Louis XIII (protection against piracy) appear. It was a clear, cold look at the human weaknesses Callot showed, says Schuchter. Not judgmental, only descriptive.
How Callot creates individuals and shapes every figure even in mass scenes, fascinates us to this day. And he becomes sympathetic to one during the reading, this artist who has spent his life obsessively committing to paper everything that filled him.
Translation: Marcus D. Niski
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Biografien
Bernd Schuchter
geboren 1977 in Innsbruck, Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie
an der Universität Innsbruck. Rezensent, Autor und Verleger. Buchbesprechungen
unter anderem für Vorarlberger Nachrichten, Falter, Buchkultur und Literaturhaus Wien.
Seit 2006 Verleger des Limbus Verlag (www.limbusverlag.at), lebt mit seiner Familie in Innsbruck.
Zahlreiche Stipendien und Preise, u. a. Prosapreis Brixen/Hall (2007), Preis für künstlerisches
Schaffen der Stadt Innsbruck (2014) und Theodor-Körner-Preis für Kunst (2017). Zuletzt erschienen
die Romane Link und Lerke (2013) und Föhntage (2014), der literarische Reiseführer Innsbruck
abseits der Pfade (2015), die historischen Essays Jacques Callot und die Erfindung des Individuums
(2016) und Herr Maschine oder vom wunderlichen Leben und Sterben des Julien Offray de La Mettrie
(2018) sowie die Gebrauchsanweisung für Tirol (2017). Seine Bücher wurden bisher ins Ukrainische,
Polnische und Englische übersetzt.
website: www.berndschuchter.at/
Stefanie Wolff [Buchbesprechung]
Musikerin, Autorin, Sendungsmacherin. Jüngste Veröffentlichungen:
Johannes. Ein Leben mit Autismus (Radiofeature, ORF 2017)
Nachtgebet (Kurzhörspiel, Berliner Hörspielfestival 2018)
Website: stefaniewolff.net (under construction)
Marcus D. Niski [Translation]
is an Irish-Australian writer, editor and freelance journalist living in Salzburg, Austria. His writing has appeared in books, magazines, newspapers, journals and websites in various parts of the world. His creative explorations of the themes of place space and urban life can be found at: www.nakedcitiesjournal.wordpress.com www.thewritingpractice.com
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